# taz.de -- Tödliche Gewalt gegen Frauen: „Weiter Forschungs- und Klärungsbedarf“
       
       > Erstmals hat das BKA ein Lagebild zu geschlechtsspezifischer Gewalt
       > vorgestellt. Viktoria Piekarska vom Juristinnenbund über rechtliche
       > Unschärfen.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen Gewalt an Frauen in Berlin: Hierzulande gibt es keine juristische Definition von Femiziden
       
       taz: Frau Piekarska, das Bundeskriminalamt (BKA) hat bisher jährlich das
       Lagebild zu häuslicher und partnerschaftlicher Gewalt veröffentlicht.
       Vergangene Woche wurde zum ersten Mal das Lagebild
       [1][„Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten]“
       veröffentlicht. Warum? 
       
       Viktoria Piekarska: Laut der [2][Istanbulkonvention], also dem
       Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen
       Frauen, ist Deutschland verpflichtet, bestimmte Daten zu sammeln und zu
       veröffentlichen. Unter anderem geht es dabei darum, Daten zu
       geschlechtsspezifischer Gewalt gesondert zu erheben und darzustellen. Das
       BKA kommt dem nun mit dem Lagebild nach. Zudem werden darin erstmalig gegen
       Frauen gerichtete Taten als politisch motivierte Kriminalität erfasst.
       
       taz: Was bisher gemacht wurde, hat also nicht gereicht? 
       
       Piekarska: Das bisherige Lagebild hatte andere Ziele. Bisher wurde
       abgebildet, wie häusliche und partnerschaftliche Gewalt ausgeprägt sind: In
       welchen Formen existiert häusliche Gewalt, in welchen Straftatbeständen
       bewegt sie sich, wer ist Täter, wer Opfer? Aber damit kam man der
       völkerrechtlichen Verpflichtung nicht vollumfänglich nach.
       
       taz: Was versteht das BKA unter „geschlechtsspezifischer Gewalt“? 
       
       Piekarska: Der Begriff ist ursprünglich in der Frauenrechtskonvention CEDAW
       von 1985 verankert. Er setzt sich aus zwei Elementen zusammen: Einmal
       richtet sich geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen, weil sie Frauen
       sind. Geschlechtsspezifisch motiviert können zum Beispiel Taten durch
       Besitzansprüche eines Täters oder durch Kontrolldenken sein. In ihrer
       intensivsten Form kann dabei Frauenhass zum Ausdruck kommen, zum Beispiel
       bei Taten von Incels.
       
       taz: Und das zweite Element? 
       
       Piekarska: Das bildet die strukturelle Dimension ab. In dem neuen
       Lagebericht sind das Straftaten, die Frauen primär oder häufig betreffen,
       oder Taten, die überwiegend zum Nachteil von Frauen begangen werden. Ein
       Beispiel wäre häusliche Gewalt, aber auch Menschenhandel. Bei
       Tötungsdelikten ist es schon schwieriger, da setzt sich die
       Opfer-Täter-Struktur komplexer zusammen.
       
       taz: Das neue Lagebild nimmt wie das vorherige die Polizeiliche
       Kriminalstatistik (PKS) als Grundlage. Reicht die für die neuen Kategorien
       aus, die ja differenzierter sein möchten als die bisherigen? 
       
       Piekarska: Die PKS ist die zentrale Kriminalstatistik hierzulande. Es
       handelt sich um eine Eingangsstatistik, die zu Beginn der strafrechtlichen
       Verfolgung erhoben wird. Die PKS ist eine Momentaufnahme, die rechtliche
       Bewertung kann sich im Laufe des Strafverfahrens verändern, Taten können
       herauf- oder herabgestuft werden. Kritikwürdig ist zudem, dass ihr ein
       binäres Geschlechterbild zugrunde liegt. Und schließlich werden nur
       bestimmte Daten erfasst und aufgeschlüsselt. Die PKS ist als statistische
       Grundlage also sehr hilfreich. Aber manche konkreten Daten stehen eben
       nicht zur Verfügung und sie lässt nicht unbegrenzt Interpretation zu.
       
       taz: Das fällt zum Beispiel bei der Kategorie „Femizid“ auf. Zwar wird
       diese Kategorie mit Zahlen hinterlegt – zugleich aber schränkt das BKA die
       Zahlen dahingehend ein, dass man „Femizide“ mit den vorliegenden Daten gar
       nicht darstellen könne. 
       
       Piekarska: Beim Themenkomplex Femizid gibt es noch ein weiteres Problem: Es
       gibt in Deutschland keine gültige politische oder juristische Definition,
       keinen Straftatbestand. Das sagt der Bericht auch sehr deutlich. Das BKA
       bezieht sich im neuen Lagebericht rein auf die soziologische Definition:
       Femizid ist die Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind. Trotzdem sollen
       Aussagen getroffen werden – und werden es auch – hinsichtlich der
       Betroffenheit von Frauen. In einer Kriminalstatistik, die auf
       Rechtsbegriffen aufbaut, ist das schwierig.
       
       taz: Es produziert Widersprüche. 
       
       Piekarska: Ich würde sagen, ein bestehendes Problem schlägt hier auf die
       statistische Darstellung durch. Das BKA sagt selbst, dass es sich nur um
       eine Annäherung handelt. Letztlich zeigt das Lagebild, wie häufig Mädchen
       und Frauen von tödlicher Kriminalität betroffen sind: 360 Mal 2023. Zudem
       werden die betreffenden Straftatbestände gezeigt, also Mord, Totschlag,
       Totschlag in minderschweren Fällen und Körperverletzung mit Todesfolge.
       Nicht in all diesen Taten lag ein geschlechtsspezifisches Motiv vor, so
       auch der Lagebericht. Die Motivation wird in der PKS nicht erfasst.
       
       Aber? 
       
       Piekarska: Bei innerfamiliärer und partnerschaftlicher Gewalt ist eine
       geschlechtsspezifische Tat naheliegend. Aber um alle weiteren Fälle klar
       bewerten zu können, müsste man sie sich im Einzelnen anschauen oder die
       Motivation von Anfang an erheben. Nachträglich kann man keine Aussage dazu
       treffen, ob man generell alle Taten Femizid nennen sollte.
       
       taz: Raubmorde werden nicht einberechnet – weil das eben keine Femizide
       sind? 
       
       Piekarska: Es müssen ja noch nicht einmal alle Morde Femizide sein. Der
       Täter kann auch – ich konstruiere jetzt – die Nachbarin wegen fünf Euro
       getötet haben, das wäre dann ein Habgiermord, hat aber nicht unbedingt mit
       dem Geschlecht des Opfers zu tun.
       
       taz: Warum arbeitet das BKA mit dem Begriff Femizid, wenn es dazu keine
       konkreten Aussagen treffen kann? 
       
       Piekarska: Es besteht ein gewisses gesellschaftliches Bedürfnis danach –
       auch, weil der Femizid die schwerste Ausprägung geschlechtsspezifischer
       Gewalt ist. Aber das BKA sagt ja auch ganz klar, dass weiter
       Forschungsbedarf und Klärungsbedarf bestehen.
       
       taz: Ist dieses Lagebild in der gegenwärtigen Form überhaupt sinnvoll? 
       
       Piekarska: Prinzipiell ist es begrüßenswert, das Deutschland den
       Verpflichtungen der Istanbulkonvention nachkommt. Gut ist auch, dass die
       Sichtbarkeit geschlechtsspezifischer Kriminalität steigt.
       
       taz: Haben Sie Hoffnung, dass das Lagebild in Bezug auf den Femizid
       weiterentwickelt wird? 
       
       Piekarska: Es wurde bereits eingestanden, dass es bisher keine klare
       Definition des Femizids gibt. Nun müsste es auf der politischen Ebene die
       Klärung geben, was erfasst wird und ob die Kategorie weiter als Femizid
       bezeichnet wird. Man könnte in der PKS zum Beispiel die Motivation
       erfassen. Dann könnten Taten, denen als eines von mehreren Motiven eine
       geschlechtsspezifische Motivation zugrunde liegt, konkret als Femizid oder
       geschlechtsspezifische Straftat benannt werden.
       
       28 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/StraftatengegenFrauen/StraftatengegenFrauen_node.html
 (DIR) [2] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsschutz/europarat/menschenrechtsabkommen-des-europarats/istanbul-konvention
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Patricia Hecht
       
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