# taz.de -- Ein Theater-Abend mit Sophie Passmann: Showpferd im Patriarchat
       
       > Humor und Schmerzerfahrungen. Sophie Passmann liefert an ihrem Soloabend
       > „Pick Me Girls“ am Berliner Ensemble Misogyniekritik und Punchlines.
       
 (IMG) Bild: Das Selbstwertgefühl nicht vom männlichen Blick bestimmen lassen: Sophie Passmann
       
       Es dauert nur wenige Minuten, bis wir an diesem Abend bei dem Thema
       angelangt sind, das die nächsten knapp 90 Minuten bestimmen soll: „Ich“.
       „Ich“ ist in diesem Fall [1][Sophie Passmann] und die Premiere „Pick Me
       Girls“ im Berliner Ensemble am Donnerstag ein Abend von Sophie Passmann mit
       Sophie Passmann über Sophie Passmann. Und damit ist ihr gemeinsam mit der
       Regisseurin Christina Tscharyiski die wahrscheinlich bestmögliche
       Theateradaption ihres gleichnamigen Buchs gelungen.
       
       Zu „Anti-Hero“, einer Coverversion des [2][Taylor-Swift]-Hits, betritt
       Passmann die Bühne, stellt sich vor den glitzernden Vorhang und die
       verspiegelte Venusmuschel und erzählt davon, dass sie eigentlich gern
       jemand anderes wäre. „Ich wäre gerne die Frau, die ich eigentlich wäre.“
       
       „Eigentlich?“, könnte man sich an dieser Stelle nun fragen, doch sie
       erklärt nur einige Atemzüge später, was sie damit meint: „Ich wäre gerne
       die Frau, die ich geworden wäre, wenn ich nicht schon ganz früh gelernt
       hätte, dass es besser ist, so zu sein, wie es Männern gefällt.“
       
       Also anders als andere Frauen, ein sogenanntes Pick Me Girl eben, das ihr
       Leben vom männlichen Blick prägen lässt und in dem die Bewertungen der
       anderen das eigene Selbstwertgefühl bestimmen. In der Praxis bedeutet das:
       Bloß nicht zu anstrengend sein, nicht zu viel Nähe einfordern, sondern
       einfach ein guter Kumpel sein – aber natürlich mit sexy Brüsten und Po.
       
       „Pick Me Girls“ setzen sich auf misogyne Weise von anderen Frauen ab („Ich
       bin nicht so wie die anderen“) und würdigen gleichzeitig sich selbst herab
       („Ich bin nicht so schön / klug / lustig wie sie“). Und so ein Leben hat
       Folgen für Frauen.
       
       ## Sie war ein dickes Baby
       
       Davon erzählt Passmann auf der spärlich dekorierten Bühne. Wie sie als
       dicke Frau in einer Runde dünner Frauen von den Männern nicht einmal
       begrüßt wurde, wie ein Lover an seinem Geburtstag sich erst mit seiner
       Ex-Freundin und dann erst mit ihr traf oder wie sie von ihm gefragt wurde,
       ob sie eine psychische Störung habe, weil sie so einschüchternd sei. All
       diese Erfahrungen, Kommentare und Blicke haben letztlich zu einer
       [3][Essstörung] und Selbsthass bei ihr geführt.
       
       Eine Frau zu sein kann im Patriarchat ganz schön hart sein, eine dicke Frau
       zu sein noch einmal härter. Diese Erfahrung hat Passmann von Geburt an
       gemacht. Daran kann sie sich natürlich nicht mehr erinnern, aber die
       Familienanekdoten lassen sie es keine Sekunde vergessen.
       
       Wann immer es geht, erzählen sie die Geschichte, wie ihr Vater kurz nach
       ihrer Geburt nach Hause fahren musste, um einen Strampler zu holen, weil
       die im Krankenhaus alle zu klein waren. So ein dickes Baby war sie.
       
       Oder wie sie als Teenager mit ihren Freundinnen bei H&M stundenlang vor dem
       Regal mit den Accessoires verweilte, maritime Seidentücher und Creolen
       anprobierte, um nicht in die beschämende Situation zu kommen, Hosen
       anprobieren zu müssen, die ihr eh nicht passen würden. Und auch im
       Erwachsenenleben wurde es nicht einfacher, erzählt Passmann. „Ich hasse
       meinen Körper, seitdem ich auf der Welt bin.“
       
       ## Viel Witz auf der Bühne
       
       Ein harter Satz, den vermutlich viel zu viele Frauen genau so
       unterschreiben würden. Doch Passmann gelingt es, diese harte Themen mit
       viel Witz auf die Bühne zu bringen. Wie, wenn sie unangenehme
       Fotoshootings nachspielt, in denen es keine Klamotten gibt, in die sie
       passt, oder der Fotograf sie mit Fluchtlichtern ausleuchtet, um möglichst
       viel wegzublitzen. [4][Humor ist und bleibt eben ein gutes Mittel], um mit
       eigenen Schmerzerfahrungen umzugehen.
       
       Doch sie verharrt an diesem Abend nicht auf der Humorebene oder in der
       Selbstkritik, sondern kritisiert das System dahinter. Die Blicke und
       Sprüche der anderen, die ihr ständig das Gefühl gegeben haben, zu viel zu
       sein. Sie kritisiert die Frauen, die ihr erst schreiben, dass es so mutig
       von ihr sei, Urlaubsfotos von sich zu posten, und die ihr nach ihrem
       Gewichtsverlust schreiben, wie enttäuscht sie nun seien. Doch so berechtigt
       all diese Kritik auch ist, fehlt hier die Reflexionsebene, dass auch
       Passmann erst dann all das auf einer Bühne erzählt, als sie nicht mehr dick
       ist.
       
       Diese Reflexions- und Abstraktionsebene ist es, die auch schon ihrem Buch,
       das vor gut einem Jahr bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist, fehlt. In
       der Presse kam es damals nicht sonderlich gut an: Zu ichbezogen,
       pseudofeministisch, oberflächlich lauteten die harten Urteile verschiedener
       deutscher Leitmedien.
       
       Doch ihrer Fanbase scheint das egal. Sie feiert fast alles, was Passmann
       auf den Markt bringt. Ihre Bücher („Alte Weiße Männer“, „Absolut Gänsehaut“
       und „Pick Me Girls“) standen alle auf der Spiegel-Bestsellerliste, ihr
       15-Minuten-Beitrag „Männerwelten“ wurde mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet
       und ihre Fernsehshow „Neo Ragazzi“ mit Tommi Schmitt und ihr Podcast
       „Sunset Club“ mit Joko Winterscheidt“ finden regelmäßig ein großes
       Publikum.
       
       ## Szenenapplaus und Johlen
       
       Das zeigt sich auch an diesem Abend. Passmann stellt zwar fest: „Du wirst
       als Frau in der Öffentlichkeit immer radikal unterschätzt oder überschätzt.
       Man wird nie einfach nur geschätzt.“ Doch an diesem Abend wird sie
       geschätzt – und wie. Das für das Berliner Ensemble auffallend junge und
       weibliche Publikum lacht viel, reagiert mit Szenenapplaus und Johlen auf
       besonders lustige oder politische Punchlines und feiert die Autorin,
       Schauspielerin und Comedian am Ende des Abends mit minutenlangen Standing
       Ovations.
       
       Vielleicht auch weil sie die besonders kontroversen Takes und zugespitzten
       Verallgemeinerungen aus ihrem Buch ausgelassen hat. Wie, dass wir
       Schönheitschirurgie nur noch ein bis zwei Generationen benötigten, weil es
       dann keine Mädchen mehr gäbe, die glaubten, dass sie etwas an ihrem Körper
       verändern müssten. Oder, dass Frauen in der keine Regel keine eigenen
       Hobbys hätten und nur die ihrer Partner übernähmen.
       
       Stattdessen bleibt Sophie Passmann an diesem Abend einfach bei sich. Und
       mehr braucht auch nicht auf der Bühne. Als selbst ernanntes „Showpferd“
       gelingt es ihr, den ausverkauften Saal zu unterhalten. Neue oder radikale
       feministische Gedanken finden in der Theateradaption zwar keinen Platz,
       doch es fühlt sich nach einem gelungenem Comedy-Stand-up an. Und ob man
       sich mit Sophie Passmanns Erfahrungen nun identifizieren kann oder nicht,
       darf am Ende des Abends jede_r für sich selbst entscheiden.
       
       18 Oct 2024
       
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