# taz.de -- Filme über Diktaturen in Venedig: Viel Gegenwart der Vergangenheit
       
       > Bei den Filmfestspielen von Venedig werden ein Migrantenschicksal in den
       > USA und zweierlei Diktaturen zu unterschiedlichen Kinoereignissen.
       
 (IMG) Bild: Eunice Paiva (Fernanda Torres) in „Ainda estou aqui“
       
       Venedig taz | Dieser Wettbewerb von Venedig empfiehlt sich so weit
       vorwiegend mit Genrekino und dem, was man „Mainstream-Arthousekino“ nennen
       könnte. Das ist nicht unbedingt eine schlechte Sache, erweckt aber den
       Eindruck, dass Routine und Bewährtes die klare Oberhand gegenüber der Lust
       auf Überraschungen haben. Für bestimmte Geschichten ist so ein
       traditioneller Ansatz auch nicht unbedingt etwas Schlechtes.
       
       Walter Salles etwa nimmt sich in seinem Beitrag „Ainda estou aqui“, zu
       Deutsch „Ich bin immer noch hier“, des Schicksals einer Familie während der
       Militärdiktatur Brasiliens an. Seine Hauptfigur Eunice Paiva, gespielt von
       Fernanda Torres, muss zu Beginn der siebziger Jahre erleben, wie ihr Mann
       Rubens (Selton Mello) eines Tage von zu Hause abgeführt wird und sie selbst
       zusammen mit einer ihrer Töchter in einem Gefängnis in Rio de Janeiro
       landet, wo man beide verhört. Nach ihrer Rückkehr bleibt ihr Mann
       verschwunden, ihr Haus wird observiert.
       
       Diesen realen Fall erzählt Salles aus der Sicht Eunice Paivas, begleitet
       sie, wie sie jahrzehntelang erfolglos versucht, offizielle Informationen
       über ihren Mann zu erhalten und dabei ständig mit der Angst lebt, dass sie
       oder ihre Kinder ebenfalls Opfer der Militärgewalt werden könnten. Den Tod
       ihres Mannes bekommt Eunice Paiva, inzwischen zur Menschenrechtsanwältin
       und Expertin für die Rechte Indigener geworden, erst Mitte der neunziger
       Jahre offiziell bestätigt.
       
       Salles inszeniert das Klima von ständiger Bedrohung fast wie ein
       Kammerspiel, konzentriert sich auf das Leben im repräsentativen Haus der
       Paivas am Strand von Rio, wo Eunice mit ihren fünf Kindern bemüht ist,
       diesen so viel Normalität zu ermöglichen wie die Umstände zulassen.
       Grundlage für den Film ist das gleichnamige Buch des Sohns Marcelo Rubens
       Paiva aus dem Jahr 2015.
       
       ## Adrien Brody als Bauhaus-Architekt László Tóth
       
       Eine fiktive Biografie schildert hingegen Brady Corbet in seinem drei
       Stunden langen Film „The Brutalist“. Sein Held ist der in Ungarn geborene
       Architekt László Tóth, der nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA
       auswandert. Am Bauhaus ausgebildet und früh als junges Talent gefeiert, war
       dieser Tóth während der NS-Zeit in Ungnade gefallen und wurde später in ein
       Konzentrationslager deportiert.
       
       Adrien Brody gibt Tóth als heftig gebrochenen Charakter, der zugleich in
       seiner Arbeit kompromisslos vorgeht. Durch Zufall lernt er den Millionär
       Harrison Lee Van Buren kennen, einen so großspurigen wie cholerischen
       Egozentriker, der ihm ein Großprojekt anbietet. Corbet lässt im Film denn
       auch einen beachtlichen Betonkomplex auf einem Hügel in Pennsylvania
       heranwachsen, dessen markante Form ihren Ursprung in Tóths Biografie hat.
       
       „The Brutalist“ durchläuft wie ein Epos verschiedene Stationen im Leben
       Tóths, gibt der sehr wechselhaften Beziehung zu Van Buren viel Raum, führt
       erst mitten in der Handlung Lászlós Frau Erzsébet (Felicity Jones) ein,
       obwohl ihre Stimme als erste im Film zu hören ist. Corbet lotet für diese
       Figuren einige Grenzen aus, überschreitet sie mitunter in gewaltsamer
       Weise. Ob alles davon nötig ist, bleibt unklar, doch landet er mit diesem
       Höhenflug mit einigem Vorsprung vor seinen bisherigen Mitstreitern um den
       Goldenen Löwen.
       
       Wenn noch mehr Raum wäre, gebührte auch Bogdan Mureșanus in der Reihe
       Orizzonti gezeigtem Film „Anul Nou care n-a fost“ etwas mehr Platz. Dieser
       führt die Schicksale von sechs Personen am Vorabend der rumänischen
       Revolution 1989 zusammen. Einige von ihnen sind der Regierung müde, andere
       waren nie mit der Diktatur Ceaușescus einverstanden. Der Schrecken wird bei
       Mureșanu mit ein wenig Ironie gemildert, und zudem hat diese Geschichte ein
       wirkliches Happy End: Triumph mit Ravels „Bolero“.
       
       2 Sep 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
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