# taz.de -- Demokratisches Potenzial der Stammkneipe: Mehr Kiez und Keule wagen
       
       > Auf dem Weg vom Kottbusser Tor zum Hermannplatz prallt viel aufeinander.
       > Es sind Widersprüche, die sich in den Armen liegen können.
       
 (IMG) Bild: 1,3 Kilometer krasse Meile: vom Kotti zum Hermannplatz
       
       Ein lästiger Wust an Politthemen spukt mir im Kopf umher, laufe ich dieser
       Tage durch Kreuzberg und Neukölln. Gern mal vom Kottbusser Tor, dessen
       „Kotze am Kotti“ Peter Fox mit „Schwarz zu Blau“ ein Denkmal setzte, zum
       Hermannplatz, dem Mündungsdelta der berüchtigten Sonnenallee.
       
       Zwischen beiden Destinationen liegen 1,3 Kilometer Kreuzköllner Asphalt:
       die Kottbusser Straße und der Kottbusser Damm. Über den Kanal verbunden
       durch die Kottbusser Brücke, mit der Synagoge und dem Paul-Lincke-Ufer in
       bester Sonnenlage auf der einen Seite, der hanseatischen Ankerklause und
       dem orientalisch geprägten Wochenmarkt am Maybachufer auf der anderen.
       
       Die Rede ist hier, symbolisch gesehen, von der Debattenmagistrale unseres
       sich in Rassismen suhlenden Wahlkampfs. Über 100 Nationen, etliche
       Geflüchtete darunter, kartoffelige Sozialfälle, kanakisches Prekariat und
       vieles mehr. Armut? Überall! Drogen? Knallen! Arbeitslosigkeit? Wie Blei an
       den Füßen! Kriminalität? Hoch! Muslimisch? Hamdulillah! Revolutionär? Bella
       Ciao! Long Story short: [1][Hier geht jeder jedem gern mal dezent auf die
       Nerven].
       
       Man könnte also meinen, Kreuzkölln wäre eine Hochburg der Rechtsextremen.
       Nope! Hier und ringsum stehen die Hüpfburgen der linksgrünen Versifftheit.
       [2][Die AfD ist einstellig], zum Teil unter 5 Prozent. Was nicht ist, kann
       leider noch werden. Neben ihrem völkischen Rassismus arbeitet sie
       neuerdings mit einer anderen Spielart des Menschenhasses, mit der sie
       Deutsche mit Migrationshintergrund (jedoch inzwischen ohne Verständnis für
       Geflüchtete) [3][perfide ködert].
       
       Aber dennoch: All das steht insbesondere für Zugewandtheit, belegt durch
       etliche Erfolgsgeschichten, bei Weitem nicht frei von Problemen und
       Abgründen, aber im Miteinander womöglich eine Werkstatt für das ganze Land.
       Ihre Räume sind die Cafés, Teestuben und Baklava-Patisserien, die
       Shishabars, Ateliers und Fitnessstudios. Meist ein mit Rassismus und
       Klassismus aufgeladener Fleck politisch-medialer Klischeeanschauungen,
       deren desaströsen Folgen sich in widerlichen Taten wie der [4][vor fünf
       Jahren in Hanau] widerspiegeln. Auch in Kreuzkölln treibt ein von Amts
       wegen nur träge verfolgter brauner Mob sein dreckiges Unwesen.
       
       ## Die Spelunke der Herzen
       
       Was auf gar keinen Fall fehlen darf, ist der nur scheinbar
       widersprüchlichste Hort dieses besonderen Miteinanders. Den Kreuzköllner
       Wandel haben einige wenige Exemplare bis heute überlebt, die Rede ist von
       der Spelunke der Herzen, dem wohl deutschesten unter den Almanklischees:
       der Eckkneipe.
       
       Meine lauert unweit des Kottbusser Damms, kaum ist man drinnen, umgibt
       einen das dichte Treiben der Moleküle. In der Luft tausend Kilo Tabak, in
       den Adern der Sprit eines Rennwagens. Die Kehlen brennen, die Augen tränen.
       Hier prostet Zilles Milljöh mit dem Uni-Campus, Lederhaut trifft auf Haut
       in Leder, Hipster auf Atzen, Diven auf Keulen, Mehmet auf Kalle, manchmal
       alles in einer Person.
       
       An den Wänden Hertha BSC, die Bar ist hier noch Tresen, dahinter Berliner
       Schnauze wie vor fuffzig Jahren, konserviert im Herrengedeck – auch als
       Frau. Sobald sich pegeltechnisch alle auf Augenhöhe begegnen, winkt man
       sich von den Tischen und den Dartscheiben schunkelnd zu. Einen Tacken
       später liegen sich Schlager und Soul in den Armen, junge Queers und
       altberliner Heten machen am Ende hitziger Diskussionen High five, Doris vom
       Zapfhahn packt einen Dealer am Kragen – er zwei Köppe größer, sie ebenso
       viele breiter – und zerrt ihn raus, ohne dass auch nur eine Faust fliegt.
       
       Es ist ein verdammt anstrengender Ort, call me blauäugig, aber eben auch
       fifty shades of Nestwärme! Am 23. Februar ist Bundestagswahl.
       
       20 Feb 2025
       
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 (DIR) [2] https://www.rbb24.de/politik/wahl/abgeordnetenhaus/agh-2023/wahlkreise/wahlkreise-abgeordnetenhauswahl-berlin-2023.html
 (DIR) [3] /Migrantische-AfD-Anhaenger/!6064935
 (DIR) [4] https://19feb-hanau.org/aktuell/
       
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