# taz.de -- Zaun um den Görlitzer Park: Malen nach Zahlen
       
       > Nachts im Görli werden mehr Straftaten erfasst. Doch der Statistik ist
       > nicht zu trauen. Polizei und Senat rechnen sich den Park absichtlich
       > gruselig.
       
 (IMG) Bild: Wo die Polizei kontrolliert, da wird es kriminell: Einsatz im Görli im März 2024
       
       Als Regierender Bürgermeister hat man es manchmal einfach schwer. Man würde
       so gern sinnvolle Entscheidungen treffen, alles anders machen, vielleicht
       sogar menschenfreundliche Politik. Aber was muss, das muss nun einmal, und
       da kann sich auch der mächtigste Mann Berlins nicht den nüchternen
       Sachzwängen widersetzen.
       
       So zumindest klingt es, wenn Kai Wegner beklagt, ihm seien beim [1][Thema
       Görli-Zaun] schlichtweg die Hände gebunden: „Mir wäre am liebsten, ich
       müsste den Zaun gar nicht bauen“, seufzte der CDU-Politiker Anfang der
       Woche [2][bei einem Bürgerdialog in Kreuzberg].
       
       Doch anscheinend muss er. Schließlich habe die Polizei ihm empfohlen, die
       Kreuzberger Grünfläche einzuzäunen und nachts abzuschließen. „Und das
       machen wir jetzt“, sagte Wegner.
       
       Auf den ersten Blick geben ihm [3][die neuen Zahlen zur Kriminalität im
       Görli] recht. Denn sie zeigen zwar, dass insgesamt im Park weniger
       Straftaten verübt werden als noch im Vorjahr. Bei Nacht aber sind es
       doppelt so viele wie noch 2024. Ist der Görli also nachts gefährlicher
       geworden?
       
       ## Wo die Polizei kontrolliert, wird es kriminell
       
       Spoiler: Nein, das lässt sich so nicht belegen. Was die Zahlen aber wieder
       einmal demonstrieren: Der Görli ist und bleibt ein Politikum – und die
       Polizei ein politischer Akteur, dessen Statistiken keine objektiven Fakten
       darstellen. Die Einsatzstrategie der Polizei produziert die Daten, die den
       Park nachts gefährlich erscheinen lassen.
       
       Wie funktioniert das? Zunächst einmal ist bemerkenswert, dass die Polizei
       im bisherigen Jahr 2024 deutlich – fast ein Drittel – weniger
       Einsatzstunden für den Görlitzer Park und den Wrangelkiez aufgewendet hat.
       Kein Wunder, schließlich war und ist in Berlin eine Menge los, wie etwa die
       [4][Fußball-EM] im Sommer und die regelmäßigen [5][Nahost-Demos].
       
       Gleichermaßen sind auch die im Görlitzer Park erfassten Straftaten um ein
       Drittel gesunken. 909 waren es von Januar bis September, im gleichen
       Zeitraum 2023 waren es noch 1.351 gewesen. Das ist kein Wunder, schließlich
       führt weniger Polizeipräsenz zumeist auch zu weniger registrierten Delikten
       in Kriminalstatistiken.
       
       Hinzu kommt, dass mit der [6][Teillegalisierung von Cannabis] die erfassten
       Drogen-Vergehen im Görli drastisch eingebrochen sind: um mehr als 40
       Prozent sind Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und das Gesetz zu
       neuen psychoaktiven Stoffen zurückgegangen.
       
       ## Massiver Anstieg gegen den allgemeinen Trend
       
       Zwei Gründe also, die den allgemeinen Rückgang der Kriminalität im Park gut
       erklären. Aber wie kann es dann sein, dass die nächtlichen Straftaten so
       massiv zugenommen haben? 669 Delikte hat die Polizei von Januar bis
       September in den Nachtstunden von 22 bis 6 Uhr registriert – also fast drei
       Viertel aller Taten, die bislang dieses Jahr im Görli dokumentiert wurden.
       Im selben Zeitraum im Vorjahr waren es bloß 339 nächtliche Straftaten, bei
       einem viel größeren Gesamtaufkommen.
       
       Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Denn zum größten Teil handelt es sich
       bei den Straftaten im Görli um sogenannte Kontrolldelikte, die nur
       auffliegen, [7][wenn die Polizei Menschen kontrolliert]: Drogendelikte und
       Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz.
       
       Der Verdacht liegt nahe, dass die Polizei sich noch stärker als bisher
       darauf konzentriert, nachts im Park zu patrouillieren – obwohl die
       Einsatzstunden insgesamt deutlich zurückgefahren wurden. Polizei und Senat
       betreiben hier also Malen nach Zahlen; es entsteht ein Grusel-Bild vom
       Görli, Zaun und nächtliche Schließung scheinen alternativlos.
       
       Noch im Frühjahr hatte Kai Wegner einfach mit völlig falschen Zahlen zum
       Arbeitsaufwand der Polizei argumentiert, um die Notwendigkeit des Zauns zu
       untermauern. Peinlich, als Innensenatorin Iris Spranger [8][später
       einräumen musste, dass ihr Chef komplett übertrieben hatte].
       
       ## Der Zaun bleibt ein Irrweg
       
       Praktisch also, wenn jetzt eine korrekt erhobene und schwer zu
       interpretierende Statistik die Behauptung vom nachts gefährlichen Görlitzer
       Park untermauert. So kann Wegner vorschieben, ihm bleibe nichts anderes
       übrig, als die Grünfläche einzugittern und zu verriegeln.
       
       Doch es [9][bleibt ein Irrweg]. Denn der Blick auf die Daten verrät auch,
       dass die Situation in den Kiezen rund um den Görlitzer Park dramatisch ist.
       Rund um Reichenberger und Wrangelstraße ist die Zahl der Straftaten nahezu
       gleich hoch geblieben – trotz des Rückgangs der Drogendelikte um mehr als
       40 Prozent.
       
       Denn gleichzeitig schnellt die Zahl der Fahrraddiebstähle, Einbrüche und
       Raubüberfälle in die Höhe. Typische Anzeigedelikte – also unabhängig von
       mehr oder weniger Polizeikontrollen –, die auf ein massives und weiter
       wachsendes Problem mit Beschaffungskriminalität hindeuten.
       
       Hinter diesen Zahlen verbergen sich die Schicksale von Menschen, die
       [10][von Sucht, Armut und Verelendung betroffen sind], von Migrant*innen,
       denen wegen fehlender Papiere keine Perspektive gewährt wird. Es sind diese
       Ursachen, die Gesellschaft und Politik angehen müssen. Die Polizei ist
       dabei keine Hilfe – und der Zaun erst recht nicht.
       
       1 Nov 2024
       
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