# taz.de -- Ausstellung „Totentanz“ in Lübeck: Wenn der Schnitter kommt
       
       > Ein Dauerbrenner, unser irdisches Ende: Eine deutsch-finnische
       > Ausstellung in Lübeck zeigt Variationen zum zerstörten „Totentanz“-Bild
       > von 1464.
       
 (IMG) Bild: Durchaus düster: Tuomas Korkalo vor seinen Bildern „Solaris VI“ und „Solaris VII“ (2024)
       
       Ein universelles Thema der Menschen ist [1][ihr irdisches Ende]. Besiegt
       ist er nicht, der Tod, neue medizinische oder technische Entdeckungen sind
       nichts als Bemühungen, diesem Ziel näher zu kommen. Der große Wunsch nach
       der Überwindung des Todes zeigt sich nicht nur in der christlichen
       Spiritualität in der Erwartung eines Lebens danach – und sei es in der
       Hölle.
       
       Doch erst mal müssen alle mit hinüber tanzen ins Jenseits, unabhängig vom
       gesellschaftlichen Rang, ob Superstar oder Obdachloser, ob Geistlicher oder
       Weltlicher.
       
       Seit der „Schwarze Tod“, also die Pest, vor etwa 600 Jahren das Bewusstsein
       für die Unentrinnbarkeit geschärft hatte, verbreitete sich das groteske
       Motiv des künstlerischen Totentanzes, auch bekannt als „Makabertanz“,
       französisch: „Danse macabre“; in ganz Europa sind über 100 Beispiele
       bekannt. Bis dahin war eine populäre Darstellung des existenziellen Themas
       der gekreuzigte Jesus gewesen, zu seinen Füßen der Schädel Adams.
       
       ## Der Papst geht zuerst
       
       In Lübeck malte Bernt Notke 1463/64 eine der berühmtesten
       „Totentanz“-Versionen in die St. Marien-Kirche: Auf mehr als 30 Metern
       Lauflänge zeigen 24 lebensgroße Figuren und ein Text, in welcher
       Reihenfolge der Tod – dargestellt als Gerippe, in ein mehr oder weniger
       zerfetztes Tuch gehüllt – die verschiedenen Stände zum Tanz lädt, mithin
       abholt. Den Anfang machte bei Notke – der Papst.
       
       1701 malte Anton Wortmann eine Neufassung mit einigen Korrekturen in der
       Hierarchie, entsprechend wohl sich wandelnder politischer Verhältnisse. So
       kam etwa der Bürgermeister jetzt ein wenig eher dran mit dem Sterben. Den
       Abschluss machte aber weiterhin das Mädchen, gefolgt nur noch von einem
       Kind in einer Wiege. Auch die Verse wurden aus dem Mittelniederdeutschen
       ins Hochdeutsche übersetzt.
       
       Ein alliierter Bombenangriff am Palmsonntag 1942 verwandelte den Totentanz
       in Asche, heute erinnert an ihn noch ein von Alfred Mahlau gestaltetes
       Fenster in der Lübecker Marien-Kirche. Eine Replik von Notkes Arbeit ist in
       Teilen in Tallinn erhalten.
       
       Das Totentanz-Thema aber lebt: In diesem langsam ausgehenden „Jahr des
       Todes“, wie es die Kuratorin und Künstlerin Heinke Both bezeichnet, gibt es
       nun eine neue künstlerische Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit,
       zugleich einen internationalen Austausch der Positionen zwischen
       Kunstschaffenden aus Lübeck und Finnland. Nicht am alten Ort, der Kirche.
       Dafür an zwei anderen Orten, der Galerie Artler in der Innenstadt und im
       „Kettenlager“ der Kulturwerft Gollan im Industrieromantischen Lübecker
       Hafengebiet.
       
       Zusammen ausgestellt werden jetzt Arbeiten der siebenköpfigen Artists Group
       „Immortal“ aus Finnland sowie von 18 Mitgliedern der [2][„Gemeinschaft
       Lübecker Künstlerinnen und Künstler“]. Das Alter der Beteiligten bewegt
       sich zwischen Ende 30 und 84 Jahren, ihre Ansätze sind divers, äußern sich
       in Malerei, Mosaik, Installation, Drucktechnik, Plastik, Videokunst und,
       ja: auch Tanz.
       
       Angesichts der materiellen Diskrepanz – Müllrecycling statt Malerei – ist
       etwa eine Serie von Stephan Schlippe strukturell überraschend nah an Notkes
       Original-Werk: Die Reihenfolge zu Stühlen umgebogenen Sektverschlüsse
       entspricht grob dessen Stände-Reigen. „Die silbernen sind die Toten“,
       erläutert der Lübecker Mit-Kurator sein Werk. Heinke Both lässt Stoff- und
       Papiertaschentücher erstarren, indem sie sie in Gips tränkt. Sind da nicht
       noch tödliche Viren drin? Gleicht der Faltenwurf nicht den Leinentüchern
       des Schnitters, also den Leichentüchern?
       
       Ambivalenz wohnt dem Selbstportrait von Sebastian Schröder inne, der sich
       als Heiliger Sebastian zeigt. Mit Abstand hat es die Anmutung eines
       Renaissance-Gemäldes, mit Attributen wie dem schwarzweißen
       Schachbrettboden, dunklen Hintergrund und einem Heiligenschein. Bei näherem
       Hinsehen offenbaren sich eine billige Papierrosette, ein Ficus Benjamini im
       Kunststofftopf und der Tanzboden der Disco „Ziegelei“ in Groß Weeden, wo
       das Bild entstand. Und wir sehen, dass sich der junge Mann eine Spritze
       gibt.
       
       Zur Gruppe Immortals, deren Kernthema der Tod ist, gehören Ulla Remes,
       Anna-Maija Rissanen, Susanne Stiegler, Jouko Alapartanen, Tuomas Korkalo,
       Olavi Fellmann. Gegründet haben sie sich 2017, die Inspiration zur
       jenseitigen Materie kam von dem Sammler und Kunsthistoriker Paul Firnhaber,
       damals selbst Mitglied der „Unsterblichen“.
       
       ## Schwarze Löcher in der Wiese
       
       Der Maler Mika Vesalahti reflektiert den Tod nun in einer [3][Petersburger
       Hängung] von über 200 kleinen Zeichnungen, Collagen und Foto-Übermalungen.
       Da lassen sich neben dem vorherrschenden ikonischen Motiv des Schädels auch
       andere Darstellungen des Verschwindens entdecken, zum Beispiel schwarze
       Löcher in der Wiese. Wichtig sind die Rahmen: Ironisch kommentieren sie den
       Inhalt, kitschig trifft auf böse, harmlos auf brutal. Wir erschauern und
       haben gleichzeitig Spaß. Lachen hat sich bewährt beim Blick aufs Ende.
       
       Susanne Stiegler wiederum parodiert Hostien: von glitzerndem Tand umhüllte
       Körperteile angeblicher Heiliger. Diese Arbeiten wurden in Eile nach Lübeck
       gebracht, aus dem polnischen Krakau kommend, aus einer Ausstellung, die
       abgesagt wurde. Dass das wegen des Vorwurfs der Blasphemie geschah, wäre
       wunderbar stimmig, der Grund aber war ein viel profanerer: ein
       Wasserschaden.
       
       27 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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