# taz.de -- Doku „Henry Fonda for President“ im Kino: Nach Reagans Rede war ihm übel
       
       > Gelungener Filmessay: In „Henry Fonda for President“ verknüpft Alexander
       > Horwath die Geschichten des Hollywoodstars und der USA äußerst
       > unterhaltsam.
       
 (IMG) Bild: Eine Parade in Tombstone, legendär für eine Schießerei mit Wyatt Earp, in „Henry Fonda for President“
       
       Man erwartet nicht, dass ein Film mit dem Titel „Henry Fonda for President“
       im Paris des Jahres 1980 beginnt. Aber darin zeigt sich der besondere
       Zugriff von Alexander Horwath – der hat in den 90er Jahren die Viennale
       geleitet hatte und von 2002 bis 2017 Direktor des Österreichischen
       Filmmuseums war. Ihm gelingt in seinem filmischen Essay nämlich viel mehr
       als nur das Porträt eines emblematischen Hollywoodschauspielers des 20.
       Jahrhunderts.
       
       Er beschreibt in [1][„Henry Fonda for President“] einerseits etwas
       Persönliches, nämlich wie ihn die Verehrung für beziehungsweise das
       Interesse an Henry Fonda, mehr als Leinwandfigur denn als Mann, durchs
       eigene Leben begleitet hat. Zum anderen rekonstruiert er, vermittelt durch
       Fondas Familiengeschichte und Filmkarriere, das innige Verhältnis zwischen
       amerikanischem Kino und US-amerikanischer Geschichte, das so vieldeutig und
       wechselseitig ist wie wohl nirgendwo sonst auf der Welt.
       
       Denn wo wäre eine Stadt wie Tombstone anders vorstellbar? Gegründet als
       Goldgräber-Siedlung – tatsächlich waren es Silberminen – auf dem „Arizona
       Territory“ im späten 19. Jahrhundert. Hier war ein Mann namens Wyatt Earp
       an einer Schießerei beteiligt, die als „Gunfight at the O. K. Corral“ in
       die Annalen einging. Ein Ereignis, das später mehrfach verfilmt wurde.
       
       Ein Mal eben auch mit Henry Fonda als Wyatt Earp in John Fords Klassiker
       „My Darling Clementine“ (deutsch: „Faustrecht der Prärie“) von 1946. Was im
       langen Nachhall dazu führte, dass das Anfang des 20. Jahrhunderts fast zur
       Geisterstadt herabgesunkene Tombstone sich als Kinomythos zur
       Touristenattraktion mauserte. Heute wird hier für anreisende Gäste die
       Schießerei vom O. K. Corral als Live-Action rekonstruiert, und nicht nur
       das: Die ganze Stadt spielt sich selbst. Ein Phänomen, das sich an einigen
       Orten und Ecken der USA wiederfinden lässt.
       
       ## Bezugsreiche Geschichten
       
       Die Tombstone-Episode ist wiederum nur eine der vielen kleinen,
       bezugsreichen Geschichten, die Horwath in seinem Filmessay zusammenträgt.
       Seine Methode ist dabei immer wieder anders, was die drei Stunden Laufzeit
       nie langweilig werden lässt.
       
       Wie gleich zu Beginn, als er von der Urlaubsreise 1980 nach Paris erzählt,
       die er mit seinen Eltern unternahm, führen zufällige Beobachtungen zu
       überraschend sinnfälligen Zusammenhängen. Sein Reisetagebuch verzeichnet
       tagsüber Pariser Sehenswürdigkeiten und Abends Kinobesuche, unter anderem
       „Spiel mir das Lied vom Tod“ und „Früchte des Zorns“.
       
       Die Erinnerung an Fondas Rollen schließt sich kurz mit Ausschnitten aus der
       Fernsehübertragung der Olympischen Spiele in Moskau und der Nominierung von
       Ronald Reagan zum Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei.
       Ein DDR-Hochspringer schlägt nach seinem Sieg seine Hände in ähnlicher
       Weise vors Gesicht, wie es Fonda in manchen Rollen tut.
       
       Der ehemalige Hollywood-Schauspieler Reagan, auf seine Weise das diametrale
       Gegenstück zu Fonda, spricht von seiner Rückkehr in die „Hauptsendezeit“.
       Später im Film wird man Fonda sagen hören, dass ihm nach einer Rede Reagans
       zum Kotzen war.
       
       Und was hat es mit „Henry Fonda for President“ auf sich? Auch das ist so
       ein herrliches Horwath’sches Fundstück: Im Jahr 1976 tritt im
       Sitcom-Spin-off zu „All in the Family“ (der Vorlage zu [2][Wolfgang Menges
       „Ein Herz und eine Seele“]) die angeheiratete Cousine Maude (gespielt vom
       spätere „Golden Girl“ Bea Arthur) als linksliberales Gegenstück zum „Ekel“
       Archie Bunker eine Kampagne für Henry Fonda los. In der Serie widerspricht
       ihr jemand mit dem Argument, dass man niemals einen Hollywoodschauspieler
       zum Präsidenten wählen würde.
       
       ## Identität eines ganzen Landes
       
       In der Nacherzählung mag das alles nach einem Durcheinander aus
       verschiedensten Ebenen von Politik, Privaterinnerung und Fan-Erkundungen
       klingen, aber im Kino verwandelt es sich in etwas Einzigartiges und doch
       für jeden Cinephilen auch wieder Vertrautes. So funktionieren Erinnerungen
       und so funktioniert Kino: Ausschnitte aus beidem formen ein traumähnliches
       Nachdenken über die eigene Identität genauso wie über die eines ganzes
       Landes.
       
       Einzelne Fakten, Ausschnitte und Aufnahmen entfalten einen
       Assoziationsreichtum, der immer wieder das kleine Detail dem großen Ganzen
       gegenüberstellt. Die Fonda-Familienbiografie lässt Horwath doch tatsächlich
       mit der Auswanderung der Ahnen aus Holland im späten 17. Jahrhundert
       beginnen. Aber in Verbindung mit der Tatsache, dass Fonda später einen
       dieser Urahnen, die sich auf den Weg in den Westen gemacht haben, in einem
       Film verkörpert, wird daraus ein Argument zum innigen Spiegelverhältnis von
       Kino und Geschichte in den USA.
       
       Ausschnitte aus Fondas Filmen und Passagen vor allem aus seinem letzten
       großen Interview – auch das ein Fundstück aus dem Jahr 1980 – verwebt
       Horwath mit Szenen und Beobachtungen aus dem heutigen Amerika.
       Betrachtungen zu Fondas Leinwandperson, die bis zum Auftritt in Sergio
       Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ eine Ikone der Rechtschaffenheit war,
       belegen, wie Fonda seine Rollen entwickelte.
       
       Bestimmte Gesten, hört man ihn im Interview erzählen, seien Einfälle des
       Regisseurs John Ford gewesen, die, wie das Stuhlkippeln seines Wyatt Earp
       zuerst nebensächlich und unwichtig erschienen, später aber genau das waren,
       woran sich die Zuschauer erinnern. So ist „Henry Fonda for President“ auch
       ein großartiges Essay über die Wirkung des Kinos.
       
       4 Feb 2025
       
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