# taz.de -- Forschung zu Gesellschaftssolidarität: Wer bekommt wie viel?
       
       > Der VWL-Professor Stefan Traub hat erforscht, wie das
       > Gerechtigkeitsempfinden bei Verteilungsfragen aussieht und eine
       > Bedarfs-Theorie entwickelt.
       
 (IMG) Bild: Muss das reichen oder sollte so verteilt werden, dass jede*r besser leben kann? Mittagessen in einer Schulmensa in Freiburg
       
       Osnabrück taz | Zuweilen liegt in einem Spiel viel Ernst. Oft geht es um
       Kooperation und Fairness, strategisches Denken und soziales Handeln. Stefan
       Traub, Professor für Volkswirtschaftslehre an der
       Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg hat Erfahrung damit.
       Acht Jahre lang, von 2015 bis 2022, hat er in dem multidisziplinären,
       internationalen Projekt „[1][Bedarfsgerechtigkeit und
       Verteilungsprozeduren“] mit Methoden der Spieltheorie zum Thema
       Gesellschaftssolidarität gearbeitet, bedarfsbasierter Gerechtigkeit.
       
       Aus den Perspektiven der Soziologie und Politikwissenschaft, der
       Psychologie, Ökonomie und Philosophie hat sich das Projekt um
       Wirtschaftswissenschaftler Traub und Politikwissenschaftler Bernhard
       Kittel, Universität Wien, dem Minenfeld gewidmet, dass sich zwischen
       Leistungs- und Egalitätsprinzip erstreckt. Die Studie „[2][Priority of
       Needs? An Informed Theory of Need-based Justice]“ stellt jetzt, als
       Sammelband, die Ergebnisse vor.
       
       Leistungen für Asylbewerber und Geduldete, Ausbildungsunterstützungen,
       Sozialleistungen: Die Debatte, wer wie viel bekommen sollte und verdient,
       ist hart, ist eskalativ, ist in Teilen [3][polarisierend] und populistisch.
       Die Angst vor sozialem Abstieg geht um. Marktliberale Forderungen wie
       „Arbeit muss sich wieder lohnen!“ haben Konjunktur, obwohl sie nicht
       zuletzt darauf zielen, soziale Leistungen möglichst niedrig zu halten,
       damit dem Niedriglohnsektor nicht die Beschäftigten ausgehen.
       
       Manche fordern: Jedem nur das, was seiner Leistung entspringt. Andere
       erwidern: Am besten bekommen alle dasselbe, ohne Ansehen ihrer Leistung.
       „Die Bandbreite reicht vom Hyper-Altruisten bis zum egoistischen
       Eigennutz-Optimierer“, sagt Traub der taz. „Eine reine Leistungsbezogenheit
       kann jedoch sehr unsozial sein, die Egalität sehr leistungsfeindlich.“
       
       Die Forschungsgruppe um Traub und Kittel schlägt einen „dritten Weg“ vor,
       so Traub: Bedarfsdeckung für ein „decent life“. „Sie muss allerdings weit
       über die reine physische Existenz hinausgehen“, sagt Traub. „Sie muss eine
       Teilhabe ermöglichen, die, zum Beispiel, auch einen Theaterbesuch
       einschließt.“
       
       Die Bedarfs-Theorie fußt auf einer Vielzahl von Labor-Experimenten mit
       Spielcharakter. Durch das Handeln ihrer ProbandInnen, zuweilen Hunderte pro
       Experiment, ließen sich Muster erkennen, psychologische Effekte. Nichts,
       das an Triple-A-Titel von Spieleentwicklern wie Activision Blizzard oder
       Electronic Arts erinnert. Aber in seiner Abstraktion und Stilisierung
       trotzdem wirkmächtig.
       
       Wer teilnahm, bekam die Spielregeln erläutert, einen anonymen Platz vor
       einem Bildschirm, ein paar Euro Startgeld für ein symbolhaftes,
       exemplarisches Szenario. Dann ging es los, bis zu zwei Stunden lang:
       Aufgaben zu lösen brachte Geld, andere um Hilfe zu bitten oder anderen zu
       helfen, womöglich auch. Es ging um Kommunikation und Entscheidungen, jedes
       Tun oder Unterlassen hatte Folgen. Am Ende konnte jeder als Realgeld
       mitnehmen, was er erspielt hatte.
       
       Das Fazit: Eine deutliche Mehrzahl der ProbandInnen war bereit, sich von
       Geld zu trennen, um andere zu unterstützen, abhängig vom Bedarf. „Der
       Mensch ist ein sehr soziales Wesen“, sagt Traub. „[4][Wechselseitige
       Solidarität] hat einen hohen Stellenwert.“ Wichtig ist dabei das Vertrauen
       – auch darin, selbst Hilfe zu erhalten, wenn es notwendig ist. Die Gefahr
       dabei: Je heterogener eine Gesellschaft wird, desto fragiler droht dieses
       Vertrauen zu werden.
       
       Nur 17 Prozent der Menschen glauben, dass es in Deutschland
       Verteilungsgerechtigkeit gibt, zeigte 2022 die Studie der
       Bertelsmann-Stiftung „[5][Gerechtigkeitsempfinden in Deutschland]“. Die
       Folge: eine Erosion des Vertrauens in Politik und Institutionen, des
       gesellschaftlichen Zusammenhalts. 75 Prozent der Befragten seien für die
       Verringerung des Unterschieds zwischen Arm und Reich, sagt die Studie.
       Allerdings seien nur 37 Prozent bereit, dafür selbst höhere Steuern zu
       zahlen. „Priority of Needs?“ hat also, indem das Team um Traub und Kittel
       informiert, wo viele nur empfinden, hohe Aktualität.
       
       Bedarfsbasierte Gerechtigkeit, zeigen die AutorInnen, ist ein Mechanismus
       vieler Stellschrauben. Eine davon: Soll Sozialgesetzgebung auf kollektive
       Akzeptanz stoßen, braucht sie transparente Erläuterung. Taten allein
       reichen also nicht. Informationen müssen sie flankieren. Eine Aufgabe für
       die Politik.
       
       In Deutschland gebe es hohe Zustimmungsraten zu Leistungs- und
       Bedarfsprinzip, sagt Traub, indes nur geringe zum Egalitätsprinzip, wie es
       sich etwa im [6][bedingungslosen Grundeinkommen] zeige. Viele halten es
       also für gerecht, dass mehr erhält, wer mehr leistet, dass man sich aber
       auch der Schwächeren der Gesellschaft annimmt. „Ungerecht wird es erst,
       wenn andere in der Gesellschaft ihre Bedarfe nicht decken können“, so
       Traub.
       
       24 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] https://www.springerprofessional.de/priority-of-needs/26922918
 (DIR) [3] /Polarisierung-der-Gesellschaft/!6029362
 (DIR) [4] /Solidaritaet-in-der-Gesellschaft/!5728156
 (DIR) [5] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/gerechtigkeitsempfinden-in-deutschland
 (DIR) [6] /Bedingungsloses-Grundeinkommen/!t5037330
       
       ## AUTOREN
       
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