# taz.de -- Film „Vena“ im Kino: Sich der eigenen Person stellen
       
       > „Vena“ erzählt von ungewollter Schwangerschaft, Drogen und
       > institutioneller Gewalt. Es ist das Spielfilmdebüt von Chiara
       > Fleischhacker.
       
 (IMG) Bild: Eine Welt voll Pink: Jenny (Emma Drogunova) in „Vena“
       
       Alles in Jennys Welt glitzert. Ihre Orchideen bestäubt sie mit funkelndem
       Puder, an der Rückseite ihres Handys türmen sich lilafarbene Partikel,
       Täschchen, Lidschatten, Nagellack – eine schimmernde Palette von Rosa bis
       Blau.
       
       Jenny (Emma Nova) hat sich, buchstäblich, ihr eigenes Universum geschaffen.
       Denn auch dieses projiziert sie sich immer wieder selbst gegen die
       Wohnungswände, dazu ein paar ätherische Klänge. Oder Techno.
       
       Die Glitzerutensilien werden dann durch andere ergänzt: akribisch gefaltete
       Schiffchen etwa, in denen sich zu Puder zerstoßenes Crystal Meth befindet.
       Einmal präsentiert Freund Bolle (Paul Wollin) ihr auch ein besonders
       großes, ein besonders schönes Stück der Droge. Und tatsächlich – der
       kleine, anmutig scheinende Kristall passt ganz wunderbar in diese dunkle
       Wohnung, die manchmal wie eine seltsame Edelsteinhöhle wirkt.
       
       Jennys Frauenärztin findet andere Worte. Zum Beispiel für ihren Körper, in
       dem sich seit einigen Monaten, Jenny weiß nicht genau wie vielen, ein Baby
       befindet. „Dein Körper ist ein Chemielabor und keine Naturweide“, tadelt
       sie ihre Patientin.
       
       Gewinnerin des First Steps Awards 
       
       Chiara Fleischhacker, die „Vena“ geschrieben und zudem die Regie übernommen
       hat, und die mit ihrem Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg
       den diesjährigen [1][First Steps Award] gewonnen hat, lässt ihre
       Protagonistin wiederholt die Härte von Fachpersonal und Institutionen
       spüren.
       
       Es ist ein Grund, den Fleischhacker für Jennys Verhalten anführt: dicht
       machen, dicht werden. Da die Außenwelt mit Auflagen, Forderungen,
       Vorwürfen. Hier das giftige Nest samt Rausch, Sex, flüchtigem Komfort. Dass
       sich zwischen beides nun eine unbeteiligte Dritte schiebt, Lexa, wie Jenny
       das Ungeborene gemeinsam mit Bolle tauft, bringt das anfällige Gefüge ins
       Wanken. Auch eine Ladung zum Strafvollzug liegt vor.
       
       Fleischhackers Film ist eine Erzählung über Entscheidungen. Wie hart es
       ist, sich diesen zu stellen, und wie leicht, ihnen aus dem Weg zu gehen.
       Zumal wenn eine Sucht, die ihrerseits das Kommando übernimmt, gefasste
       Vorsätze mit Freude torpediert, Beziehungen gefährdet und zur Marionette
       macht.
       
       Dabei bleibt „Vena“ nicht allein bei stoffgebundenen Abhängigkeiten. Jennys
       Hebamme Maria (Friederike Becht), die sich behutsam, aber bestimmt einen
       Pfad zur Schwangeren bahnt, berichtet von [2][Mager- und Sportsucht].
       Bolle, bald Jenny und der Vorstellung von einer gemeinsamen Familie zur
       Liebe entzügig, hockt plötzlich in der Badewanne, den ganzen Rücken blutig
       von aufgekratzten, zwanghaft bearbeiteten Hautunreinheiten. Die Anspannung,
       die unruhigen Hände haben sich ein neues Ventil gesucht.
       
       Konsum und seine Folgen 
       
       „Vena“ zeigt Konsum und seine Folgen, labt sich aber nicht an ihnen.
       Tatsächlich erscheinen einem sowohl Jenny als auch Bolle immer dann am
       entferntesten, wenn sie von sich selbst am stärksten abgerückt sind. Jenny
       putzt dann nackt das Bad zu schnellen Beats, Bolle klebt nachts vorm
       Computer und onaniert. Wichtiges, wie der im Eisfach konservierte
       Schneeball von Jennys erstem Kind, das nicht bei ihr, sondern bei dessen
       Oma lebt, schmilzt aufgrund einer versehentlich offengelassenen Tür.
       
       All das könnte plakativ und effekthascherisch wirken, ist jedoch Teil einer
       bewussten Bildsprache. Denn Fleischhacker versteht es durchaus, den allzu
       üblichen Erklärungsschwall im deutschen Film mit eigenständig
       kommunizierenden Aufnahmen zu ersetzen.
       
       Diese sind zwar nicht immer sonderlich subtil – wie Jennys Gesicht, das
       nach und nach hinter Schichten von Make-up zum Vorschein kommt, oder das
       warme Licht, in das Maria und Jenny bei einer anderen, gesünderen Form von
       Ekstase getaucht werden. Aber man versteht.
       
       Herzschläge wie BPM 
       
       Andere Einfälle machen mehr Spaß: Etwa die Entdeckung, dass die Herzschläge
       ihres Kindes den BPM aus den Kopfhörern ähneln. Oder Jennys
       leidenschaftliche Orchideenpflege, die durchaus mit [3][einer gewissen
       Mütterlichkeit] in Verbindung gebracht werden möchte.
       
       Irgendwann glitzert kaum noch etwas in Jennys Leben. Dafür gibt es
       Sonnenschein und eine innere Entschlossenheit, sich der eigenen Person zu
       stellen. Gefühle scheinen auf. Da ist Liebe. Es könnte schön sein, fast
       kitschig, strahlend und heroisch. Und das ist es auch. Doch Jenny weiß:
       „Liebe reicht nicht immer.“
       
       Im letzten Drittel lässt „Vena“ die institutionelle Gewalt kulminieren,
       macht das Misstrauen gegen Ämter und potenzielle Vormünder, das schon die
       ganze Zeit schwelte und vereinzelt durchbrach, manifest. Chiara
       Fleischhacker erklärt ihre Heldin, die sie zu keiner Sekunde ihres Films je
       verlässt, zur Gewinnerin und Verliererin zugleich. Denn über sich selbst zu
       siegen, bedeutet nicht, auch in der Welt zu siegen. Immerhin: Wach, clean
       lässt es sich zumindest antreten, ist der Kampf nicht schon von vornherein
       verloren.
       
       28 Nov 2024
       
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