# taz.de -- Wachsende Branche in Berlin: Bio mit mieser Umweltbilanz
       
       > Auf der Grünen Woche wird fleißig für Bioprodukte geworben. Doch nur ein
       > geringer Teil von ihnen kommt aus dem benachbarten Brandenburg.
       
 (IMG) Bild: Immer mehr Bioprodukte gehen über Berliner Theken
       
       Berlin taz | Wie kommt das gesunde Essen auf den Teller? Am besten noch die
       „ökologisch korrekte“ Mahlzeit, die aus biologisch-organischem Anbau ohne
       Pflanzenschutzmittel und anderen industriellen Agrochemikalien erzeugt
       wurde. Und noch besser: direkt aus der Region, ohne lange Lieferwege und
       mit Frische-Bonus. Um diese Fragen einer Alltagsverrichtung – „unser
       täglich Brot“ – hat sich ein Milliardenmarkt entwickelt, der gerade in
       Berlin einen besonders fruchtbaren Boden gefunden hat: der Hauptstadt der
       Biobranche.
       
       „Mehr Bio in Stadt und Land“ ist das Motto der Fördergemeinschaft
       Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL). Die FÖL erhebt jedes Jahr
       [1][zur Grünen Woche, der weltweit größten Agrarmesse], die noch bis
       Sonntag unter dem Berliner Funkturm stattfindet, die aktuellen Zahlen zum
       Biomarkt: Was die Bauern auf dem Acker und im Stall produziert haben und
       wie Gemüse und Fleisch über die Wege des Handels an die Verbraucher kommen,
       zumeist nach Berlin, der größten Stadt quasi im Herzen Brandenburgs.
       
       Die Anbausituation, mit besonderem Blick auf die Entwicklung des
       ökologischen Anbaus in Brandenburg, bewertet FÖL-Geschäftsführer Michael
       Wimmer ausgesprochen positiv. Nach den aktuellen Erhebungen, bei denen auf
       Daten des Potsdamer Agrarministeriums zurückgegriffen wird, werden in
       Brandenburg mittlerweile 225.245 Hektar Boden ökologisch bewirtschaftet.
       Das entspricht einem Bioanteil von 17,4 Prozent.
       
       „Damit verdrängte Brandenburg den bisherigen Spitzenreiter unter den
       Bundesländern, nämlich Hessen mit 16,3 Prozent, und ist jetzt wieder das
       Flächenland mit dem höchsten Bioflächenanteil“, stellt Wimmer fest. Mit
       genau 1.169 Biobetrieben wirtschaftet mittlerweile mehr als jeder fünfte
       Hof in Brandenburg ökologisch. Das entspricht einem Anteil von 21,8 Prozent
       aller Landwirtschaftsbetriebe. Mit staatlichen Fördermitteln zur Umstellung
       von der konventionellen zur biologischen Landwirtschaft soll dieser Anteil
       kontinuierlich gesteigert werden.
       
       ## Nur 15 Prozent Bio-Import aus Brandenburg
       
       Durch die Inflation der vergangenen Jahre hat die Dynamik der Umstellung
       etwas abgenommen. Mit 3,6 Prozent der Betriebe, die 2024 neu auf die Seite
       der ökologischen Landwirtschaft wechselten, war die Mark immer noch doppelt
       so gut wie der Bundesdurchschnitt mit 1,6 Prozent Umstellungsquote. „Dies
       machte Brandenburg wieder zum Bioland Nummer 1 unter den Flächenländern“,
       hebt Wimmer hervor.
       
       Das größte Problem stellt sich nach der Ernte. „Brandenburgische
       Landwirtschaftsbetriebe haben mit dem Berliner Markt den größten
       Bioabsatzmarkt der Republik in ihrer Mitte“, stellte auch der vom
       Brandenburger Landwirtschaftsministerium in Auftrag gegebene und 2024
       vorgestellte Biomarktbericht Brandenburg/Berlin fest. „Da dieses
       Marktpotenzial noch nicht ausreichend mit Erzeugnissen aus Brandenburg
       bedient werden kann, besteht weiter Handlungsbedarf“, erläutert der
       FÖL-Sprecher.
       
       Nur etwa 15 Prozent der Lebensmittel, die in Berlin verzehrt werden, kommen
       aus dem Brandenburger Umland. Eine theoretische Berechnung von
       Agrarforschern des Leibniz-Instituts ZALF in Müncheberg kam zu der
       Einschätzung, das bei entsprechender Umstellung der Anbaumethoden Berlin
       seine Selbstversorgung mit Lebensmitteln aus einem Umkreis von 100
       Kilometern sicherstellen könnte.
       
       Beim Absatz der Bioware gingen die Pfeile im vergangenen Jahr nach oben.
       Vor allem bei verpackten Biolebensmitteln, wie Nudeln, Müsli und Keksen,
       griffen die Verbraucher in den Läden vermehrt zu. Der Absatz erhöhte sich
       nach den FÖL-Zahlen von Januar bis September 2024 um 9,7 Prozent.
       
       ## Immer härterer Konkurrenzkampf
       
       In Berlin und Brandenburg legten die Verbraucherausgaben für
       Biofrischeprodukte, die etwa 60 Prozent des gesamten Biomarktes ausmachen,
       gegenüber der Vorjahr um 6,9 Prozent zu. Auch damit „baute Berlin seine
       bundesweite Spitzenposition bei Biofrischeprodukten aus“, unterstreicht
       Wimmer. In der Hauptstadt wuchs der Frische-Anteil um 12,5 Prozent, während
       es im Bundesschnitt etwas über 8 Prozent waren.
       
       Weil die Kundschaft erkennbar Biolebensmittel auf ihren Tellern haben will,
       hat im Bereich des Handels ein immer härterer Konkurrenzkampf eingesetzt.
       Bislang war dies die Domäne des Naturkostfachhandels, wozu Biosupermärkte,
       Biolieferdienste, handwerklich arbeitende Biobetriebe und
       Biodirektvermarkter gehören.
       
       Diese Geschäfte setzten nach FÖL-Erhebungen in Berlin-Brandenburg 2024 rund
       680 Millionen Euro um. 2023 waren es 652 Millionen Euro – ein Umsatzplus
       von 4,5 Prozent. Die wichtigsten Akteure im klassischen
       Naturkosteinzelhandel bleiben weiterhin die Biosupermärkte mit nunmehr 143
       Filialen. Marktführer in der Hauptstadtregion ist nach der FÖL-Statistik
       weiterhin die Bio Company mit 58 Filialen, gefolgt von Denn’s Biomarkt (54
       Filialen), Alnatura (21 Filialen) sowie der LPG (10 Filialen).
       
       Hier tobt der Kampf mit den konventionellen Lebensmittelketten, die vor
       Jahren überraschende Kooperationen mit ökologischen Anbauverbänden wie etwa
       „Bioland“ eingegangen war. Deren guter Name trug dazu bei, dass etliche
       Verbraucher in Zeiten hoher Inflation vom Biofachhandel zu den Discountern
       wechselten.
       
       ## Wachstumsbranche Bio
       
       Dort kann noch einiges passieren, erwartet Michael Wimmer von der FÖL.
       „Denn während im Naturkosteinzelhandel bereits 100 Prozent Bio erreicht
       sind, hat der Lebensmittel-Einzelhandel in Sachen Bio noch viel Luft nach
       oben.“ Dort stehen die Zeichen weiter auf Ausbau. So konnten die
       „Vollsortimenter“ wie Edeka und Rewe, im Jahr 2024 ihren Bioabsatz in der
       Hauptstadtregion um mehr als 9 Prozent steigern. „Noch stärker dürften die
       Bioumsätze bei den Discountern gewachsen sein“, schätzt Wimmer. Genaue
       Zahlen werden von dort nicht herausgegeben.
       
       Die für den Großraum Berlin festgestellten Trends kann der
       Biospitzenverband Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) auch für
       die gesamte Bundesrepublik bestätigen. Nach einer Arbeitsplatzstudie, die
       der BÖLW nun auf der Grünen Woche vorstellte, sorgt der Biosektor für rund
       380.000 Arbeitsplätze.
       
       Damit geben die Transformationssektoren Bio und Erneuerbare Energien
       (387.000 Arbeitsplätze) heute ähnlich vielen Menschen Arbeit wie die
       Automobilindustrie (780.000 Beschäftigte in 2023), stellt die Studie fest.
       Hinzu kommt: „Das ist Arbeit, die Spaß macht, weil sie Sinn stiftet“, sagte
       die BÖLW-Vorsitzende Tina Andres.
       
       Dass Bio eine Wachstumsbranche ist, zeigt der Vergleich mit der letzten
       Zählung von 2009, als der Sektor knapp halb so viele Beschäftigte (180.000)
       zählte und mit 5,8 Milliarden Euro etwa ein Drittel des Jahresumsatzes von
       2023 erzielte. Da waren es mehr als 16 Milliarden Euro. Bio hat sich auch
       2024 deutlich besser als der Marktdurchschnitt entwickelt.
       „Verbraucherinnen und Verbraucher haben trotz Inflation und
       Wirtschaftsflaute wieder deutlich mehr zu Bio gegriffen“, erklärte die
       BÖLW-Vorsitzende. „Damit erweisen sich die Bürgerinnen und Bürger als
       standfester als die von ihnen gewählte Politik.“
       
       ## Bauern profitieren kaum von höheren Preisen
       
       Wichtig für den Großraum Berlin ist die Verbesserung der Absatzkanäle. Das
       zeigte auch das jüngste Branchenbarometer der Brandenburger
       Marketingorganisation „pro agro“ – deren langjährige Geschäftsführerin
       Hanka Mittelständt zur neuen Agrarministerin im Kabinett von
       Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) aufstieg. „Kein Thema wurde in den
       Medien häufiger diskutiert als der Preisanstieg bei Lebensmitteln als Folge
       der Inflation“, heißt es in der Bestandsaufnahme.
       
       „Von höheren Preisen des Handels profitieren die Erzeuger allerdings kaum“.
       Für die [2][Brandenburger Bauern], in diesem Fall konventionell
       wirtschaftend, müssten die Absatzpreise beim Handel auf „über 10 bis über
       20 Prozent steigen, um nachhaltige wirtschaftliche Zukunftsaussichten zu
       entwickeln“.
       
       Laut Pro-agro-Geschäftsführer Kai Rückewold hat eine Umfrage bei über 400
       landwirtschaftlichen Direktvermarktern und Unternehmen der
       Ernährungswirtschaft erneut bestätigt, dass der größte Umsatzanteil über
       den Lebensmitteleinzelhandel (52 Prozent) und die Direktvermarktung (25
       Prozent) erwirtschaftet wird. Daher werde es umso wichtiger, „die Bedeutung
       der regional erzeugten Lebensmittel in den Kern-Käufergruppen weiter zu
       verankern“, unterstrich Rückewold. „Regionale Marken haben die besten
       Entwicklungsoptionen.“
       
       23 Jan 2025
       
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