# taz.de -- Fotoband über Schönefeld: Am Rande der Realität
       
       > Schönefeld ist das Synonym für den Berliner Flughafen. Wie der neu
       > gebaute BER die Gemeinde Schönefeld verändert hat, zeigen die Fotos Björn
       > Kuhligks.
       
 (IMG) Bild: Es wäre nicht falsch, die Szenerie auf Kuhligks Fotografien desolat oder öde zu nennen
       
       Schönefeld. Wer das Wort hört, wird aller Voraussicht nach an den Flughafen
       denken. Älteren wird vielleicht eher noch der frühere Flughafen der
       Hauptstadt der DDR einfallen, SXF, der nach einem Dreivierteljahrhundert
       vom BER, dem neuen Flughafen, absorbiert wurde und seit 2022 als
       stillgelegtes Terminal 5 im Dornröschenschlaf liegt.
       
       Der neue Flughafen wiederum wird wohl für immer mit dem Debakel seiner
       Entstehung assoziiert werden, mit Kostenexplosionen und Fehlplanungen und
       einer sich über 14 lange Jahre hinziehenden Bauzeit. Wer das Wort
       Schönefeld hört, wird vermutlich kaum an [1][die Gemeinde dieses Namens]
       denken, einen mit knapp 20.000 Einwohnern überschaubaren Ort unmittelbar an
       der südwestlichen Berliner Stadtgrenze.
       
       Björn Kuhligk, Berliner Autor und Fotograf, dachte allerdings an
       Schönefeld, den Ort, als er auf dem SkyPoint Großziethen stand, einem
       grasüberwachsenen Müllberg, dem eine Karriere als Aussichtsplattform
       beschert war.
       
       Kuhligk blickte von dort nach Süden und fragte sich, „wie es da eigentlich
       aussieht, wie sich die Landschaft, die Dörfer, die landwirtschaftlichen
       Flächen und eine ganze Gemeinde verändert hat, in deren Mitte ein riesiger
       Flughafen gebaut wurde“.
       
       Die Nacht im Brandenburger Land 
       
       Kuhligk fand sich nun häufiger („vielleicht fünfzehn, zwanzig Mal,
       vielleicht öfter?“) auf der Aussichtsplattform ein, wo er versuchte, die
       täglich letzten Abflüge vom BER vor dem Nachtflugverbot per
       Langzeitbelichtung zu dokumentieren. Nachdem der letzte Flieger in der
       Ferne entschwunden war, sah Kuhligk sich umfangen von der Nacht im
       Brandenburger Land, die so anders roch und klang als die Nacht in der
       Großstadt.
       
       Es zog ihn mit einer „Zuneigung zu diesem Ort, die ich bisher nicht
       aufbringen konnte“. (An dieser Stelle sei auch an das erst vor wenigen
       Monaten [2][vorgelegte famose Textwerk „Berlin-Beschimpfungen“ von Björn
       Kuhligk] erinnert.)
       
       „Schönefeld“ heißt der eben erschienene Band mit Fotos und einem Essay von
       Kuhligk. Von den eingangs erwähnten nächtlichen Aufnahmen mit
       Langzeitbelichtung findet sich keine im Buch. Die abgebildeten Fotos wurden
       sämtlich bei Tageslicht gemacht.
       
       Es wäre nicht falsch, die Szenerie desolat oder öde zu nennen. Je länger
       ich sie mir ansah, desto mehr kam es mir vor, als driftete ich in eine
       Parallelwelt, in eine dystopische Moderne à la J. G. Ballard.
       
       Trostlose, von Menschenhand geschaffene Landschaften, die – obwohl immer
       wieder mit Industriearchitektur, hochragender Kommunikationstechnik oder
       auch archaischen Strukturen (Hochstand, Misthaufen) bestellt – stets leer
       und verlassen wirken und die eher auf eine Ferne oder Abwesenheit verweisen
       als auf das unmittelbar Lebendige oder überhaupt auf irgendeine Art von
       Betriebsamkeit. Jedoch bedeutete die Tatsache, dass die Fotos ein solches
       Wegdriften überhaupt verursachen konnten, einen Beleg ihrer
       außerordentlichen Qualität.
       
       Nahezu identische Häuser 
       
       Nachdem ich einer Freundin Björn Kuhligks Bilder gezeigt hatte, erzählte
       sie mir, sie sei erst kürzlich nach Schönefeld gefahren, um etwas
       abzuholen, das sie auf Ebay gekauft hatte. Alle Häuser sahen identisch aus.
       Die Umgebung, die Grundstücke, die Fußwege waren noch unfertig. Die junge
       Frau, die mit einem Kleinkind auf dem Arm die Tür öffnete, schien abwesend,
       sprach in unfertigen Sätzen. Sie erzählte, ihr Mann arbeite am BER, die
       ganze Siedlung sei für BER-Mitarbeiter gedacht.
       
       Meine Freundin sagte, dass sie bei Ankunft an der Adresse das heftige
       Gefühl hatte, in die Welt der Backrooms eingetreten zu sein: „Backrooms“
       sind Gegenstand einer noch relativ jungen urbanen Legende, die von
       Innenräumen oder Landschaften handelt, die nur betreten werden können, wenn
       man aus der Realität glitcht.
       
       Menschen sind auf Kuhligs Fotos aus Schönefeld kaum zu sehen, insgesamt nur
       drei: eine Frau in einem vorbeifahrenden Cabriolet mit Kopftuch, von hinten
       fotografiert, und zwei Polizisten der Reiterstaffel der Bundespolizei auf
       ihren Pferden.
       
       Kaum Flugzeuge zu sehen 
       
       Der Flughafen BER, der einzige in Europa, der mitten in eine existierende
       Gemeinde hineingebaut wurde, [3][für den das Dorf Diepensee mit 335
       Menschen umgesiedelt wurde] (samt Friedhof, Kopfsteinpflaster und alten
       Bäumen), ist nur in der Ferne auszumachen. Flugzeuge kommen vor, doch nur
       wenige. Sie wirken, als seien sie zufällig ins Bild geraten.
       
       Wo die Fotos in ihrer Eindrücklichkeit die Auswirkungen technologischer,
       sozialer oder ökologischer Entwicklungen direkt in die Psyche des
       Betrachters zu implantieren scheinen, erzählt Björn Kuhligk im einleitenden
       Essay von den Menschen, denen er während der Arbeit an dem Buch begegnete,
       in beinahe intimer Vertrautheit.
       
       Einige Textstellen sind von großartiger Seltsamkeit, etwa eine Episode mit
       zwei Lieferwagenfahrern, die mit aufs Bild wollen, oder der Schluss des
       Textes, als Kuhligk auf einer Party einen Piloten kennenlernt, der vom BER
       aus Passagierjets in die Welt steuert und den er fragt, was das Besondere
       am BER sei. Die Antwort lautet: Ein Flughafen ist kein Gebirge.
       
       4 Nov 2024
       
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