# taz.de -- Durch Telefonüberwachung identifiziert: Nazis wegen Mordversuchs vor Gericht
       
       > Die drei Männer aus Hannover sollen einen Mann halb totgeschlagen und
       > dann liegengelassen haben. Die Gruppe stand unter Terrorverdacht.
       
 (IMG) Bild: Auch als Liedermacher aktiv: Patrick S. 2012 beim Bundeskongress der NPD-Jugendorganisation Junge Nationalisten in Kirchheim
       
       Hannover taz | „Patrick S., Florian L. und Frederik L. werden angeklagt, am
       7. Januar 2020 zwischen 5 und 5.25 Uhr in Garbsen durch gemeinschaftliche
       Handlung versucht zu haben, heimtückisch einen Menschen zu töten.“ Mit
       diesen Worten eröffnet Staatsanwältin Samantha Zohri am Dienstagvormittag
       den Anklagevorwurf am Landgericht Hannover.
       
       Es ist ein bemerkenswerter Prozess, denn hier stehen drei umtriebige
       Neonazis aus der Region Hannover unter anderem wegen versuchten Mordes vor
       Gericht. Bei den Angeklagten handelt es sich um [1][Mitglieder der
       sogenannten „Calenberger Bande“]. Bis vor etwa einem Jahr ermittelte die
       Generalstaatsanwaltschaft Celle wegen Terrorverdachts gegen die Gruppe.
       Äußern wollten sich die drei zu den Vorwürfen nicht.
       
       Im Januar 2020 sollen sie am frühen Morgen einem Garbsener vor dessen Tür
       aufgelauert, ihn überfallen, mit Kabelbindern und Tape gefesselt und
       verprügelt haben. Dann sollen sie seine Wohnung durchsucht, aber nichts
       außer dem Schlüssel mitgenommen haben. Den Mann habe die Gruppe einfach vor
       seiner Garage liegen lassen – und damit aufgrund der Schwere der
       Verletzungen seinen Tod in Kauf genommen haben, heißt es in der Anklage.
       
       Ein Passant habe ihn etwa eine halbe Stunde später zufällig gefunden,
       erläutert Staatsanwältin Zohri. Der Mann habe diverse Frakturen und
       Einblutungen an mehreren Stellen gehabt und habe ins künstliche Koma
       versetzt werden müssen.
       
       ## Erst künstliches Koma, dann monatelange Reha
       
       Am Nachmittag des ersten Prozesstages äußert sich der Geschädigte, ein
       51-jähriger VW-Arbeiter, und sagt, er könne sich an kaum etwas erinnern.
       Lediglich, dass er auf dem Weg zu seinem Auto gewesen sei. Etwa einen Monat
       später sei er im Krankenhaus aus dem Koma erwacht. Die anschließende Reha
       habe mehrere Monate gedauert. Im Herbst 2020 habe er wieder begonnen zu
       arbeiten. Bis heute leide er immer wieder an einer Schwäche im rechten Arm,
       lasse deswegen Dinge fallen.
       
       Warum er zum Opfer wurde, ist ihm völlig unklar. Weder auf der Arbeit noch
       privat habe er jemals Konflikte oder Stress gehabt. Aus seiner Wohnung sei
       nichts gestohlen worden, so der 51-Jährige. Nur der Wohnungsschlüssel, den
       er an dem Tag bei sich hatte, sei bis heute nicht wieder aufgetaucht. Die
       Beschuldigten seien für ihn Unbekannte, so der VW-Arbeiter.
       
       Eine große Zahl an Beweismitteln hat der Vorsitzende Richter Martin Grote
       im Selbstleseverfahren eingeführt. Alle Prozessparteien erhielten einen
       zentimeterdicken Hefter. Den dürfen Journalist:innen zwar nicht
       einsehen, aus der Liste der genannten Dokumente wird allerdings klar: Die
       Polizei überwachte am 7. Januar 2020 mehrere Telefone, die sie wohl den
       Angeklagten zurechnet. Verteidiger Matthias Steppuhn meldete, ohne den
       Hefter durchgesehen zu haben, unmittelbar Bedenken an. Die
       Staatsanwaltschaft ist aufgrund der Ermittlungen aber offenbar sicher, dass
       es sich bei den Tätern um die Beschuldigten handelt.
       
       Und die sind keine Unbekannten: Bilder von einem klandestinen Treffen der
       neonazistischen Gruppe Calenberger Bande, die Antifaschist:innen 2020
       auf dem linken Portal Indymedia veröffentlicht hatten, zeigen zwei der
       Angeklagten. Dazu wurden dort Vermutungen geäußert, dass eine Reihe von
       Schmierereien, Überfällen und Anschlägen, wie etwa auf eine kurdische
       Familie und ein jüdisches Ehepaar, auf die Kappe der Neonazis gehen könnte.
       Die Taten sind bis heute nicht aufgeklärt.
       
       Kurz nach der Veröffentlichung auf Indymedia – und dem Überfall auf den
       Garbsener – durchsuchte die Polizei in der Hildesheimer Straße in Hannover
       die Wohnung, in der damals auch der Angeklagte Patrick S. lebte. Der hieß
       zu dem Zeitpunkt noch Patrick K. und gibt vor Gericht an, mittlerweile
       geheiratet zu haben. Auch sein Aussehen hat sich gewandelt. Der
       Kurzhaarschnitt ist einer Gelfrisur gewichen. S. trägt nun einen
       prominenten Schnauzbart.
       
       Um Patrick K. war es in den vergangenen Jahren ruhig geworden. Der
       bundesweit aktive Neonazi hat eine lange Historie des rechtsextremen
       Aktivismus. Er war Teil der Führungsriege der [2][Kameradschaft „Besseres
       Hannover“], die 2012 als kriminelle Vereinigung verboten wurde. [3][Mit
       Internetvideos, in denen ein „Abschiebär“ Migranten verunglimpfte], hatte
       die Gruppe Aufsehen erregt.
       
       ## Ein lange Liste von Straftaten
       
       Seit 2013 war Patrick S. als Liedermacher beim Rechtsrocklabel Opos aktiv.
       2015 wurde er zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte
       Parteibüros angegriffen, Stolpersteine und einer Gedenktafel für
       deportierte Jüdinnen und Juden beschmiert, den
       Grünen-Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler und Mitglieder der DKP
       angegriffen und versucht, Geflüchtete während eines Hungerstreiks
       anzugreifen. In dieser Zeit lebte S. in Chemnitz, wo er versuchte, mit dem
       „Rechten Plenum“ einen Nazikiez zu errichten. Das scheiterte wegen
       verschiedener Veröffentlichungen. Der Neonazi zog zurück nach Hannover.
       
       Auch die anderen Angeklagten bewegen sich, wie [4][Recherchen des Relate
       Magazin] aus Hannover zeigen, in einem einschlägigen Milieu. Sie waren etwa
       Mitglieder im [5][Motorradklub „Shelter Dogs MC“], gegen dessen Präsidenten
       der militärische Abschirmdienst MAD im Kontext des Elitesoldaten-Netzwerks
       „Nordbund“ ermittelte. Frederik L. ist außerdem professioneller
       Mixed-Martial-Arts-Kämpfer.
       
       Auf die Gründe dafür, dass der Prozess mehr als vier Jahre nach der Tat
       abgehalten wird, will der Vorsitzende Richter im Laufe des Verfahrens
       eingehen. Warum das [6][Terror-Verfahren eingestellt] wurde, wenn
       zeitgleich gegen drei der Gruppenmitglieder wegen versuchten Mordes
       ermittelt wurde, ist unklar und war am ersten Verhandlungstag kein Thema.
       Wie der politische Hintergrund der Angeklagten im Allgemeinen.
       
       Hinweis: Wir hatten ursprünglich geschrieben, der MAD habe gegen den
       Präsidenten des Motorradclubs „Shelter Dogs MC“ wegen der „Wehrsportgruppe
       G“ ermittelt. Tatsächlich ging es um das Netzwerk „Nordbund“. Wir haben den
       Fehler korrigiert.
       
       17 Sep 2024
       
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 (DIR) [6] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/ermittlungen-neonazis-100.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Trammer
       
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