# taz.de -- Anschlag in Magdeburg: Bis Freitag war er einer von uns
       
       > Auch wenn er aus Saudi-Arabien stammt, ist der Attentäter ein radikaler
       > Islamhasser. Viele wollen das nicht wahrhaben – denn er ist damit nicht
       > allein.
       
 (IMG) Bild: Nach dem Anschlag: Kerzen gedenken der Opfer
       
       Der furchtbare [1][Anschlag in Magdeburg] wirkte aufgrund des Ziels
       zunächst wie die Tat eines Islamisten. Er erinnerte an den Anschlag von
       Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt in Berlin 2016. Doch seit die Identität
       des 50-jährigen Attentäters von Magdeburg bekannt ist, weiß man: Er war ein
       Fan von [2][Geert Wilders], Elon Musk, der AfD. Und er hasste Angela
       Merkel, Muslime und den Islam. Sein Online-Profil auf X ist ideologisch
       eindeutig. Weil er fand, Deutschland treibe die „Islamisierung“ Europas
       voran, wollte er das Land bestrafen und möglichst viele Menschen töten.
       
       Bei solchen Tätern fragt man sich immer: Wie haben sie sich radikalisiert?
       Welche Hassprediger haben sie beeinflusst, wer hat sie ideologisch geprägt,
       in welchem Umfeld haben sie sich bewegt? In diesem Fall findet man die
       entsprechende Literatur leider in jedem deutschen Buchladen. Radikalere
       Varianten dieses Denkens finden sich im Netz, bei Bewegungen wie Pegida und
       in den Parlamenten bei der AfD, die in Sachsen-Anhalt zuletzt 20 Prozent
       erzielte. Dort gehen sie in Verschwörungsideologien vom „Großen Austausch“
       der Bevölkerung und einer Unterwanderung des Landes durch radikale Muslime
       über, wie sie der Attentäter von Magdeburg offenbar teilte.
       
       Es wäre ein Euphemismus, den Täter zum „Islamkritiker“ zu adeln, wie es
       manche Medien tun. Er handelte offenbar aus paranoidem Islamhass. Mit seine
       Anschlag knüpft er an jene Rechtsterroristen an, die 2011 in Norwegen, 2017
       im kanadischen Quebec und 2019 in Neuseeland Terroranschläge verübt haben.
       Diese richteten sich im Fall von Breivik gegen Behörden und ein
       sozialdemokratisches Jugendcamp, in den anderen beiden Fällen gegen
       friedliche Moscheegemeinden. Auch der Attentäter von Hanau handelte aus
       antimuslimisch-rassistischen Motiven, als er im Februar 2020 in zwei
       Shisha-Bars neun Menschen erschoss.
       
       ## Rechtsextreme leugnen die Ideologie
       
       Weil der Täter von Magdeburg ursprünglich aus Saudi-Arabien stammt und sein
       Ziel ein Weihnachtsmarkt war, wollen viele nicht glauben, dass er
       möglicherweise ein radikaler Islamhasser war. Doch auch Menschen, die aus
       muslimisch geprägten Ländern stammen oder früher selbst Muslime waren,
       können für solches Denken anfällig sein. Der Attentäter von München, David
       Sonboly, der 2016 aus Hass auf Muslime neun überwiegend junge Menschen
       tötete, war iranischer Herkunft. Der [3][Schriftsteller Akif Pirinçci, der
       bei den antimuslimischen Pegida-Demonstrationen auftrat und gegen Muslime
       hetzte], stammt aus der Türkei. Es gibt einen simplen Grund, warum
       ehemalige Muslime in Europa zu rechtsextremen Einstellungen neigen können:
       Sie erhalten dafür Applaus und Bestätigung, und das bestärkt sie in ihrem
       Wahn. Eine Prise Selbsthass ist womöglich auch dabei.
       
       Den Rechtsextremisten von AfD bis Nius, von [4][Martin Sellner] bis Elon
       Musk, ist ihre ideologische Nähe zum Attentäter von Magdeburg natürlich
       unangenehm. Einige von ihnen behaupten, er habe lediglich „psychische
       Probleme“ gehabt und deshalb einen „Amoklauf“ begangen, keinen
       Terroranschlag. Oder sie leugnen, dass der Täter ein Ex-Muslim und
       AfD-Anhänger gewesen sein könnte, und unterstellen ihm, er habe sich bloß
       verstellt.
       
       Sie mutmaßen, der Täter müsse schon immer ein islamistischer Schläfer
       gewesen sein. Für sie gilt: einmal Muslim, immer Muslim. Dass der
       Attentäter einen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt verübte, reicht ihnen
       als Indiz, dass er aus anderen Motiven gehandelt haben könnte, als er
       vorgibt. Dass er aus Saudi-Arabien stammt, reicht ihnen, um mal wieder eine
       „falsche Migrationspolitik“ anzuprangern. Mit anderen Worten: Rechtsextreme
       nutzen die Tat eines Rechtsextremisten, um weiter ihren Hass zu verbreiten.
       
       ## Der Attentäter war eine öffentliche Person
       
       Die wichtigste Frage ist aber, warum der Anschlag nicht verhindert werden
       konnte. Denn der Attentäter war eine öffentliche Person. Er hatte allein
       auf X über 46.000 Follower und viele Kontakte in die radikal
       antimuslimische Szene weltweit. Auch Journalisten folgten ihm, und er gab
       mehreren Medien in den vergangenen Jahren Interviews. Er war mehreren
       Behörden bekannt, sein Profilbild zeigt ein Maschinengewehr und er hat
       mehrmals angekündigt, eine spektakuläre Tat zu begehen und sogar Gewalt
       anwenden zu wollen. Es gab Warnungen, aber sie verhallten ungehört.
       
       Die Behörden und sein Umfeld haben seine Radikalisierung unterschätzt. Die
       Frage ist: warum? Eine mögliche, unangenehme Antwort darauf lautet: der
       Täter stand mit seinem Hass auf Muslime nicht alleine. Sein Denken ist in
       Deutschland so verbreitet, dass er damit nicht sonderlich auffiel. Er war
       einer von uns – bis er am Freitagabend mit einem Auto in einen
       Weihnachtsmarkt fuhr.
       
       23 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Daniel Bax
       
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