# taz.de -- DIY-Musikszene Leipzigs: Zwischen Aufbruch und Verdrängung
       
       > Neue Alben von Shed Ballet, Afar Odea und Fastmusic aus Leipzig zeigen
       > vielfältigen Sound, der trotz prekärem Freiraum der wachsenden Stadt
       > gedeiht.
       
 (IMG) Bild: Glamrock rudimentär: Shed Ballet aus Leipzig
       
       Sich der eigenen Fragmentarisierung und Verletzlichkeit stellen: In den
       ersten Herbstwochen sind in Leipzig fast zeitgleich drei Debütalben lokaler
       Bands und Soloprojekte veröffentlicht worden, die sich auf je eigene, teils
       fulminante Herangehensweise musikalisch mit diesen Thematiken
       auseinandersetzen. Hinter allen Werken stehen suchende, teils langwierige
       Prozesse. Und man hört den Werken diese Leidenschaft an.
       
       Den Auftakt machte „Claim“, das Debütalbum von Shed Ballet, veröffentlicht
       beim Leipziger Indielabel Ketzerpop. Das Trio beschreibt die eigene Musik
       als „Rudimental Glamrock“: Einflüsse aus Wave, Postpunk und Psychedelicrock
       blinken im Sound von Shed Ballet auf. Mit wenigen, dafür markanten
       musikalischen Stilmitteln schöpfen die drei Künstlerinnen enorme Energie.
       „Shed“ bedeutet sich häuten. Die Band sieht darin ein Symbol der
       Veränderung, die Möglichkeit sich neu zu erfinden, immer weiterzuwachsen.
       
       Wachsen konnte auch die Musik des Albums „Claim“ mit ihren
       düster-treibenden, lichten und theatralischen Momenten. Hannah Becker,
       Doris Riedel und Kerstin Peupelmann spielen bereits seit 2014 als Shed
       Ballet zusammen. „Summer Went By“, das Finale des Albums, begleitet das
       Trio seit mehr als acht Jahren.
       
       ## Melancholisch und fröhlich zugleich
       
       Es beginnt ungewöhnlich langsam, mit einer aufgeladenen Orgelfläche und
       getragenem zweistimmigem Gesang: „What we hide / Is what we get“. Mit dem
       Einsatz der angezerrten E-Gitarre verdoppelt sich die Frequenz des
       heruntergebrochenen, stapfenden Schlagzeugs, bis die Spannung mit einem
       strahlenden Orgelarpeggio und von melancholischer Fröhlichkeit tanzend
       ausbricht.
       
       Ganz anders und viel weniger minimalistisch klingt der Sound von Afar Odea.
       Auch wirken die Konzerte vom Künstler Konrad Jackisch, der live mit Band
       auftritt, meist größer als der Raum, in dem sie stattfinden. Nun gibt es
       auch endlich sein Debütalbum, es heißt „You’ll be better soon“ und wurde im
       Eigenverlag veröffentlicht.
       
       ## Überwältigend experimentell
       
       Seit 2018 hat Jackisch an den Songs gearbeitet. Entstanden sind acht
       experimentelle Popsongs jenseits klassischer Songstrukturen, Musik in
       ständiger Auflösung, oft ohne einfachen rhythmischen Puls. Ganz reduzierte
       Passagen brechen mitunter in riesige Hallräume und füllen sie mühelos. Der
       Sound von Afar Odea ist vielschichtig, eigenwillig und klingt bei aller
       Wucht filigran. Jackischs Musik überwältigt beim Hören.
       
       Im Titelstück dringt durch stoisch geloopte, verfremdete Stimmfragmente die
       Botschaft hindurch: „You’ll be better soon“. Eine Akustikgitarre bahnt sich
       dazwischen ihren Weg. Die Melodien des Gesangs, meist im Falsett, erinnern
       angenehm an progressiven Pop der 1960er und 1970er Jahre. Zwischen den
       Klangelementen bilden sich über offenen, von Synthesizern erzeugten
       Harmonien immer neue Muster. Dezente Beckenschläge umspielen das
       Arrangement, ein Chor hallt wie aus weiter Ferne. Ein einziger Schlag leert
       den Raum.
       
       Die meisten Bands in Leipzig bewegen sich in einer Sphäre, die Christoph
       Schirmer vom LiveKombinat, dem lokalen Verband der Leipziger Clubs und
       Live-Musik-Spielstätten, [1][„DiY-Szene“] nennt. In der Praxis ist sie
       weniger eine bewusste Gemeinschaft und mehr ein loses Netzwerk
       verschiedener Gruppen. „Aus meiner Sicht gibt es in Leipzig immer viele
       Suppen, die gekocht werden und nicht oder nur kaum miteinander vermengt
       sind,“ so empfindet Hannah Becker von Shed Ballet die Atmosphäre.
       
       Die schnelle Verdichtung der seit über einem Jahrzehnt stark wachsenden
       Stadt stellt die unabhängige [2][Leipziger Musikkultur, für die Freiräume
       unentbehrlich sind,] vor immer neue Herausforderungen. „Mir kommt es so
       vor, als wäre die Szene seit Jahren stagniert, auch, wenn immer von großer
       Dynamik in Leipzig gesprochen wird, kommt davon in der Subkultur nicht viel
       an“, beschreibt es Konrad Jackisch.
       
       ## Do-it-Yourself hat Tradition
       
       „Die DiY-Szene hat in Leipzig eine lange Tradition“, sagt Schirmer.
       „Temporäre Läden [3][im Osten und Westen der Stadt leisten wichtige Arbeit,
       genauso besetzte Häuser in Connewitz, die schon seit Anfang der Neunziger
       existieren.“] Temporär existieren die Orte in der Regel unfreiwillig.
       
       Zuletzt wurde mehreren Kulturorten im Osten der Stadt ihre Räume gekündigt,
       etwa dem TIFF mit regelmäßigen Konzertprogramm. „Die DiY-Szene hat mit
       Verdrängung und Bürokratie zu kämpfen. Kollektive und Akteur*innen
       müssen sich nach einer gewissen Zeit oft neue Räume suchen“, erklärt
       Schirmer.
       
       Besonders Lärmauflagen machen es kleinen Kulturräumen schwer, von denen
       viele Ladenflächen in Wohngebieten bespielen. „Oft ist gar nicht die
       Lautstärke der Bands beim Konzert das Problem, sondern Leute, die vorm
       Laden stehen und sich unterhalten“, konkretisiert Schirmer.
       
       ## Vergleichsweise liberal
       
       „Ehrlicherweise muss man auch sagen, dass Leipzig im Vergleich zu anderen
       deutschen Großstädten noch relativ liberal ist und Behörden hie und da ein
       Auge zudrücken.“ Natürlich fehlt in Zeiten knapper Kassen immer und überall
       Fördergeld. Weder die Musiker:Innen noch die Bühnen der „DiY-Szene“
       würden ohne unzählbare Stunden ehrenamlicher Arbeit existieren.
       
       Der Leipziger Musiker Bela Fast hat übergangsweise das Problem zur Lösung
       gemacht: „Von der Abfindung, die ich von den Hausbesitzern für einen
       Rausschmiss kassiert habe, habe ich gerade meine Tour querfinanziert“,
       schreibt er in einer Mail. Auch bei ihm ist die Musik über längere Zeit
       entstanden.
       
       Die ersten Lieder für sein Projekt Fastmusic hat er komponiert, als er mit
       Mitte 20 als Straßenmusiker sinnsuchend durch Südfrankreich reiste. Vor
       kurzem stellte er im „Temporrrm“ sein Debütalbum „I want to love, and I
       love“ vor, das Bela Fast beim Berliner Label Fun in the Church
       veröffentlicht hat.
       
       Der Konzertraum liegt im Westwerk, demselben ehemaligen Industriekomplex,
       in dem auch Shed Ballet ihren Proberaum haben. Dort befindet sich auch das
       Haunted-Haus-Studio, in dem sie die Songs ihres Albums aufnahmen. In den
       sehr minimalistisch produzierten und gelassen fließenden Tracks von
       Fastmusic stecken viel Funk und Blues, in den besonders reduzierten mit
       Akustikgitarre auch der unwiderstehliche Charme von Bedroompop.
       
       Um die Spannung zu halten, reicht oft wenig, behutsam geschichtetes
       musikalisches Material zu schlichten Beats aus einer Drummachine, wie die
       nachdrückliche Deadnote-Gitarrenmelodie und Bela Fasts weicher, heller
       Gesang auf einem einzigen Ton in „Funk in the Kitchen (Dream)“. Dann fängt
       der Bass an zu laufen, die E-Gitarre streut ein neues Motiv und ein
       psychedelischer Sog entsteht.
       
       „I want to love, and I love“, das Motiv des Albumtitels, zieht sich durch
       die zwölf Stücke und lässt sich als leisen Aufruf fassen, die eigenen
       Wünsche im Kern zu finden und als Kompass lieb zu gewinnen. Diesen Titel
       rein hedonistisch zu verstehen, wäre viel zu kurz gedacht.
       
       31 Oct 2024
       
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