# taz.de -- Tod von Hassan Nasrallah: Das Ende eines Warlords
       
       > Hassan Nasrallah ist bereits der zweite Anführer der Hisbollah, den
       > Israel aus dem Weg räumt. Seine Parolen und Strategien dürften überleben.
       
 (IMG) Bild: Vorbild Nasrallah: Eine Frau im Libanon läuft mit einem Porträt durch die zerstörte Grenzstadt Aita al-Shaab
       
       FREIBURG taz | Nur wenige Wochen nach seinem 64. Geburtstag wurde der
       Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Abd al-Karim Nasrallah, [1][am
       Freitag in deren Hauptquartier im Süden Beiruts durch israelische Bomben
       getötet.] Der Angriff auf einen sechsteiligen Wohnblock forderte viele
       Opfer, darunter weitere Kader der schiitischen Organisation und praktisch
       ihre gesamte Führungsriege. Die Hisbollah ist durch den Tod ihres
       charismatischen Anführers führungslos und geschwächt. Aber auch der Iran
       ist gedemütigt. Nasrallah war der mächtigste schiitische Geistliche nach
       Irans Führer [2][Chamenei]. Sein Tod markiert eine Zäsur – nicht nur für
       den Libanon, wo nun ein Machtvakuum entstanden ist und die Regierung eine
       dreitägige Staatstrauer anordnete, sondern für die gesamte Region.
       
       Nasrallah ist bereits der zweite Anführer der pro-iranischen Schiitenmiliz,
       den Israel aus dem Weg geräumt hat. Im Februar 1992 töteten israelische
       Kampfhubschrauber im Südlibanon den damaligen Generalsekretär der Hisbollah
       Abbas al-Musawi, als dieser mit seiner Frau und seinem 5-jährigen Sohn in
       einem Fahrzeug saß. Al-Musawi hatte die Karriere des damals 32-jährigen
       Nasrallah, der nur wenige Tage später das Amt als ranghöchster Funktionär
       der Hisbollah übernahm, entscheidend beeinflusst.
       
       Die beiden Geistlichen hatten sich Mitte der siebziger Jahre im irakischen
       Nadschaf kennengelernt, wo sie bei dem einflussreichen schiitischen
       Gelehrten Muhammad Baqr as-Sadr studierten. Nasrallahs Familie stammte aus
       dem Südlibanon, dessen Schiiten über Jahrhunderte hinweg enge Beziehungen
       zu ihren Glaubensbrüdern im Irak und Iran pflegten. As-Sadr war ein
       Gesinnungsgenosse des iranischen Ayatollah Ruholla Chomeini, der von 1965
       bis 1978 ebenfalls im Nadschaf im Exil lebte. Khomeini begeisterte die
       beiden jungen Libanesen für seine Vision eines islamischen Staates und
       einer islamischen Weltrevolution, die er nach der Revolution 1979 umsetzen
       sollte. In Nadschaf fand die gemeinsame Zeit der schiitischen
       Religionsgelehrten jedoch bald ein Ende. Als der irakische sunnitische
       Diktator Saddam Hussein begann, sie massiv zu verfolgen, gingen al-Musawi
       und Nasrallah Ende der siebziger Jahre zurück in den Libanon.
       
       Nasrallah wurde 1960 in der libanesischen Stadt Tyros unweit seines
       Heimatdorfes Bazuriya als ältestes von neun Kindern eines Gemüsehändlers
       geboren. Schiitischer Aktivist wurde er schon in der Zeit, in der seine
       Familie in eines der ärmeren schiitischen Viertel Südbeiruts gezogen war,
       von dort aber vor Übergriffen der christlichen Milizen zu Beginn des
       Bürgerkriegs 1975 wieder in den Süden des Libanon floh. Mit nur 15 Jahren
       gehörte er zu den jugendlichen Anführern der libanesisch-schiitischen
       Amal-Bewegung in Tyros. Diese hatte der Exil-Iraner Musa as-Sadr –
       ebenfalls mit südlibanesischen Wurzeln – in der Küstenstadt ins Leben
       gerufen. Die Amal verhalf den Schiiten, die im von Christen und Sunniten
       dominierten Libanon gesellschaftlich und politisch marginalisiert waren, zu
       neuem Selbstbewusstsein.
       
       ## Einer der Mitgründer der Hisbollah
       
       Sie geriet allerdings in eine tiefe Krise, als Musa as-Sadr 1978 in Libyen
       unter ungeklärten Umständen verschwand. Nach 1979 spaltete sie sich, als
       Chomeinis libanesische Anhänger der Bewegung den Rücken kehrten – darunter
       auch al-Musawi und Nasrallah, der als Student in dessen Religionsschule in
       Baalbek bis dahin den dortigen Amal-Zweig geleitet hatte. Dort nahe der
       syrischen Grenze wurde in den nächsten Jahren libanesische Geschichte
       geschrieben. Im Sommer 1982 marschierte Israel in den Südlibanon ein, um
       die dort aktiven palästinensischen Kampforganisationen zu bekämpfen. Schon
       kurz darauf wurde die Stadt in der Bekaa-Ebene zu einem Stützpunkt des
       Iran: Teheran schickte über Syrien mehrere Hundert seiner
       Revolutionsgardisten dorthin, um sich dem Kreis der einheimischen
       Chomeinisten anzuschließen, aus dem schon bald die Hisbollah hervorging.
       
       Neben seinem Mentor Abbas al-Musawi gehörte auch Nasrallah zu ihren
       Mitbegründern. Er fiel schon früh durch sein rhetorisches Talent auf. In
       der noch weitgehend klandestin operierenden Organisation war er zunächst
       für die Bekaa-Ebene zuständig. 1985 präsentierte sich die Hisbollah in
       Beirut der Öffentlichkeit offiziell mit einem Manifest, und Nasrallah
       betreute ihre dort schnell zunehmenden Aktivitäten. 1989 wurde er in den
       Schura-Rat, das höchste Gremium der Hisbollah, gewählt und fungierte auch
       als Vorsitzender ihres Exekutivrats. Als im Libanon Kämpfe zwischen der
       pro-syrischen Amal und der Hisbollah um die Vorherrschaft im schiitischen
       Lager ausbrachen, brach er sein erneut aufgenommenes Religionsstudium im
       iranischen Ghom ab. Diese Kämpfe dauerten bis 1990 an und behinderten
       teilweise den Kampf beider Milizen gegen die Israelis und die von ihnen
       aufgebaute Südlibanesische Armee (SLA).
       
       Nachdem der innerschiitische Konflikt beigelegt war, übernahm der
       militärische Arm der Hisbollah, der sich Islamischer Widerstand nannte, die
       Führung im Kampf gegen die Besetzung des Südlibanon. Er konnte das, weil im
       zwischen den libanesischen Bürgerkriegsparteien ausgehandelten „Abkommen
       von Taif“ von 1989 nur der Hisbollah gestattet wurde, ihre Miliz weiter zu
       behalten. Schon mit der Tötung ihres damaligen Anführers Abbas al-Musawi
       hatte Israel vergebens versucht, den massiv zunehmenden Widerstand der vom
       Iran finanzierten und aufgerüsteten Schiitenmiliz zu brechen. Das Attentat
       habe aber nur das Gegenteil bewirkt und die Reihen noch enger geschlossen,
       sagte Nasrallah in einem seiner ersten Presseinterviews als
       Generalsekretär. Auf die Frage, ob die Hisbollah künftig ihren Kampf auch
       ins israelische Gebiet bis hin zur propagierten Befreiung Jerusalems tragen
       wolle, antwortete Nasrallah, dass dieses Ziel wie auch die Vernichtung
       Israels von Chomeini vorgegeben sei und als Fernziel bestehen bleibe.
       
       Nüchtern konstatierte er jedoch, dass man sich über die Fähigkeit der
       eigenen Mudschahedin keine Illusionen mache. Deshalb müsse man gegen Israel
       die unkonventionellen Kampfmethoden eines Zermürbungskriegs anwenden, um es
       zu zwingen, sich aus dem Südlibanon zurückzuziehen. Zu diesen Methoden
       gehörten auch Selbstmordattentate, die der „Islamische Widerstand“ sehr
       kalkuliert und medial geschickt als Waffe einsetzte – Nasrallah selbst ließ
       sich auf Videos bei der Verabschiedung von Selbstmordattentätern mit
       inszenieren. Hunderte Guerilla-Aktionen und ebenfalls medial orchestrierte
       Überfälle auf SLA-Stellungen und israelische Patrouillen zwangen unter
       Nasrallahs Führung die israelischen Besatzer, im August 2000 aus dem
       Südlibanon abzuziehen.
       
       ## Das Image als Nationalheld bröckelte mit der Zeit
       
       Spätestens ab diesem Zeitpunkt galt Hassan Nasrallah im Libanon als
       Nationalheld. Seine Popularität wuchs in den Jahren zuvor aber noch aus
       einem anderen Grund: Unter seiner Führung schritt die Integration der
       Hisbollah in die libanesische Gesellschaft und Politik immer weiter voran.
       Sie baute ihre sozialen und medizinischen Einrichtungen kontinuierlich aus,
       formierte sich 1992 auch als Partei und zog ins Parlament ein. Dort
       agitierte sie in der Opposition gegen das konfessionelle Proporzsystem des
       Libanon. Schließlich schien sie dieses System aber doch zu akzeptieren, und
       beteiligte sich 2005 zum ersten Mal an einer Regierung. Noch frenetischer
       wurde Nasrallah als Held gefeiert, als Israel im Sommer 2006 mit
       Bodentruppen im Südlibanon einmarschierte, sich aber wegen hoher Verluste
       schon nach rund einem Monat wieder zurückzog. Die Hisbollah konnte seitdem
       weitgehend ungehindert weiter aufrüsten – auch, weil Syrien nach Abzug
       seiner Truppen aus dem Libanon 2005 deren Versorgung mit Waffen durch
       seinen Verbündeten Iran gestattete.
       
       Den fortwährenden militärischen Widerstand gegen Israel konnte Nasrallah
       nicht nur mit der israelischen Besetzung der Schebaa-Farmen begründen,
       einer umstrittenen Zone entlang der östlichen Grenzlinie im Süden des
       Landes. Wie seit Beginn seiner Laufbahn als Politiker nutzte er auch jetzt
       die „Usurpation Palästinas“ als Rechtfertigung für Attacken auf
       israelisches Territorium in Zeiten, in denen der Konflikt zwischen Israel
       und den vom Iran unterstützten Milizen der islamistischen Hamas und des
       Islamischen Dschihad eskalierte.
       
       Im Libanon verlor die Hisbollah im Mai 2008 massiv an Popularität, als ihre
       Milizionäre als Reaktion auf die versuchte Abschaltung ihres
       Kommunikationsnetzes kurzzeitig gewaltsam die Kontrolle über Westbeirut
       übernahmen und die Büros des anti-syrischen Medienkonzerns Al-Mustaqbal der
       einflussreichen sunnitischen Hariri-Familie niederbrannten. Von
       innerlibanesischer Kritik unbeeindruckt, ließ Nasrallah die eigene Miliz
       dann dem brutalen Assad-Regime im syrischen Bürgerkrieg zu Hilfe eilen.
       
       Damit wuchsen die Zweifel am libanesisch-patriotischen Image, das Nasrallah
       für seine Bewegung all die Jahre aufgebaut hatte. [3][Nach dem verheerenden
       Terrorangriff der Hamas] und der mit ihr verbündeten Milizen am 7. Oktober
       2023 verfestigte er den Eindruck, die Hisbollah sei nach wie vor ein vom
       Iran gesteuerter Fremdkörper – nicht nur durch die für ihn typische
       anti-israelische Rhetorik, sondern vor allem durch den massiven Beschuss
       Nordisraels mit Raketen und Drohnen. Nasrallahs Märtyrertum feiern seine
       Anhänger bereits als Teil der organisationseigenen „Karawane der Märtyrer“.
       Sein Amt dürfte bald ein anderer übernehmen, mit ähnlichen Parolen und
       Strategien – sie werden zumindest so lange gleich bleiben, wie sich in
       Teheran nichts ändert.
       
       29 Sep 2024
       
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