# taz.de -- Demokratie in 100 Jahren: Stell dir vor, es ist Wahlkampf und es geht um Inhalte
       
       > Unsere Kolumnistin verzweifelt über die Kampagnen zur Bundestagswahl.
       > Doch ihr zeitreisender Freund macht ihr Hoffnung auf eine bessere
       > Zukunft.
       
 (IMG) Bild: Vor der Bundestagswahl in Leipzig, 20. Januar: ein beschädigtes Wahlplakat der CDU
       
       Bei einem gemeinsamen Spaziergang bestaunt mein zeitreisender Freund Felix
       die [1][vielen Wahlplakate]. Mir fällt die Begeisterung angesichts
       bestimmter Parolen schwer. Außerdem nervt mich die Flut an immer gleichen
       Porträts und Sprüchen der einen Partei, neben der die vielen anderen
       Parteien klein und bedeutungslos wirken. So als hätte die Masse der
       Wahlwerbung etwas mit Kompetenz zu tun. Dass zudem viele Plakate
       verschmiert oder zerrissen sind, macht die Sache nicht besser. Da haben ein
       paar Leute Demokratie nicht verstanden!
       
       Als Felix ausgiebig ein mannshohes sehr blaues Plakat bestaunt, reißt mir
       der Geduldsfaden: „Warum fasziniert dich das so?“, frage ich ihn. „Im Jahr
       2125 wird’s doch sicher bessere Kampagnen geben.“
       
       „Nein. Diese Art von Wahlwerbung ist so gut wie verboten“, sagt er.
       
       „Oje, dann ist die Demokratie doch gescheitert?“
       
       „Im Gegenteil! Aber bei diesen Wahlplakaten geht es ja nicht um Inhalte und
       das, was wirklich in den Wahlprogrammen steht, sondern nur um
       Aufmerksamkeit.“
       
       „So wie bei jeder Werbung.“
       
       „Aber Demokratie ist kein Produkt, das man kaufen kann“, antwortet er, und
       ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Stattdessen sage ich: „Die
       [2][USA haben gerade das Gegenteil bewiesen].“
       
       „Mag sein, aber bei uns endet die Sache anders“, sagt Felix und holt ein
       wenig aus. „Es ist so: In naher Zukunft denkt sich ein deutscher Milliardär
       ‚Was Musk kann, kann ich schon lange!‘ und spendet 3,5 Milliarden Euro für
       den Bundestagswahlkampf der … nennen wir sie XYZ-Partei. Also wird das
       ganze Land mit Wahlwerbung zugekleistert. Keine Anschlagstafel, kein
       Laternenmast, kein Parkverbotsschild an dem nicht ein Plakat von XYZ hängt.
       Es sind so viele, dass man die Straßenschilder kaum noch erkennen kann, was
       zu Unfällen und langen Staus führt. Und weil dann immer mehr Leute die
       Poster herunterreißen, türmen sich bald Berge von Papierschnipseln in den
       Straßen. Im Regen werden die dann zu zähem Papierschlamm, der Gullys
       verstopft und zu katastrophalen Überschwemmungen führt.“
       
       „Lass mich raten: XYZ schneidet bei der Wahl nicht so gut ab?“
       
       „Exakt! Am Wahltag haben die Leute einen solchen Hass auf die Partei XYZ,
       dass sie ihr nicht mal ein Prozent der Stimmen geben. Die neue
       Bundesregierung reagiert prompt und verbietet wilde Wahlwerbung im
       öffentlichen Raum. Ab sofort dürfen Parteien, die zu einer bestimmten Wahl
       zugelassen sind, nur noch an gekennzeichneten Orten plakatieren – und jede
       Partei gleichviel. Online sorgen [3][Faktenchecker-KIs] dafür, dass Lügen
       oder irreführende Informationen gelöscht werden. Deshalb konkurrieren die
       Parteien bald um die besten Autor*innen, die ihre Wahlprogramme
       verständlich und gleichzeitig so spannend formulieren, dass sie zu
       Bestsellern werden.“
       
       Da werde ich natürlich aufmerksam – aber Felix erzählt schon weiter.
       
       „Und weil Demokratie ein Gemeinschaftsprojekt ist, bei dem man mindestens
       so viel Verantwortung trägt wie beim Autofahren oder dem Benutzen einer
       Motorsäge, müssen [4][alle Wahlberechtigten einen Demokratieführerschein]
       machen, um zur Wahl zugelassen werden. Darin wird wie beim
       Einbürgerungstest Grundwissen über die freiheitlich demokratische
       Grundordnung, die Menschenrechte und die deutsche Geschichte abgefragt –
       alle zehn Jahre muss der Führerschein erneuert werden. Bei uns ist
       Demokratie kein Produkt mehr. Es ist ein Privileg, auf das die Deutschen
       genauso stolz sind, wie früher auf ihr Auto.“
       
       26 Jan 2025
       
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