# taz.de -- Lyrik trifft Theater: Es gibt nichts gutzumachen
       
       > Im Maxim Gorki Theater in Berlin inszeniert Daniel Arkadij Gerzenberg
       > sein Langgedicht „Wiedergutmachungsjude“. Es ist ein berührendes
       > Kammerspiel.
       
 (IMG) Bild: Daniel Arkadij Gerzenberg (l.) und Dor Aloni (r.) im Gespräch über Trauma und Schmerz
       
       Manchmal ist es ganz einfach. So, wie wenn die Juden Daniel Arkadij
       Gerzenberg und Dor Aloni ungefähr gegen Mitte ihrer 2-Mann-Show zur Melodie
       „All The Things She Said“ des russischen Pop-Duos t.A.T.u. anstatt „Running
       through my head, running through my head“, „Alles wieder gut, alles wieder
       gut“ singen. Und einem als Deutscher, der für die [1][politische Theatralik
       der BRD] nicht blind ist – vielleicht auch nur als Deutscher – ein Schauer
       über den Rücken läuft.
       
       „Wiedergutmachungsjude“ ist die Bühnenfassung des gleichnamigen und im
       letzten Jahr erschienenen Langgedichts Gerzenbergs, dargestellt [2][im
       Gorki Theater] als Zwiegespräch zwischen ihm und seinem „Spiegelbild“
       Aloni, israelischer Schauspieler und Regisseur, vor einer zu Brit Mila
       gedeckten Tafel.
       
       Ein deutscher Arzt, der sich „auffallend für die Shoah interessiert“,
       misshandelt darin in Jugendjahren das lyrische Ich. „kann ich irgendwas/
       wiedergutmachen“, fragt er Daniel später. Der Übergriff steht im
       Mittelpunkt der autofiktionalen, autoanalytischen Selbsterzählung und
       lyrischen Selbstwerdung des 33-Jährigen, der auch Pianist ist.
       
       ## Als Kontingentflüchtling nach Hamburg
       
       Mit seinen Eltern kam er als sogenannter Kontingentflüchtling aus der
       untergegangenen Sowjetunion, aus Russland, nach Hamburg. Er führte dort
       wohl eine recht normale Kindheit, wenn man das so sagen kann, bis auf die
       Tatsache, dass er Jude in Deutschland war.
       
       „erzähl keinem dass/ du jude bist“, sagt ihm seine Mutter. „bist du mit
       einer nichtjüdin/ wird sie dir vorwerfen/ dass du jude bist“, sagt ihm sein
       Vater. „ich finde es schön/ dass du jude/ bist“, sagt ihm sein Kinderarzt.
       Dieser Philosemitismus, die Ästhetisierung Daniels, bloß weil er Jude ist,
       trägt die Übergriffigkeit bereits in sich.
       
       Theoretische Hintergrundfolie – es klingt im Titel bereits an – ist auch
       [3][Max Czolleks] Wutessay „Versöhnungstheater“ aus dem Jahr 2023. Dessen
       These: Die deutsche Erinnerungskultur nach 1945 verfolgte ausschließlich
       den Zweck, das Selbstbild der „wiedergutgewordenen Deutschen“ zu
       bestätigen.
       
       Obwohl in der Grundaussage richtig, hatte der Text damals – zu Recht –
       viele Leser erzürnt. Er war selbstgerecht, Czollek wollte nicht nur mit der
       deutschen Erinnerungskultur, sondern mit dem deutschen Nationalismus
       insgesamt Schluss machen. Anstelle des falschen „Erinnerungstheaters“
       setzte er einfach eine andere Ideologie: „Vielfalt“ und „Pluralität“.
       
       ## Offen und verletzlich
       
       Vor diesem Hintergrund wirkt Gerzenbergs Stück, der in seinem Langedicht
       Czollek explizit erwähnt, wie die verletzlichere, offenere Seite Czolleks.
       Gerzenberg zeigt seine Wunde, der Ton seiner Lyrik ist nicht anklagend,
       sondern routiniert, klar, reflektiert. Andererseits führt sein
       allegorisches Kammerspiel nicht bloß deutsche postnazistische Riten vor,
       sondern nimmt auch jüdisches Brauchtum in die Pflicht.
       
       Zu seiner Brit Mila heißt es: „meine eltern/ dachten nicht/ trauma/
       sondern/ jude“. Die Bilder der feiernden Gemeinde flimmern das ganze Spiel
       hindurch über die Leinwand. Der Kontrast zwischen der Euphorie der
       patriarchalen Struktur, die ihren männlichen Säuglingen das Mal ihrer
       Herkunft buchstäblich ins Fleisch schneidet, und der Schmerz dieser Wunde,
       die ja die des jüdischen Mannes ist, bilden die identitätsstiftende
       Spannung, die schließlich auch Daniels Verhältnis zum deutschen Kinderarzt
       bestimmt.
       
       Zwar in seiner Intimität verletzt, gewinnt er über die Auseinandersetzung
       mit seinem Schmerz an Gefühl dafür, wo seine Grenzen liegen. Daniel sagt:
       Ich will Dichter sein, kein Pianist. Und sein Piano-Lehrer sagt: „du weißt
       was du willst ich/ werde dich unterstützten“.
       
       Natürlich hat der „Wiedergutmachungsjude“, wie auch schon Czolleks Essay,
       etwas Ambivalentes. Denn der Versuch, das deutsch-jüdische Verhältnis zu
       definieren, bringt ja das jeweils Eigene auf den Plan, auch der Deutschen,
       und damit die Gefahr, dass sie sich wieder gegen die Juden wenden. Nun
       zeigt Gerzenberg, dass schon die Angst hiervor, sublimiert als
       narzisstische Moral, die Situation realisiert. Es gibt nichts gutzumachen,
       dieser Satz ist auch jüdischer Selbstschutz.
       
       2 Oct 2024
       
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