# taz.de -- Ex-SPD-Chef über Wahlkampf: „Ein gewisser Optimismus“
       
       > Norbert Walter-Borjans glaubt, dass die Sozialdemokraten die Wahl wie
       > 2021 noch drehen können – wenn sie nicht nur auf Olaf Scholz setzen.
       
       taz: Herr Walter-Borjans, die Union liegt in Umfragen bei 30 Prozent, die
       SPD bei 15. Schafft die SPD die Wende noch? 
       
       Norbert Walter-Borjans: Ich gehöre zu den Grundoptimisten. Es gibt
       Ähnlichkeiten und Unterschiede zu der Situation 2021. Zwei Monate vor der
       Wahl waren wir 2021 ungefähr da, wo wir jetzt auch sind. Der Trend kehrte
       sich erst gut einen Monat vor dem Wahltag um. Friedrich Merz hat so wenig
       Zustimmung wie Armin Laschet damals. Es gibt also ein paar Zutaten, aus
       denen man einen gewissen Optimismus schöpfen kann.
       
       Olaf Scholz ist aber auch unbeliebt. Und er ist Kanzler einer gescheiterten
       Regierung. 
       
       Ja, es gibt auch Unterschiede. Die Ampel hat einen schlechten Ruf, auch
       wenn sie in vielem besser war als ihr Image. Das öffentliche Ansehen von
       Olaf Scholz ist anders als 2021, auch weil Scholz' Stärke das Tun ist,
       nicht die Kommunikation. Daraus muss man Konsequenzen ziehen.
       
       Welche? 
       
       Die SPD hat viele, die erfahren im Umgang mit der Öffentlichkeit sind.
       Neben den Parteivorsitzenden und Generalsekretär Matthias Miersch könnten
       Anke Rehlinger, Bärbel Bas, Manuela Schwesig und natürlich Rolf Mützenich,
       Boris Pistorius und Stephan Weil im Wahlkampf ihr Talent in die Waagschale
       legen, unverkrampft auf die Menschen zuzugehen. Auch Alexander Schweitzer,
       der erst seit kurzem rheinland-pfälzischer Ministerpräsident ist.
       
       Also ein Team-Wahlkampf, um Scholz' kommunikatives Defizit auszugleichen? 
       
       Es hilft wenig, das von außen zu empfehlen. Entscheidend ist, ob der
       Kanzler das selbst will. Ich habe dafür immer geworben, weil ich glaube,
       dass die genannten Köpfe mit ihm als Chef Sozialdemokratie einfach breiter
       und nahbarer vermitteln können. Es geht nicht um gegeneinander, sondern
       miteinander. Dann kann die Trendwende auch diesmal gelingen. Ich habe als
       SPD-Vorsitzender 2021 Olaf Scholz als Kandidaten vorgeschlagen, weil ich
       von seiner Erfahrung und Intelligenz überzeugt war. Daran hat sich nichts
       geändert. Die Kompetenz ist vorhanden. Die Kommunikation kann besser
       werden.
       
       2021 war Scholz in der Partei unumstritten, diesmal hätten viele lieber
       Boris Pistorius als Kandidaten gesehen. Hat das der SPD geschadet? 
       
       Die Parteiführung hätte die beiden früher an einen Tisch holen sollen, um
       diese Frage schneller zu klären. Das wäre besser gewesen. Aber ich glaube
       nicht, dass diese Debatte die Wahlchancen der SPD beeinträchtigt hat.
       
       Hat die Debatte Scholz verunsichert? 
       
       Verunsicherung ist nicht die Sache von Olaf Scholz.
       
       Die gesellschaftliche Stimmung ist konservativer als 2021. Damals gab es
       für die SPD mit dem Slogan Respekt und dem Mindestlohn einen größeren
       Echoraum als derzeit. Reagiert die SPD auf diese Lage richtig? 
       
       Der Widerhall für rechte Politik ist im Augenblick erschreckend groß. Die
       SPD darf sich an diese Stimmung nicht anpassen. Markus Söder, Friedrich
       Merz und Christian Lindner spielen die populistische Karte, von der AfD
       ganz zu schweigen. Für die SPD wäre es fatal, Töne zu produzieren, die in
       rechte Echoräume passen. Wir werden die Trendwende nicht schaffen, wenn wir
       eine Politik kopieren, die nicht unsere ist.
       
       Sie waren lange Finanzminister in NRW. Die SPD verspricht 95 Prozent der
       Steuerzahler zu entlasten, die wirklich Reichen sollen dafür mehr zahlen.
       Ist das realistisch? Per Einkommensteuer ist bei den oberen fünf Prozent
       nur wenig zu holen… 
       
       Wenn man damit nur die Einkommensteuer meint, stimmt das. Man kann nicht 95
       Prozent der Einkommen spürbar steuerlich entlasten, indem man die oberen 5
       Prozent ein wenig stärker belastet. Die Steuerreformen der vergangenen
       Jahrzehnte haben zu einer Abflachung der Steuer im ganz hohen Bereich
       geführt. Damit trägt die Mitte einen immer größeren Batzen. Wenn die
       Normalverdiener merken sollen, dass sie weniger Steuern zahlen, sind Sie
       schnell bei Steuermindereinnahmen im mittleren zweistelligen
       Milliardenbereich. Das nur durch höhere Einkommensteuern bei den
       Top-Einkommen hereinholen zu wollen, ist praktisch nicht machbar.
       
       Also meint es die SPD nicht ernst mit der Entlastung Ärmerer? 
       
       Doch. Mittlere Einkommen müssen bei der Einkommensteuer entlastet werden.
       Kleine Einkommen profitieren durch die geplante Senkung der Mehrwertsteuer
       für Lebensmittel um zwei Prozent. Das wäre eine echte Entlastung. Um die
       Reichsten für einen Ausgleich heranzuziehen, braucht man Vermögens- oder
       Erbschaftsteuer. Mega-Erbschaften von zig Millionen Euro sind
       leistungsloses Einkommen. Es ist ungerecht, Arbeit zu besteuern und solche
       Erbschaften steuerfrei zu stellen.
       
       Davon steht nichts auf den SPD-Wahlplakaten… 
       
       Es steht im Wahlprogramm. Die Vermögensteuer soll wiederbelebt werden, und
       es soll bei Erbschaften eine effektive Mindestbesteuerung für große
       Betriebsvermögen geben. Ich weiß allerdings aus eigener Erfahrung, dass es
       äußerst schwierig ist, Steuerpolitik in ein griffiges, emotional wirkendes
       Narrativ zu packen. Nur mit „Umverteilung ist wichtig“ und „Die Reichen
       müssen mal mehr zahlen“ wird das nicht funktionieren.
       
       Wie dann? 
       
       Die richtige Begründung ist, zu erzählen, wofür man das Geld braucht –
       nämlich für eine pünktliche Bahn, solide Brücken, gute Schulen,
       Krankenhäuser, Pflege und Digitalisierung. Die Frage, woher das Geld kommt,
       interessiert die Leute viel weniger als wofür es gebraucht wird. Ich will
       nicht klagen, aber wenn Finanzpolitiker sagen „Wir müssen darüber reden,
       wie das bezahlt wird“, ist das Interesse oft bedauerlich gering. In der
       Bevölkerung, in den Parlamenten, auch bei den meisten Medien.
       
       Meint die SPD ihre Steuerpolitik ernst genug? 
       
       Was wir vom Staat erwarten, muss finanziert werden: mit Umverteilung über
       gerechte Steuern oder mit Krediten. Damit gerät man aber schnell an den
       Pranger. Deshalb werden diese Themen im Wahlkampf nur sehr leise
       angesprochen und landen in Koalitionsverhandlungen als erstes im
       Papierkorb. Den Mindestlohn oder die Mietpreisbremse in
       Koalitionsverhandlungen zu opfern, ist weit schwieriger als die
       Vermögensteuer oder höhere Einkommensteuern für Top-Verdienende. Natürlich
       muss man Kompromisse machen. Aber die SPD tut nach solchen Kompromissen zu
       oft so, als hätte sie die Umverteilungspolitik, die sie nicht durchsetzen
       konnte, auch nie gewollt. Das ist falsch.
       
       Die Union steht laut ihrem Wahlprogramm fest zur Schuldenbremse. Wird das
       so bleiben, falls die Union mit SPD oder den Grünen regiert? 
       
       Nein, CDU und CSU werden ihre Position zur Schuldenbremse ändern.
       
       Warum sind Sie sich da so sicher? 
       
       Merz hat das schon angedeutet, auch wenn er das wieder zurückgenommen hat.
       Der Preis der Schuldenbremse ist der Verfall des öffentlichen Vermögens.
       Die Wirtschaft braucht eine intakte Infrastruktur. Und sie will auch Raum
       für Steuersenkungen für Unternehmen. In Zukunftsbranchen und für
       Investitionen sind Steuersenkungen auch sinnvoll. Beides ist mit dieser
       Schuldenbremse nicht machbar. Mit der CDU/CSU wird es vermutlich eine
       Reform der Schuldenbremse mit einem eng gefassten Begriff von Investitionen
       geben. Aber die wird kommen. Die SPD ist auch deshalb gut beraten, die
       Forderungen nach der Reform der Schuldenbremse offensiv und nicht
       verdruckst zu vertreten.
       
       Sie waren zwei Jahre SPD-Vorsitzender und haben 2021 auf eine Wiederwahl
       verzichtet. Tut es Ihnen manchmal leid, nur noch auf der Zuschauertribüne
       zu sitzen? 
       
       Nein. Ich bekomme derzeit mehr Einladungen von der SPD-Basis als ich
       bewältigen kann. Ich spiele da aber weder den Regierungssprecher noch den
       Nestbeschmutzer. Ich war gerne SPD-Vorsitzender, aber es war trotzdem
       richtig aufzuhören. Ich bin 72 Jahre und fühle mich fit. Man sollte bei der
       extrem kräftezehrenden Arbeit an der Spitze die eigenen Möglichkeiten im
       Alter realistisch einschätzen. Das sage ich auch an die Adresse von
       Friedrich Merz, der mit knapp 70 Jahren Kanzler werden will.
       
       11 Jan 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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