# taz.de -- Kampf um bessere Arbeit: Pflegekräfte auf den Barrikaden
       
       > An der Medizinischen Hochschule Hannover fordert die Pflege einen
       > Tarifvertrag, der Entlastungen vorsieht. Ausgerechnet der SPD-Minister
       > ist dagegen.
       
 (IMG) Bild: Die Beschäftigten in der Pflege demonstrieren seit Jahren – und die Fortschritte sind zäh
       
       Hannover taz | Streiken sie oder streiken sie nicht? Das ist die Frage, die
       an der größten niedersächsischen Uniklinik, [1][der Medizinischen
       Hochschule Hannover (MHH)] Patienten, Pflegepersonal und Ärzte schon seit
       Wochen umtreibt. Es geht um mehr als den üblichen Tarifkonflikt. Die
       Gewerkschaft Ver.di fordert einen Tarifvertrag Entlastung (TV-E) nach dem
       Vorbild anderer Unikliniken. Geht rechtlich nicht, sagen MHH und
       Ministerium. Dann macht halt, dass es geht, sagen Ver.di und die
       protestierenden Pflegekräfte.
       
       So etwas, sagt Burkhard Sohn, habe er noch nicht erlebt. Seit elf Jahren
       ist der Krankenpfleger an der MHH, war schon an Tarifauseinandersetzungen
       beteiligt. Doch dieses Mal geht es nicht darum, wer wie eingruppiert wird
       oder ein bisschen mehr Geld kriegt. Dieses Mal geht es um Verbesserungen
       der Arbeitsbedingungen. Der Forderungskatalog, den Ver.di dem Ministerium
       übergeben hat, ist in einem aufwendigen, basisdemokratischen
       Beteiligungsprozess entstanden. 133 Bereiche haben formuliert, was sie
       benötigen, um gute Arbeit zu leisten.
       
       Allein das, das machen seine Schilderungen deutlich, sorgt für eine ganz
       andere Haltung und Stimmung als bei den dutzenden Protesten zuvor: Raus aus
       der Opferrolle, dem Frust und dem ständig drohenden Burn-out, hin zu einer
       aktiven Gestaltung, zu klaren, konkreten Forderungen.
       
       Und das betrifft nicht nur die Pflegekräfte. Mit im Boot sind auch die
       Mitarbeiter aus allen anderen Bereichen, aus Transport und Versorgung,
       Ambulanz, Labor und Radiologie bis hin zu Hebammen, Therapeuten,
       Lehrkräften und Azubis.
       
       ## Es betrifft jeden Bürger, jeden Patienten
       
       Sie versuchen, die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Veranstaltungen mit
       mehreren Hundert Teilnehmern im Biergarten oder im Arminia-Stadion machen
       deutlich: Das hier betrifft nicht nur die Beschäftigten, das betrifft jeden
       Bürger, jeden Patienten. „Wir haben ja sonst immer das Gefühl, wenn wir
       streiken, lassen wir unsere Patienten im Stich“, sagt Sohn, „aber hier war
       zu spüren, wie viele von denen eigentlich hinter uns stehen.“
       
       Allerdings werden auch die MHH und die Landesregierung nicht müde, zu
       betonen, wie sehr sie den Wunsch der Pflegekräfte nach Entlastung verstehen
       und für absolut berechtigt hält. Strittig ist vor allem die Frage, wie das
       gehen soll.
       
       Ver.di beruft sich auf das Vorbild diverser anderer Unikliniken, die
       bereits einen Entlastungs-Tarifvertrag abgeschlossen haben. [2][Den Anfang
       machte 2021 die Charité] in Berlin, 2022 erkämpften sich [3][die
       Unikliniken in Nordrhein-Westfalen mit einem elfwöchigen Streik] und harten
       juristischen Auseinandersetzungen ihren TV-E.
       
       Der besondere Charme an diesen Vereinbarungen: Sie schreiben für jede
       Station, zum Teil schichtgenau, fest, welche personellen
       Mindestvoraussetzungen gegeben sein müssen. Sind sie das nicht, sammeln die
       Mitarbeiter, die das ausgleichen müssen, Belastungspunkte. Die werden dann
       in Form von Freizeit oder Geld ausgeglichen.
       
       ## Zufriedeneres Personal, weniger Kündigungen
       
       Das, so deuten es die ersten Auswertungen an, bedeutet nicht in jedem Fall,
       dass sich die Überlastungssituation sofort in Luft auflöst. Aber: Das
       Personal ist zufriedener, es gehen weniger Pflegekräfte von Bord, es
       scheint leichter, neues Personal zu gewinnen.
       
       Müsste also nicht auch die MHH ein großes Interesse an einer solchen
       Vereinbarung haben? „Natürlich haben wir ein Interesse daran, die
       Mitarbeiter zu entlasten“, sagt Sprecherin Inka Burow. Allerdings könne die
       MHH als landeseigener Betrieb eben keinen eigenen Tarifvertrag abschließen.
       Man habe deshalb – schon vor dem aktuellen Konflikt – das Gespräch mit dem
       Personalrat über eine entsprechende Dienstvereinbarung gesucht. Nur:
       Zustande gekommen ist eine solche betriebliche Vereinbarung eben lange
       nicht.
       
       Und jetzt mischt Ver.di mit. Eine Dienstvereinbarung, argumentieren die
       Gewerkschafter, ist viel unverbindlicher und leichter zu brechen als ein
       Tarifvertrag. Aber eine Gewerkschaft kann eben auch nur Tarifverhandlungen
       führen – für eine Dienstvereinbarung wäre der Personalrat allein zuständig.
       
       Auf politischer Ebene ist – weil es sich um eine Uniklinik handelt – der
       Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) zuständig. Als Sozialdemokrat
       stellt er sich gegen einen Tarifvertrag Entlastung, den etwa die NRW-SPD
       vehement befürwortet hatte. Aber da sind die Genossen auch in der
       Opposition.
       
       Ein TV-E sei hier nicht möglich, weil man dazu aus der Tarifgemeinschaft
       der Länder (TdL) ausscheiden müsste, lautet seine Verteidigungslinie. Und
       die TdL stünde in gar keinem Fall zur Disposition.
       
       ## Kreativität gefragt. Und politischer Wille
       
       Denkbar wäre möglicherweise, die MHH in eine andere Rechtsform zu
       überführen wie in NRW geschehen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechtes
       oder als Stiftung könnte sie eigene Tarifverträge abschließen. „Aber bisher
       wollte Ver.di ja nicht, dass die MHH eine Stiftung wird“, sagt
       MHH-Sprecherin Burow. Davon abgesehen wäre dies eben auch ein längerer und
       vermutlich ziemlich teurer Prozess.
       
       Ver.di-Vertreter David Matrai räumt ein: Eine Änderung der Rechtsform habe
       man bisher nicht gefordert. Das sei auf Seiten der Angestellten eben auch
       mit der Befürchtung verbunden, damit langfristig schlechter gestellt zu
       werden. Aber möglicherweise sind da ja auch noch gar nicht alle
       Möglichkeiten ausgelotet, wie es gelingen könnte, im Rahmen der TdL zu
       einer Lösung zu kommen. Da sei nun eben Kreativität gefragt. „Am Ende ist
       das auch eine Frage des politischen Willens.“
       
       Die Wut der Pflegekräfte wird sich jedenfalls nicht so leicht wieder
       einfangen lassen. Am heutigen Mittwoch stehen sie erneut vor dem Landtag
       und suchen das Gespräch mit der Politik, Ministerpräsident Stephan Weil hat
       sein Kommen schon angekündigt. Wenn es kein Entgegenkommen gibt, folgt wohl
       ein neuer Aufruf zum Warnstreik. Den letzten hatte das Arbeitsgericht
       Hannover kurzfristig kassiert. „Aus eher formalen Gründen“, betont
       Ver.di-Vertreter Matrai. Beim nächsten Mal wird man schlauer sein. Und dann
       müsse die Landesregierung schauen, ob sie diese Art von juristischer
       Auseinandersetzung für eine kluge politische Antwort auf den Frust der
       Beschäftigten hält.
       
       1 Sep 2024
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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