# taz.de -- Unterwegs in der US-Wahlnacht: Hartes Erwachen
       
       > Aufgeladen, ausgelassen, aufgekratzt – so ist die Atmosphäre in den USA
       > während und nach der Wahlnacht. Schlaglichter aus den Unvereinigten
       > Staaten.
       
 (IMG) Bild: Trump-Unterstützerinnen in Maricopa County/Arizona auf einer Wahlparty
       
       ## ARIZONA
       
       Kurz nach zwei Uhr morgens ist in Arizona etwas mehr als die Hälfte aller
       Stimmen ausgezählt. Donald Trump hat hier einen leichten Vorsprung, doch
       durch seine Siege in Pennsylvania, Georgia und North Carolina braucht er
       diesen sonst so wichtigen Swing State gar nicht mehr, wie sich bald
       herausstellt. Denn klar ist schnell, dass das reaktionäre republikanische
       Parteimodell in Arizona nicht nur in diesem Bundesstaat Erfolg hatte. Die
       Republikaner sind wohl nicht nur hier im Südwesten der USA ab nun eine
       andere Partei als einst die von John McCain.
       
       In Arizona hat bis jetzt das politische Gleichgewicht zwischen
       Republikanern und Demokraten ständig gekippelt. Über Jahrzehnte regierte
       hier die GOP, die Grand Old Party um den verstorbenen Senator und einstigen
       republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain, die sich als
       moderat und kompromissbereit präsentierte.
       
       Lange ein solider Pfeiler für die GOP, schaffte Joe Biden 2020 als erster
       Demokrat seit Harry Truman, Arizona für die Demokraten zu erobern.
       Maßgeblich dafür war das [1][Maricopa County,] zu dem zum Beispiel die
       Stadt Glendale gehört. Über 60 Prozent aller Menschen in Arizona leben in
       diesem sehr großen Distrikt, der die Stadt Phoenix und vieler ihrer
       Vorstädte einschließt.
       
       Die Stimmung in Glendale ist in dieser entscheidenden Wahlnacht
       aufgekratzt, ja aufgeladen. Auf einem Campus der Arizona State University
       steht ein Wahllokal, davor Tische und Campingstühle verschiedener
       Organisationen. Zwei junge Demokraten halten „Walz/Harris“-Schilder in die
       Luft, jubeln Menschen zu, die ihnen versichern, für das Duo wählen zu
       wollen.
       
       Ein paar Meter weiter steht ein Tisch der Republikaner, die sich mehr Platz
       genommen haben. Ein älteres Paar trägt passende Baseballtrikots, auf denen
       die amerikanische Flagge aufgedruckt ist. Die roten Streifen der
       Nationalfahne sind zu Sturmgewehren stilisiert, auf dem Rücken steht „2nd
       Amendment,“ in Anspielung auf den Verfassungsparagrafen, der das
       amerikanische Recht auf Waffenbesitz sichert.
       
       „Demokraten heißt offene Grenzen!“ ruft ein Mann mit Megafon, er steht
       nicht weit weg von dem Paar. „Genau!“ ruft Clarissa Cosgrove, die für den
       örtlichen Distrikt die Republikaner leitet. Cosgrove trägt ein Cappy mit
       der Unterschrift von Donald Trump Jr., den sie kürzlich kennengelernt hat.
       Viele Republikaner in Arizona glauben, dass Joe Biden nur durch
       Wahlfälschung in ihrem Staat siegen konnte. Auf Druck der GOP wurden die
       Ergebnisse mehrfach ausgezählt. Das Vertrauen ins Wahlsystem ist dennoch
       brüchig.
       
       „Wir werden gewinnen, solange die Demokraten nicht wieder schummeln,“ sagt
       Cosgrove. Seit der vorigen Präsidentschaftswahl hat sich ihre Partei
       gänzlich Trump zugewandt, radikale Stimmen der Partei, die anderswo
       marginalisiert werden, sind in Arizona nicht nur willkommen, sondern
       mittlerweile tonangebend. Die rechtsextremen Proud Boys treten auf ihren
       Veranstaltungen auf, Thesen aus der QAnon-Verschwörungsszene tauchen selbst
       in den Reden von Spitzenkandidatinnen auf.
       
       „Als schwarze Frau war es noch nie einfach in Arizona,“ sagt eine junge
       Frau ein paar Kilometer weiter, während sie an einem anderen Wahllokal
       ansteht. Ihren Namen will sie nicht nennen, Kamala Harris’ Namen flüstert
       sie nur, als wir sie fragen, wen sie wählen möchte. Die junge Frau steht
       mit ihrer Mutter in der Wähler:innenschlange an, ganz zufrieden sind
       sie mit der Auswahl der Kandidaten beide nicht. „Aber besser, als dass ich
       später eine Schwangerschaft austragen muss, die ich nicht will,“ sagt die
       Tochter. Als Minderheit in Arizona zu leben, „ist oft ungemütlich.“ (js)
       
       ## PENNSYLVANIA
       
       Die Stimmung in Philadelphia ist ausgelassen, als die Wahllokale am
       Dienstagmorgen um 7 Uhr öffnen. Der Himmel von einer Wolkenschicht bedeckt,
       laues Herbstwetter. Später kommt die Sonne heraus, auf den Straßen sind
       zahlreiche Menschen unterwegs, viele von ihnen mit „I voted“-Stickern und
       Anhängern auf der Brust.
       
       Gelbe und orange Blätter, teils auf den Bäumen, teils auf dem Asphalt. Vor
       dem Wahllokal an der Wayne Avenue im Norden Philadelphias, dem Bundesstaat,
       den Joe Biden 2020 ganz knapp mit ungefähr 80. 000 Stimmen vor Donald Trump
       holte, legt auf dem Gehweg ein DJ auf, während ein Rapper darauf reimt –
       über Freiheit, über Demokratie, die Wichtigkeit, zu wählen.
       
       „I have a dream“, zitiert er Martin Luther King. An vielen Häusern hängt
       noch ausgiebig Halloween-Dekoration, Sorge haben hier äußerst viele vor
       einem Sieg Donald Trumps, Hoffnung stecken sie in Kamala Harris. „Sie kann
       Menschen zusammenbringen“, lobt ein Wähler vor der zum Wahllokal
       umfunktionierten Sporthalle. „Ich hoffe, Kamala wird hier vor Ort einiges
       verbessern“, meint eine Wählerin.
       
       Am Nachmittag dann plötzlich technische Probleme in Pennsylvania: FOX News
       und lokale US-Medien berichten, dass ein Richter in Pennsylvania einen
       Antrag auf Verlängerung der Wahlzeit bis 22.00 Uhr (Ortszeit) genehmigt
       hat. „Der Wahlvorstand von Cambria County hat heute früh erfahren, dass
       eine Software-Fehlfunktion im elektronischen Wahlsystem die Wähler daran
       gehindert hat, ihre Stimmzettel einzuscannen“, sag t der zuständige
       Bezirksanwalt Ron Repak in einer Erklärung.
       
       Laut Wahlbehörden wird so niemand, der noch wählen möchte, abgewiesen. Der
       Vorsitzende des Republikanischen Nationalkomitees (RNC), Michael Whatley,
       fordert die Wähler auf, trotz der Verzögerung in der Schlange zu bleiben
       und ihre Stimmen abzugeben. „Dies sollte die Wähler nicht davon abhalten,
       in ihren Wahllokalen zu wählen.“
       
       Prompt meint Donald Trump, Wahlmanipulation zu riechen. Er teilt sein
       Bauchgefühl sofort auf seiner [2][Social-Media-Plattform Truth Social.] Die
       Behörden im Bundesstaat wettern zurück: So Trump Beweise für seine
       Vermutung habe, solle er diese doch liefern. Die Diskussion verpufft –
       genauso wie die leichte Führung, die sich für Kamala Harris nach der
       Auszählung einiger Wahlbezirke anfangs abzeichnet.
       
       Vor vielen der freistehenden Einfamilienhäuser stecken im Boden noch immer
       blaue Harris/Walz-Aufsteller. Sie haben die gleiche Farbe wie die
       Altpapiereimer, die Anwohner heute zum Abholen vor ihre Ausfahrten gestellt
       haben. Von Trump-Werbung keine Spur. Das verwundert auch nicht, wenn man
       auf das Wahlergebnis des County Philadelphia blickt: 78,5 Prozent stimmten
       für die Demokraten.
       
       Anders sieht es aus, wenn man auf das große Bild stellt, den Bundesstaat
       Pennsylvania insgesamt betrachtet: denn dann wird ein deutlicher roter
       Teppich mit wenigen blauen Flecken sichtbar. Die Counties mit größeren
       Städten wie Pittsburgh und Harrisburg haben demokratisch gewählt. Die
       ländlichen Teile Pennsylvanias wohl komplett republikanisch.
       
       In der Wahlnacht berichtet die Agentur Reuters, dass die Stimmabgabe in
       Philadelphia auf einem Rekordhoch liegt. Dies hängt den Demokraten zufolge
       teilweise an der starken Unterstützung aus den Vierteln in Philadelphia, in
       denen gehäuft die Menschen mit puerto-ricanischem Migrationshintergrund
       wohnen. Die Stadt hat zu dem Zeitpunkt bereits die Wahlbeteiligung von
       736.000 Menschen aus dem Jahr 2020 übertroffen.
       
       Laut CNN gehören hier etwa 8 Prozent zur puerto-ricanischen Minderheit. Die
       Aussage des Comedian Tony Hinchcliffe während einer Trump-Rally in New
       York, bei der dieser Puerto Rico als „Müll“ bezeichnete, hat einige Wähler
       mehr in Philadelphia wohl dazu veranlasst, Harris zu wählen. Doch all das –
       es reicht nicht.
       
       Um 1.33 Uhr Ortszeit in Pennsylvania dann die Eilmeldung: Der Swing State
       geht in diesem Jahr definitiv an die Republikaner, ein Déjà-vu aus dem Jahr
       2016. Doch dieses Mal passiert das mit einem erstmals deutlichen Vorsprung
       Trumps von fast 200.000 Stimmen. (kla)
       
       ## GEORGIA
       
       Tangela, 22, Studentin, sagt, ihr Leben hänge von dieser Wahl ab.
       Wochenlang klopfte sie an Türen und nochmal Türen, telefonierte und
       rekrutierte Wähler:innen, machte Überstunden um Überstunden. Nicht weil sie
       es musste, sondern weil sie es wollte. Für sie fühlte es sich so an, als ob
       man all die Freiheit, für die ihre Vorfahren gekämpft hatten, plötzlich zum
       Fenster rausschmeißen wollte.
       
       Frank, Anfang 30, ist Taxifahrer. Er wollte erst gar nicht wählen, dann
       fuhr er mit seinem Auto an einem Wahllokal in Georgia vorbei und tat es
       spontan doch. Zum ersten Mal in seinem Leben setzte er sein Kreuzchen bei
       Trump. Weil Kamala Harris den Völkermord in Palästina mitfinanzieren würde.
       Aber auch einfach so.
       
       Das mache nichts, dass Trump der Kandidat der Evangelikalen Christen sei
       und niemals gegen israelische Interessen handeln würde, „so what?“ Frank
       hat sich demnach für Trump entschieden, weil das Leben von Schwarzen
       Menschen noch nie besser geworden sei, nur weil die Demokraten regierten.
       
       Tangela und Frank sind jung und Schwarz, beide leben sie im demokratisch
       gesehen tiefblauen Atlanta, beide sind sie in einem demokratischen Haushalt
       aufgewachsen. Atlanta ist kulturell und demografisch gesprochen die
       Schwarze Hauptstadt der USA. Fast die Hälfte der Stadtbevölkerung ist
       Schwarz. Atlanta ist auch der Geburtsort von Martin Luther King und die
       Heimat von Coca-Cola. Wie ein gigantischer knallroter Chupa-Chups-Lutscher
       ragt das Werbebanner von Coca-Cola in die einbrechende Dunkelheit.
       
       Dienstagabend, 19 Uhr Ortszeit. Der DJ vor der St. Lukes Kirche im
       Stadtzentrum baut seine Anlage ab und macht sich auf den Weg zu Freunden,
       zusammen Wahlergebnisse schauen. Der Fernsehjournalist vor den Toren der
       Kirche schnauzt den Pfarrer an, weil der nicht mit ihm sprechen will.
       
       Die erschöpfte Wahlhelferin trägt ihre „Vote Here“-Schilder von der Straße
       in die Kirchenräume. Seit fünf Uhr morgens ist sie wach, endlich darf sie
       nach Hause. „Ich werde alleine eine Sektflasche öffnen und schlafen gehen.“
       
       Vor dem Hyatt Hotel im konservativen Stadtteil Buckhead im Norden Atlantas
       steht eine Frau im Hidschab und verteilt Parkscheine an die
       Besucher:innen der MAGA-Party, der trumpschen „Make America great
       again“-Party. Männer in feinen Nadelstreifenanzügen und Frauen in edlen
       Abendkleidern schreiten zur Registrierung, jeder und jede bekommt ein
       weißes, mit roten Sternen bedrucktes Armband. Sie sind jung und alt, weiß
       und schwarz, Latinos und Asiaten, Männer wie Frauen. Im Grunde genommen
       sind sie nicht weniger divers als die Diversität selbst, die sie zum
       Kampfbegriff erhoben haben.
       
       Hier wird heute Nacht die Siegesparty der Republikaner steigen. Aber das
       weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand mit Sicherheit. Im Nachhinein
       betrachtet, liegt der Sieg Donald Trumps schon da in der Luft. Zumindest
       aber in den entspannten Gesichtern der Anwesenden.
       
       Schon jetzt klirren die Champagnergläser, klackern die knallroten
       Stöckelschuhe auf den Damentoiletten, glitzern die vergoldeten
       Trump-Broschen auf den stolzen Brüsten. Ein älterer Herr mit ergrautem Haar
       beklagt Männer im Frauensport und Tampons auf Jungenklos. Er moniert offene
       Grenzen und die Demenz des amtierenden Präsidenten Biden.
       
       Ein jüngerer Schwarzer steht neben ihm und macht ein betroffenes Gesicht,
       als ob man ihn höchstpersönlich dazu gezwungen hätte, die Tampons zu
       benutzen. Es sind da noch 68,1 Prozent für Harris und 30,7 Prozent für
       Trump in North Carolina, die der riesengroße Fox-News-Bildschirm an der
       Wand in dem Moment anzeigt. Wenige Stunden später werden es 47,8 Prozent
       für Harris und 51 Prozent für Trump sein. Gedreht. Und der bald ehemalige
       Ex-Präsident wird auch den Bundesstaat Georgia im Laufe der Nacht noch
       gewinnen. Immer deutlicher zeichnet sich hier in diesem Luxushotel ab, wie
       Amerika sich an diesem Tag schließlich entschieden hat.
       
       In mehreren Vororten Atlantas gibt es [3][an diesem Dienstag
       Bombendrohungen auf Wahllokale.] Russland soll hinter diesen Drohungen
       stecken. Einige Menschen haben sich mit sehr viel Trinkwasser und noch mehr
       Lebensmitteln eingedeckt. Angst haben sie vor den Krawallen auf der Straße,
       sie fürchten einen Bürgerkrieg.
       
       Alleine in den vergangenen zwei Wochen soll es rund 5.000 Beschwerden von
       Menschen in Atlanta gegeben haben, denen Republikaner ihre Wahlberechtigung
       entziehen wollten. So erzählen es sich Anwälte, die die Vorwürfe bearbeiten
       mussten: eine Konsequenz sei das auf die angeblich einst „gestohlene Wahl
       in Georgia“, die eben doch ordnungsgemäß abgelaufen war.
       
       Tangela, die Schwarze Studentin, versteht die Welt nicht mehr. Vor allem
       aber versteht sie die Falschinformationen in sozialen Medien nicht, die
       sich überall wie ein Lauffeuer verbreiteten und denen so viele ihrer
       Schwarzen männlichen Altersgenossen zum Opfer fielen. „Die Leute glauben,
       Harris hätte 4.000 Schwarze Männer einsperren lassen. Sie glauben, dass sie
       Babies noch nach der Geburt umbringen lassen will.“ Wie soll sie, Tangela,
       mit ihrem Klopfen an all diese Türen gegen all diese haarsträubenden
       Falschbehauptungen ankommen? (mk)
       
       6 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] https://truthsocial.com/
 (DIR) [3] https://www.nytimes.com/2024/11/05/us/politics/pollls-voting-bomb-threats.html
       
       ## AUTOREN
       
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