# taz.de -- Repression in der Türkei: Gegen Oppositionelle und Kulturschaffende
       
       > Der türkische Präsident Erdoğan will seine politische Konkurrenz aus dem
       > Weg räumen: Sein Gegenspieler Imamoğlu wird mit immer neuen Verfahren
       > überzogen.
       
 (IMG) Bild: Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoğlu am Montag
       
       Istanbul taz | Es ist das wohl am schnellsten eingeleitete
       Ermittlungsverfahren der Türkei: Am Montag gab Istanbuls Oberbürgermeister
       Ekrem Imamoğlu eine Pressekonferenz, während er den ständig zunehmenden
       Verfolgungsdruck durch die Justiz angeprangerte. Die Pressekonferenz war
       noch keine Stunde vorbei, da hatte der Istanbuler Generalstaatsanwalt
       bereits ein neues Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet – wegen seiner
       Äußerungen auf eben dieser Konferenz.
       
       Was sich wie ein schlechter Witz anhört, hat Methode: Seit Wochen wird
       Ekrem Imamoğlu, [1][der wichtigste Gegenspieler des Präsidenten Recep
       Tayyip Erdoğan], mit immer neuen Verfahren überzogen. Diese sollen Imamoğlu
       mundtot machen und ihn darüber hinaus nach einer möglicherweise folgenden
       Verurteilung politisch ausschalten.
       
       Bis auf eine Ausnahme, wo es um vermeintliche Korruption im Zusammenhang
       mit Ausschreibungen zu einer Zeit vor seiner Wahl zum Oberbürgermeister
       geht, sind alle andere Verfahren Meinungsdelikte – und beziehen sich auf
       Äußerungen, mit denen Imamoğlu gegen die offensichtlich politisch
       motivierten Ermittlungsverfahren gegen ihn und andere hochrangige
       Mitglieder der Oppositionspartei CHP protestiert hatte.
       
       Imamoğlu ist bereits einmal wegen angeblicher Beleidigung von Mitgliedern
       der Wahlkommission zu zwei Jahren und sieben Monaten Gefängnis verurteilt
       worden. Das Berufungsverfahren wird immer wieder verschoben, um ihn weiter
       unter Druck zu setzen. Zuletzt soll er den Istanbuler Generalstaatsanwalt
       beleidigt haben, weil er den Vorsitzenden der CHP-Jugendorganisation
       verteidigt hatte, dem ebenfalls Beleidigung der Justiz vorgeworfen wurde.
       
       ## Erdoğan setzt auf Repression – auch im Kulturbereich
       
       „Das Ganze ist der Versuch, uns durch Zensur auszuschalten. Wir sollen den
       Präsidenten nicht mehr kritisieren dürfen“, sagte Imamoğlu bei seiner
       Pressekonferenz am Montag. Tatsächlich ist Erdoğan dabei, die
       Repressionsschraube in der Türkei wieder erheblich anzuziehen. Das betrifft
       nicht nur Imamoğlu: Erst vor kurzem wurde Rıza Akpolat,
       CHP-Bezirksbürgermeister von Beşiktaş, einer Hochburg der Opposition in
       Istanbul, wegen angeblicher Korruption seines Amtes enthoben und verhaftet.
       
       Und auch gegen andere Parteien wird vorgegangen: Erstmals seit dem Putsch
       von 1980 wurde wieder ein türkischer Parteivorsitzender verhaftet, der Chef
       der kleinen ultrarechten Zafer-Partei, Ümit Özdağ. Er hatte lautstark gegen
       mögliche Gespräche mit dem historischen PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan
       protestiert – und Erdoğan damit von nationalistischer Seite aus unter Druck
       gesetzt.
       
       Doch nicht nur gegen die politische Opposition lässt Erdoğan die Justiz
       vorgehen. Seit neuestem wird auch eine Kampagne gegen [2][wichtige
       VertreterInnen der Kulturszene] durchgeführt. Es geht vor allem gegen Leute
       aus Film und Fernsehen, die mit ihrer Arbeit indirekt die von Erdoğan
       angestrebte weitere Islamisierung des Landes unterlaufen.
       
       Die Türkei war in den letzten Jahren [3][sehr erfolgreich mit der
       Produktion von Filmen und Fernsehserien], die auch international gut
       verkauft wurden. Diese Serien sind im Nahen Osten, in Asien und
       Lateinamerika deshalb so erfolgreich, weil sie einen offenen Umgang
       zwischen den Geschlechtern propagieren und dem islamischen Frauenbild damit
       oft widersprechen. Außerdem werden sehr erfolgreich Konflikte zwischen
       säkularen und religiösen Lebensauffassungen thematisiert, die die
       Gesellschaft beschäftigen.
       
       ## Regisseurin Ayşe Barım festgenommen
       
       Als Hauptübeltäterin für solch unerwünschtes Filmschaffen hat die
       regierende AKP Ayşe Barım, eine der erfolgreichsten Produzentinnen des
       türkischen Kinos, identifiziert. Sie würde viele Themen setzen und ihr
       genehme SchauspielerInnen bevorzugen. Letzte Woche wurde Barım
       festgenommen, am Montagabend dieser Woche durch einen Haftrichter in U-Haft
       überstellt. Vorgeworfen werden ihr aber nicht ihre Filme, sondern eine
       angebliche Beteiligung an den Gezi-Protesten vor 12 Jahren. Diesen Vorwurf
       hat die Staatsanwaltschaft aus dem Hut gezaubert, um ihr einen versuchten
       Sturz der Regierung vorwerfen zu können.
       
       Im Zusammenhang [4][mit den Gezi-Protesten] sind bereits eine Reihe anderer
       bekannter Gewerkschaftler, Intellektueller und Juristen, die alle ihre
       Kritik an Erdoğan auszeichnet, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt
       worden. Im Zusammenhang mit der Festnahme von Ayşe Barım wurden auch
       etliche bekannte Schauspieler zum Verhör vorgeladen – die sich nun
       überlegen werden, ob sie noch einmal in einem von der Regierung
       unerwünschten Film mitspielen werden.
       
       28 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolf Wittenfeld
       
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