# taz.de -- Tagung des Tikvah-Instituts: Mehr Strafrecht gegen Antisemitismus?
       
       > Beim Kampf gegen Antisemitismus darf es keine Strafbarkeitslücken geben.
       > Unter dieser Prämisse prüfte eine Tagung das Strafrecht und machte
       > Reformvorschläge.
       
 (IMG) Bild: Der „ungeimpft-Stern“: Protest gegen die Einschränkungen durch die Pandemie-Maßnahmen, 2021
       
       Freiburg taz | Der Bundestag hat sich in seiner Resolution zum Schutz
       jüdischen Lebens in Deutschland jüngst dazu bekannt, „Gesetzeslücken zu
       schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen“. Was das
       konkret heißen könnte, war Thema der Tagung „Antisemitismusbekämpfung mit
       dem Strafrecht“ in Berlin. Veranstalter war neben der CDU-nahen
       Konrad-Adenauer-Stiftung das Tikvah-Institut zur Eindämmung des
       Antisemitismus, gegründet 2020 vom Ex-Abgeordneten Volker Beck (Grüne), der
       auch Geschäftsführer ist.
       
       Im Fokus der Tagung stand vor allem der aktuelle israelbezogene
       Antisemitismus, der die [1][Fallzahlen antisemitischer Straftaten in
       Deutschland explodieren ließ]. Schon im November 2023 hatte die CDU/CSU im
       Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, der das Leugnen des
       Existenzrechts Israels und Aufrufe zur Beseitigung des Staates Israel als
       Volksverhetzung bestrafen wollte. Bei einer Anhörung im Januar gab es aber
       massive Bedenken von Sachverständigen. Denn laut Artikel 5 Grundgesetz kann
       die Meinungsfreiheit nur durch „allgemeine Gesetze“ eingeschränkt werden.
       Das heißt: Es dürfen keine einzelnen Meinungsäußerungen verboten werden.
       
       Der Zentralrat der Juden in Deutschland schlägt nun vor, ein neues Delikt
       „Aufruf zur Vernichtung von Staaten“ zu schaffen und in einem neuen
       Paragrafen 103 im Strafgesetzbuch unter Strafe zu stellen. Ein Entwurf des
       Tikvah-Instituts sieht vor, dass auf diese Weise alle UN-Staaten geschützt
       werden sollen. Dieser Vorschlag dürfte bessere Chancen auf Verwirklichung
       haben.
       
       Im Volksverhetzungs-Paragrafen 130 ist inzwischen eine Vielzahl von
       Delikten versammelt, so die Aufstachelung zum Hass gegen Gruppen der
       Bevölkerung, die Leugnung des Holocaust sowie die Verherrlichung und
       Billigung der NS-Gewaltherrschaft.
       
       ## Nach Corona mehr Antisemitismus
       
       Wenn in Paragraf 130 von einem „Teil der Bevölkerung“ die Rede ist, bezieht
       sich dies nach herrschender Auffassung auf die inländische Bevölkerung.
       Auch wegen dieses Inlandsbezugs wurden keine Ermittlungsverfahren im
       Zusammenhang mit antisemitischen Darstellungen auf der documenta 15 in
       Kassel eingeleitet.
       
       Zudem kann die Parole „From the River to the Sea, Palestine will be free“
       nicht als Volksverhetzung verfolgt werden, da sie – wenn überhaupt – die
       Vernichtung des Staats Israels impliziert, aber jedenfalls keine Aussagen
       über Juden in Deutschland trifft. Auf der Berliner Tagung wurde deshalb
       gefordert, auf den Inlandsbezug bei einer Reform von Paragraf 130 zu
       verzichten.
       
       In der Praxis haben sich Staatsanwaltschaften und Gerichte bei der Parole
       „From the River to the sea“ häufig damit beholfen, dass diese Parole als
       Kennzeichen der terroristischen Vereinigung Hamas eingestuft wurde. Auf
       eine Strafbarkeit als Volksverhetzung kommt es also nicht mehr so sehr an.
       
       Neben dem Nahostkonflikt hat auch die Corona-Pandemie zu einer Zunahme von
       Antisemitismus-Verfahren geführt. So trugen viele Impfpflicht-Gegner gelbe
       Sterne mit der Aufschrift „ungeimpft“, die an die gelben Judensterne der
       NS-Diktatur erinnerten. Für Laura Schwarz, wissenschaftliche Mitarbeiterin
       der Berliner Humboldt-Universität, liegt hier eindeutig eine
       Volksverhetzung vor; hier werde der Holocaust verharmlost.
       
       ## Strafrecht als Normbestätigung
       
       Die näherliegende Gegenposition vertritt zum Beispiel Rechtsprofessorin
       Elisa Hoven, die aber in Berlin nicht anwesend war. Danach handelt es sich
       bei den „ungeimpft-Sternen“ um eine „Überdramatisierung des eigenen Leids“,
       die nicht strafbar ist, weil sie den Holocaust als besonders großes Unrecht
       gerade nicht infrage stellt.
       
       Der Berliner Staatsanwalt Tim Kaufmann, der auf antisemitische Straftaten
       spezialisiert ist, hält die Verharmlosungsfälle für praktisch sehr
       relevant. „Es ist kein Problem zu klein, um es nicht mit dem Holocaust zu
       vergleichen.“
       
       Was aber bringt das Strafrecht nun im Kampf gegen den Antisemitismus? „Es
       ist ein besonders starkes Symbol“, betonte Rechtsprofessor Michael
       Kubiciel, und meinte das positiv, „das Strafrecht dient vor allem der
       Normbestätigung.“
       
       Für Volker Beck hat das Strafrecht aber auch handfesteren Nutzen: „An die
       Festlegung, was strafbar ist, können Behörden auch andere Entscheidungen im
       Kampf gegen den Antisemitismus anknüpfen – etwa wem sie Räume oder
       Zuschüsse verweigern dürfen. Beck kann sich daher vorstellen, auch
       Boykottaufrufe gegen Staaten zu Straftaten zu machen. So könnten
       Raumverbote für Israel-Boykott-Initiativen rechtfertigt werden. Das
       Bundesverwaltungsgericht hatte darin in einem Grundsatzurteil 2022 noch
       eine Verletzung der Meinungsfreiheit gesehen.
       
       12 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/polizei-antisemitismus-faeser-israel-100.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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