# taz.de -- Arbeitsmigration in Italien: Früchte der Ausbeutung
       
       > Tunesische Arbeitskräfte zahlen Tausende Euro, um auf Sizilien unter
       > elenden Bedingungen beschäftigt zu werden.
       
 (IMG) Bild: Unbekannte Arbeiter bei der Auberginenernte in einem Gewächshaus in der Umgebung von Vittoria, im Juni 2024
       
       Ragusa taz | Erst als seine abgenutzten Sportschuhe einer nach dem anderen
       den Sand berühren, kann Mounir langsam ausatmen. Der Blick des 49-jährigen
       Tunesiers, eben noch unruhig, richtet sich auf das Meer, das jetzt vor ihm
       liegt. Der starke Wind an diesem warmen Tag lässt die Wellen unter tosendem
       Lärm brechen. Auf seiner Stirn stehen Schweißperlen. Um an diesen Ort zu
       kommen, musste er durch ein Labyrinth aus Gewächshäusern laufen. Aber
       selbst an diesem vermeintlich isolierten Strand ist er noch inmitten der
       „Fascia trasformata“, eines der größten landwirtschaftlichen Anbaugebiete
       Europas im Südosten [1][Siziliens]. Die Zone liegt in der Provinz Ragusa
       und erstreckt sich über einen 80 Kilometer langen Küstenstreifen. Wo man
       auch hinsieht: Hier prägen Gewächshäuser das Landschaftsbild. In einem
       davon hat auch Mounir gearbeitet.
       
       5.200 landwirtschaftliche Betriebe zählt die „Fascia trasformata“. Jedes
       Jahr werden Zehntausende Tonnen Obst und Gemüse vom zentralen Großmarkt in
       Vittoria aus nach ganz Europa geliefert. Eine so hohe Konzentration an
       Gewächshäusern gibt es in Europa sonst nur noch im als „Plastikmeer“
       bekannten Anbaugebiet in der Nähe von Almeria in Andalusien. Auf Sizilien
       ist die intensive Landwirtschaft in den Gewächshäusern zentraler
       Wirtschaftsmotor der Region. Bioanbau betreiben nur wenige. Das
       verbreitete, pestizidbelastete Landwirtschaftsmodell ist umweltschädigend –
       und auch sonst ziemlich schmutzig. Wer einen Blick hinter die Plastikplanen
       erhaschen kann, merkt schnell: Es basiert auf der Ausbeutung Tausender
       ausländischer Arbeitskräfte, die jährlich auf der Suche nach Arbeit in die
       Region kommen – und dort oft entsetzlichen Arbeits- und Lebensbedingungen
       ausgesetzt sind.
       
       Grund für den hohen Bedarf an ausländischen Arbeitskräften ist auch eine
       immer älter werdende Bevölkerung. Für die italienische Wirtschaft sind die
       Arbeitsmigrant*innen unverzichtbar geworden. Selbst diejenigen in der
       italienischen Regierung, die ausländerfeindliche Diskurse führen und
       obsessiv um die Migrationsfrage kreisen, allen voran Ministerpräsidentin
       Giorgia [2][Meloni und ihre Partei Fratelli d’Italia,] können diese
       Tatsache nicht mehr leugnen. Für den Zeitraum 2023 bis 2025 will die
       Regierung 500.000 ausländische Arbeiter ins Land holen.
       
       Auf Sizilien sind vor allem die Sektoren Gastronomie, Fischfang,
       Altenpflege und Landwirtschaft von Einwanderung abhängig. In der Provinz
       Ragusa sind offiziell mehr als 28.000 Beschäftigte in der Landwirtschaft
       registriert, die Hälfte davon sind Ausländer, die Mehrheit von ihnen sind
       Tunesier. Hinzu kommen Tausende Schwarzarbeiter, die weder ein angemessenes
       Gehalt noch irgendeine andere Form der Sicherheit haben.
       
       Viele von ihnen leben in heruntergekommenen Baracken, Zelten oder Hütten
       zwischen Gewächshäusern. Nicht einmal die Gewerkschaft CGIL, die sich für
       die Rechte ausländischer Landarbeiter in der Provinz Ragusa engagiert, kann
       ihre genaue Zahl benennen oder auch nur schätzen. Auf den Straßen in der
       Zone bekommt man eine vage Idee davon, wie viele es wirklich sind.
       Frühmorgens und am späten Nachmittag sieht man ganze Gruppen an Migranten
       auf Fahrrädern und E-Tretrollern, die zur Arbeit oder nach Hause fahren und
       zwischen mit Gemüse beladenen Lastwägen navigieren. Immer wieder kommt es
       dabei zu tödlichen Unfällen.
       
       Zuletzt starb im Februar 2024 ein senegalesischer Arbeiter, der mit einem
       Fahrrad auf einer von Arbeitern viel benutzten Straße unterwegs war, als
       ein Lastwagen ihn erfasste. In den lokalen Medien gibt es jährlich
       Meldungen zu verunglückten Arbeitern.
       
       Mounir ist mit einem Visum nach Sizilien gekommen. Seine Ankunft auf der
       Mittelmeerinsel hatte er sich anders vorgestellt. Dann zitiert er die Worte
       seines Vermittlers, der ihn hierher gebracht hat. Dieser versprach ihm:
       „Mach dir keine Sorgen. Du bekommst alles, Unterkunft und Arbeit.“ Der
       49-Jährige schaut auf seine Füße, schiebt gedankenverloren mit dem einen
       ein bisschen Sand zur Seite. Dann blickt er wieder auf die Wellen vor ihm.
       Weniger als 300 Kilometer Luftlinie trennen den Familienvater, der früher
       am Strand seiner tunesischen Heimatstadt Tabarca als Badeaufsicht
       arbeitete, von seiner Heimat. Heimat, das sind für ihn in erster Linie
       seine Frau und sein sechsjähriger Sohn. Mit ihnen telefoniert er täglich.
       
       Es ist das erste Mal in seinem Leben, dass er sie und Tunesien verlassen
       hat. Jetzt fragt er sich, wofür. „Ich fühle mich, als wäre ich illegal“,
       sagt er und seine dunklen Augen weiten sich. Zu dem Zeitpunkt unseres
       Treffens lebt er mit zwei weiteren tunesischen Arbeitern auf zwölf
       Quadratmetern zwischen Betonwänden. Umgeben von Gewächshäusern, ohne
       fließendes Wasser und anfangs auch ohne Bett. Für die Dusche bleibt nur
       „abgestandenes Wasser, das an mit Pestiziden besprühte Anbauflächen grenzt“
       und das, so Mounir, „einen Juckreiz am ganzen Körper auslöst“. Sein Chef
       brachte ihn und andere ausländische Arbeiter, die zu zweit oder dritt in
       ähnlich beengten Zimmern leben, in einer Absteige auf seinem Grundstück
       unter.
       
       Auch nach seiner Kündigung lebt Mounir hier. Eine Alternative hat er nicht.
       „Meistens wohnen die Arbeiter in der Nähe der Gewächshäuser und müssen
       ihrem Arbeitgeber Miete für ‚ein Haus‘ zahlen. Ein Haus, in dem die
       Lebensbedingungen entsetzlich sind“, kritisiert Giuseppe Scifo, Leiter der
       Gewerkschaft CGIL in der Provinz Ragusa. In vielen Unterkünften fehlen
       Toiletten und Strom.
       
       Mounirs Arbeitgeber holte ihn über einen Vermittler ins Land. Das war im
       Oktober 2023. Dann ließ er ihn erst einmal warten – monatelang. Irgendwann
       im Februar darf der Tunesier dann endlich arbeiten, er soll Unkraut jäten.
       „Acht Stunden am Tag für 20 Euro“, sagt Mounir, dem noch heute der Rücken
       schmerzt beim Gedanken an die Arbeit, die er in gebückter Haltung
       ausführte. „Ich konnte nachts nicht schlafen, weil es so weh tat“, sagt er
       und ergänzt ein paar Sekunden später: „Aber das ist jetzt Vergangenheit.“
       Denn womit er damals nicht rechnet: An seinem vierten Arbeitstag ruft ihn
       der Chef zu sich. „Such woanders“, sagt er nüchtern, ohne weitere
       Erklärung. Dann fordert er den Tunesier auf, die Unterkunft zu verlassen.
       Mounir steht unter Schock. Weil er nicht weiß wohin, bleibt er in seinem
       zwölf Quadratmeter großen Versteck – und das wochenlang.
       
       ## Das Geschäft der Vermittler
       
       „Ich gehe morgens um sechs Uhr raus, wenn alle schlafen. Zurück komme ich
       nachts, damit der Chef und die anderen Angestellten mich nicht sehen“,
       erzählt der Tunesier, der sich an diesem Tag in der Mittagspause seines
       Chefs an den Strand davonschleichen musste, um kein Risiko einzugehen. Kaum
       hat er die letzten Worte ausgesprochen, klingelt sein Telefon. Sein
       Mitbewohner, ein langjähriger Freund, der zusammen mit Mounir aus Tunesien
       nach Sizilien gekommen ist, macht sich Sorgen und fragt, wo er steckt. Die
       zwei tauschen ein paar Worte aus. „Pass auf dich auf“, sagt der Freund am
       Ende des Gesprächs nachdrücklich, wohl wissend, dass ihr Chef in der
       gesamten „Fascia transformata“ für seine kriminellen Machenschaften bekannt
       ist. Mehrere Arbeiter, der Gewerkschafter Scifo und der Besitzer eines
       landwirtschaftlichen Betriebs berichten davon. Und nicht nur Mounirs Chef:
       Seine beiden Söhne, auch Landwirte, wurden wegen zahlreicher Misshandlungen
       ihrer Angestellten zu Gefängnisstrafen verurteilt.
       
       Obwohl, oder gerade weil Mounir den legalen Weg gewählt hat, um nach Europa
       zu kommen, ist er einem schmutzigen Geschäft zum Opfer gefallen. Aber er
       ist am Leben. Für viele Menschen, die die Reise über das Mittelmeer
       antreten, darunter auch immer mehr Tunesier, endet die Überfahrt tödlich.
       Seit 2014 [3][starben mehr als] 30.000 Menschen auf ihrer Reise über das
       Mittelmeer nach Europa. Seit ein paar Jahren arbeitet die europäische
       Grenzagentur Frontex eng mit der libyschen Küstenwache zusammen, die für
       Pushbacks von Bootsflüchtlingen bekannt ist. Tausende Tunesier nehmen
       trotzdem die Gefahr auf sich, über das Meer nach Europa zu gelangen.
       
       Diejenigen, die es sich leisten können, wählen den einzig legalen Weg nach
       Italien – den mit einem Visum. Aufgrund der katastrophalen Wirtschaftslage
       Tunesiens, das unter der Regierung [4][von Kais Saïed eine autoritäre
       Wende] erlebt hat, werden es immer mehr. „Tunesien ist seit dem Sturz von
       Ben Ali instabil, es ist ein Land in einem sehr kritischen Zustand: Während
       die Arbeiter früher drei- oder viermal im Jahr zu ihren Familien nach
       Italien kamen und gingen, ziehen sie es heute aus Sicherheitsgründen vor,
       ihre Familien herzuholen, sobald sie sich in Italien niedergelassen haben“,
       bestätigt Giuseppe Scifo, Experte für die „Fascia trasformata“ und
       Gewerkschaftsleiter.
       
       Mounir hat, um auf dem legalen Weg einreisen zu können, in seiner Heimat,
       „alles verkauft, einschließlich mein Auto“. Damit ist er kein Einzelfall:
       Lokale „Vermittler“ machen sich ein Geschäft daraus, arbeitssuchende
       Landsleute in der Heimat an sizilianische Arbeitgeber zu vermitteln. „5.000
       Euro habe ich bar an meinen Vermittler bezahlt“, erzählt Mounir. „650 Euro
       musste ich ihm zusätzlich zahlen, als ich in Sizilien ankam – für eine
       Unterkunftsanmeldung.“ Ein solches Dokument ist in Italien notwendig, um
       einen Arbeitsvertrag unterzeichnen zu können.
       
       Diese Art der Erpressung findet in der „Fascia trasfomata“ vor legalem
       Hintergrund statt. Dieser Entwicklung die Tür geöffnet habe, so erklärt es
       Giuseppe Scifo, das sogenannte [5][„Decreto flussi“]. Es wurde im Jahr 2001
       von der italienischen Regierung beschlossen, mit dem Ziel, den Mangel an
       Arbeitskräften in Italien zu beheben. Scifo erklärt: „Die Anwendung des
       Dekrets hat in den letzten Jahren zugenommen und sein Missbrauch ist
       inzwischen zu einem Massenphänomen geworden, weil es für die Menschen immer
       schwieriger wird, mit anderen Mitteln nach Europa zu kommen.“ Im Jahr 2024
       wurden 4.000 nicht saisonale Stellen speziell für Tunesier und insgesamt
       41.000 saisonale Arbeitsplätze für Ausländer in der Landwirtschaft
       gemeldet, auf die sich auch Tunesier bewerben können.
       
       Für Arbeitgeber ist das Abhängigkeitsverhältnis, das durch das Dekret
       geschaffen wurde, ein gefundenes Fressen. Sie profitieren von der
       Vulnerabilität der Menschen und ihrer Alternativlosigkeit. Besonders
       rentabel wird es für sie dann, wenn sie einen Vermittler bei der
       Einstellung eines Arbeiters hinzuziehen. Häufig handelt es sich dabei um
       eine schon länger im Betrieb arbeitende Person, nicht selten die „rechte
       Hand des Chefs“ mit guten Verbindungen in das Land, in dem die Arbeitgeber
       rekrutieren wollen. So ist es auch im Fall von Mounir. Er berichtet: „Mein
       Vermittler ist in meiner Heimatstadt bekannt, sein Name ist dort jedem ein
       Begriff.“ Für den Arbeitgeber arbeitet dieser schon seit 20 Jahren. Vom
       Geld, das Arbeiter bezahlen, bekommen Vermittler einen Anteil. Der Großteil
       landet in den Taschen des Arbeitgebers.
       
       Dass dieses schmutzige Geschäft weit verbreitet ist, davon kann auch Pipo
       Genovese berichten. Er ist selbst Landwirt und Chef eines Großbetriebs, den
       er sich mit drei Brüdern teilt. Auf fünfzehn Hektar Fläche werden in seinen
       Gewächshäusern in der Gemeinde Santa Croce Camerina Tomaten, Auberginen und
       Paprika kultiviert. 30 Angestellte hat der Betrieb. Er versichert, in all
       den Jahren nie einen Vermittler bei der Einstellung neuer Arbeitskräfte
       hinzugezogen zu haben. Wenn das stimmt, dürfte er einer von wenigen sein:
       Erst vor einigen Wochen stellte sich ein Tunesier, „ein Onkel“, bei ihm
       vor, der ihm für die Einstellung von vier seiner Landsleute insgesamt
       15.000 Euro bot. „Alle Chefs hier würden ein solches Angebot direkt
       annehmen. 3.000 Euro nehmen sie meist pro Arbeiter“, sagt Genovese und
       lacht bitter, während im Hintergrund Gartenscheren klappern. „Als Kollegen
       mitbekommen haben, dass ich später vier Tunesier eingestellt habe, haben
       Sie mich gefragt: „Und wie viel hast du pro Kopf bekommen?“
       
       Für Neuankömmlinge gibt es eine weitere Hürde: Damit ausländische Arbeiter
       überhaupt die Möglichkeit haben, weitere administrative Schritte
       einzuleiten, etwa ein Bankkonto zu eröffnen, füllt der Priester Beniamino
       Sacco seit vielen Jahren jeden Montag Wohnsitzbescheinigungen auf die
       Adresse seiner Kirche im Zentrum von Vittoria aus. Zwischen 600 und 1.000
       Euro müssten Migranten für ein solches Dokument sonst an anderer Stelle
       dafür bezahlen.
       
       ## Verharren in Schwarzarbeit und Anonymität
       
       An diesen Tagen bildet sich vor dem schweren Kirchenportal eine große
       Menschentraube. Arbeiter unterschiedlicher Nationalitäten hoffen, in das
       Büro des Priesters vorgelassen zu werden, in dem dieser wichtige Unterlagen
       für sie ausfüllt. Manche kommen an mehreren Montagen hintereinander, schon
       morgens früh um fünf Uhr, bis es ihnen endlich gelingt. Rund um das
       Kirchengemäuer berichten sie von den erpresserischen Geschäften, denen sie
       zum Opfer gefallen sind. Zwischen 3.000 und 6.000 Euro haben die meisten
       von ihnen bezahlt, um legal nach Sizilien zu kommen. Für einen
       Achtstundentag verdienen sie seither zwischen 30 und 45 Euro. Das ist
       deutlich weniger als die 58 Euro netto, die ihnen laut Gesetz zustehen
       sollte. Bei einem Großteil stehen die 58 Euro trotzdem auf dem Lohnzettel,
       obwohl nur die wenigsten diesen Betrag wirklich bekommen.
       
       „Allein die Tatsache, dass es der Arbeitgeber ist, der die Macht über seine
       Arbeiter hat, weil es von ihm abhängt, ob sie kommen und dableiben dürfen,
       verletzt rechtlich den Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung“, kritisiert
       Giuseppe Scifo. Er zeigt sich besorgt über die Absicht der rechtsextremen
       Regierung Meloni, die Zahl legaler ausländischer Arbeitnehmer in den
       nächsten Jahren weiter zu erhöhen, ohne vorher die Modalitäten zu ändern.
       Er selbst erstattete im August 2023 zum ersten Mal Anzeige bei der
       Staatsanwaltschaft wegen eines Falls, bei dem mehr als 20 tunesische
       Arbeiter jeweils 2.000 Euro zahlen mussten, um mit einem Visum nach
       Sizilien zu reisen. Für die Opfer selbst ist es oft nicht einfach, die
       Vermittler anzuzeigen. Schon gar nicht, wenn sie von ihnen abhängig sind.
       
       Die letzten 30 Jahre hat der 81-jährige Priester Sacco damit verbracht, auf
       die Missstände in den Gewächshäusern in der Provinz Ragusa aufmerksam zu
       machen. Sein Einfluss ist über die Grenzen der „Fascia trasformata“ hinaus
       bekannt. Dutzende Menschen, die den Mut hatten, gegen das ihnen
       widerfahrene Unrecht vorzugehen, hat er aus ausbeuterischen Situationen
       befreien können. Darunter auch Arbeiterinnen, die Opfer sexueller Gewalt
       wurden. Beniamino Sacco hat vor Jahren selbst eine landwirtschaftliche
       Genossenschaft gegründet.
       
       Vier Personen sind dort angestellt. „Das illegale Geschäft ist in der Zone
       überall in den Gewächshäusern Realität“, sagt der Priester, der die
       Genossenschaft regelmäßig besucht, um sich mit den Arbeitern auszutauschen.
       „Ein Mann aus Bangladesch, den ich kenne, hat mir erzählt, dass er einen
       Betrieb sucht, der Arbeitskräfte braucht, er wolle zwei Landsleute
       vermitteln. Er verlangte von ihnen 1.000 Euro pro Person“, ergänzt er.
       
       Es ist Nachmittag geworden am Strand. Die Sonne steht hoch oben am Himmel,
       in den Gewächshäusern der „Fascia trasfromata“ wird die Luft zunehmend
       stickiger. Mounir schaut auf sein Handy – und zuckt kurz zusammen. Die
       Mittagspause seines Chefs ist bald vorbei. Er muss zurück in seine
       Unterkunft. Schon ein paar Minuten später biegt er auf einen Schotterweg
       ein und läuft in langen, aber vorsichtigen Schritten eine Reihe von
       Gewächshäusern ab. Hinter einem davon verschwindet er. Am Abend schickt er
       eine SMS: „Es ist alles gut gegangen.“
       
       Ein paar Wochen später meldet Mounir sich noch einmal. Er musste drei
       Monate warten, um bei einem neuen Arbeitgeber legal angestellt werden zu
       können, erzählt er. Tatsächlich sieht es das Gesetz so vor. Er habe in
       dieser Zeit bereits schwarz in den Gewächshäusern seines neuen Dienstherrn
       gearbeitet, sagt er – von irgendetwas habe er ja leben müssen. Diesen
       Arbeitgeber, der tatsächlich bereit war, ihn legal anzustellen, habe er
       über Kontakte gefunden. Mounir hatte damit mehr Glück als die meisten
       Arbeiter der „Fascia trasformata“, die oftmals jahrelang gezwungen sind, in
       Schwarzarbeit und Anonymität zu verharren.
       
       Mounir wirkt jetzt zufriedener. Auch weil er statt vorher 20 Euro Tageslohn
       immerhin nun 50 Euro bekomme. Das sind zwar immer noch nicht die gesetzlich
       eigentlich vorgesehenen 58 Euro – aber immerhin mehr als das, was er vorher
       bekam. Der Tunesier hofft jetzt darauf, dass er in nicht allzu ferner
       Zukunft seine Frau und seinen Sohn nach Italien holen kann. „Sie hat mir in
       der ganzen Zeit immer gesagt:‚Du schaffst das, und wenn es Tage oder Wochen
       dauert.‘ Wegen ihr stehe ich überhaupt noch auf den Füßen.“
       
       14 Oct 2024
       
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