# taz.de -- Künstler Gustav Metzger: Im Schatten des Existenzverlusts
       
       > Geflüchteter, Überlebender, Anarchist und Künstler: Das war Gustav
       > Metzger. In Frankfurt ist eine Retrospektive des Nonkonformisten zu
       > sehen.
       
 (IMG) Bild: Gustav Metzger, Historic Photographs, Kill the cars, Camden Town London 1996
       
       Dass die Menschheit sich selbst zerstören könnte, ist ein langlebiger
       literarischer Topos. In der Regel geht es dabei um Einzelpersonen, die sich
       auf verschiedene Weise ruinieren und zu Tode bringen, dem [1][Freud’schen
       Todestri]eb folgend ihre Existenz auslöschen und dabei gelegentlich andere
       mitnehmen.
       
       Der [2][Soziologe Emile Durkheim hat Selbstmord] zu einem kollektiven
       Phänomen erhoben, Evolutionsbiologen verzeichnen periodische Fälle des
       (zuletzt menschengemachten) Artensterbens, die Erdsystemforschung berechnet
       die Wahrscheinlichkeit einer ebenfalls anthropogenen „Selbstverbrennung“
       (John Schellnhuber). Anthropologen haben Fälle von Institutionensterben
       beschrieben, darunter: „How democracies die“. Nicht zu vergessen ist die
       latente Gefahr der Selbstauslöschung in einem globalen nuklearen Desaster.
       
       Derart apokalyptische Autodestruktionen beschäftigen natürlich auch die
       Kunst, inklusive der Selbstvernichtung von Kunstwerken. Ein ironisches
       Beispiel bot jüngst die Selbstzerstörung [3][eines Kunstwerks von Banksy im
       Augenblick seiner Ersteigerung].
       
       Die „Autodestruktive Kunst“ des 1926 in Nürnberg geborenen und 2017 in
       London verstorbenen Gustav Metzger zeigt jetzt eine Ausstellung im MMK
       Tower in Frankfurt am Main. Die Retrospektive des notorischen
       Nonkonformisten, der dem Holocaust 1939 dank eines [4][„Kindertransports“
       nach England] entkam, thematisiert den Massenmord an Jüdinnen und Juden als
       Beispiel der Zerstörungskraft der Menschheit. Für Metzger stand Kunst stets
       im Schatten des Existenzverlusts.
       
       Sein Markenzeichen setzte Metzger 1959 mit dem Manifest zur
       autodestruktiven Kunst: „Auto-destructive art is primarily a form of public
       art for industrial societies“. Einer biografischen Notiz zufolge wechselte
       er damals von seinem ursprünglichen Lebensziel „Berufsrevolutionär“ zu dem
       eines Künstlers, der radikal mit der typischen Künstlerexistenz brechen
       wollte. Kunstwerke sollten stets „ein Element enthalten, das innerhalb von
       maximal 20 Jahren automatisch zu ihrer eigenen Zerstörung führt“.
       
       ## Zerstörung als Spektakel
       
       Ein Video zeigt ihn während einer Performance auf der London Bridge, als er
       Salzsäure auf einen aufgespannten Nylonstoff sprühte, von dem nur ein paar
       Fetzen übrigblieben. Das war noch radikaler [5][als Lucio Fontanas
       aufgeschlitzte Leinwände] oder die „Cremation Art“ John Baldessaris, der
       seine Arbeiten dem Feuer übergab.
       
       1960 hatte Jean Tinguely im Skulpturengarten des MoMA eine „Hommage à New
       York“ installiert, die sich selbst in Stücke zerlegte. Das beeindruckte die
       Populärkultur der Sixties. In einem abgedunkelten Saal des MMK Tower drehen
       sich auf sieben Leinwänden psychedelische Lichtprojektionen Metzgers, die
       in britischen Clubs und bei Rockkonzerten eingesetzt wurden. Pete Townsend
       von The Who, die bisweilen ihre E-Gitarren auf der Bühne zertrümmerten,
       bezeichnete sich als Schüler Metzgers, der damals eine Leitfigur der
       politisierten Kunstavantgarde war.
       
       Metzgers Arbeiten zum [6][Anti-Atom-Protest], über den Vietnam-Protest oder
       zur Anklage der Naturzerstörung sind bisweilen sehr plakativ ausgefallen,
       wie der frisch demolierte Kleinwagen („Kill the cars!“) oder die Zeitungen,
       die schamlos Billigflüge neben Katastrophenmeldungen annoncieren.
       
       ## Informationsjunkie
       
       Bei Metzger, der als Informationsjunkie Zeitungen hortete und stets einen
       Weltempfänger mit sich herumtrug, musste es krachen. Buchstäblich sollte
       das auf der documenta 1972 mit einer (abgelehnten) Installation geschehen,
       bei der Autos in einem mit Abgasen gefüllten Kasten explodieren sollten.
       Miniaturmodell geblieben ist auch eine weitere Installation aus fünf 9 mal
       12 Meter großen Stahlwänden, aus denen jeweils 10.000 Einzelelemente
       computergesteuert im Zufallsprinzip herausgeschleudert werden sollten.
       
       1966 organisierte Metzger das mehrtägige Destruction in Art Symposium
       (Dias), zu dem alle seinerzeit angesagten Underground- und
       Avantgardekünstler anreisten: [7][Yoko Ono], Wolf Vostell, die [8][Wiener
       Aktionisten], von denen mit Günter Brus einer die Selbstzerstörung am
       eigenen Körper vornahm. Dieser Aufruhr beeindruckte damals Amsterdamer
       Provos und Hippies, später die Punker und radikale Umweltschützer wie die
       Gruppe Extinction Rebellion, die Metzgers Mantra in Namen tragen könnte.
       
       Der von Metzger ausgerufenen Generalstreik der Kunst blieb folgenlos und
       war eigentlich auch widersinnig, da ja nicht die Kunst aufhören sollte,
       sondern die Zerstörung der Welt, der Metzger radikal den Spiegel vorhielt.
       
       Wie „Kunst nach Auschwitz“ aussehen kann, demonstrieren in Frankfurt drei
       Exponate der Serie „Historic Photographs„ (1995/99), die Fotodokumente von
       NS-Verbrechen nicht ikonisch ausstellen, sondern bewusst verhüllen. Die
       Aufnahme von Jüdinnen und Juden in Wien, die 1938 mit Zahnbürsten Gehsteige
       säubern mussten, wird nur sichtbar, wenn man sich auf den Boden unter eine
       gelbe Decke begibt; das berühmte Foto des von Soldaten umringten kleinen
       Jungen im [9][Warschauer Ghetto] hat Metzger bis auf einen Spalt mit
       Holzplanken verhängt.
       
       Beeindruckend sind vor allem die stillen, ernsten Kinderporträts, die
       Metzger 1949 wohl in Erinnerung an seine Gefährten auf den
       Kindertransporten skizziert hat. Aus ihren Gesichtern sind alle Merkmale
       einer unbeschwerten Kindheit entwichen.
       
       21 Aug 2024
       
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