# taz.de -- Überreichtum in Deutschland: Ende der Schonzeit
       
       > Es wird mehr berichtet über Vermögensteuer, Erbschaftsteuer und eine
       > globale Mindeststeuer. Eine handlungsfähige Regierung könnte diese
       > Aufmerksamkeit nutzen.
       
 (IMG) Bild: Völlig enthoben: Die Reichen und Superreichen
       
       Auf einem dieser Empfänge, mit denen sich der Medien- und Politikbetrieb in
       Berlin durch den Sommer hangelt, traf ich einmal Gerhard Schick. Der hatte
       Ende 2018 sein Grünen-Bundestagsmandat niedergelegt, um die Bürgerbewegung
       Finanzwende zu gründen, was ich bedauerte, denn linke Finanzexperten werden
       im Bundestag dringend gebraucht, also meckerte ich ihn an: Gerade mit einer
       Ampelregierung könne er doch wohl etwas bewegen! Er lächelte milde und
       sagte sinngemäß, er sei eigentlich ganz zuversichtlich, dass seine Arbeit
       auch außerhalb von Partei und Fraktion sinnvoll sei.
       
       Diesen Sommer denke ich, dass er wahrscheinlich recht hatte. Die
       Berichterstattung über das ökonomische, ökologische und demokratische
       Problem, das der Überreichtum in Deutschland und anderswo produziert, hat
       sich enorm verstärkt, ist breiter geworden und gleichzeitig präziser. Das
       ist jetzt erst einmal meine Privatempirie (vielleicht fühlt sich für eine
       wissenschaftliche Erhebung jemand aus all den Medienstudiengängen
       angesprochen – das Semester fängt bald an!).
       
       Aber die Zahl der Beiträge über die Vermögensteuer, eine wirksamere
       Erbschaftsteuer, eine globale Mindeststeuer, über alles Mögliche also, um
       der Vermögenskonzentration in wenigen Händen etwas entgegenzusetzen, ist
       doch auffällig.
       
       Auch Capital [1][berichtet mit kritischem Unterton] (sieh an, da schreibt
       ein Ex-taz-Kollege), dass gerade in Deutschland die
       Über-100-Millionen-Dollar-Superreichen in letzter Zeit noch reicher wurden
       (plus 10 Prozent in einem Jahr) und damit die bloß
       Ein-bis-fünf-Millionen-Dollar-Reichen (plus 5 Prozent im selben Jahr)
       weiter hinter sich lassen.
       
       ## Endlich Leben eingehaucht
       
       Die Berichtsanlässe liefern hierbei oft die „Wealth Reports“ etwa der
       [2][Boston Consulting Group] – von dort stammen die eben zitierten Zahlen –
       oder auch von [3][Oxfam]. Anders aber als noch vor wenigen Jahren gibt es
       jetzt eine ganze Reihe von Organisationen, die sich zu solchen
       Routineterminen äußern und eigene Recherchen, Vorschläge und überhaupt ein
       paar Ideen beisteuern: Das [4][Netzwerk Steuergerechtigkeit] erwähnte ich
       letztes Mal an dieser Stelle, die [5][abgabewilligen ErbInnen der
       Initiative taxmenow], aber auch Gerhard Schicks [6][Bürgerbewegung
       Finanzwende] gehören dazu.
       
       Es sieht aus, als hätten diese Initiativen es vermocht, dem Thema endlich
       Leben einzuhauchen. Das bedeutet, dass die drängendsten Fragen sich
       herumsprechen: Wie kann es sein, dass in Deutschland Reichtum nicht messbar
       sein soll? Wer genau ist eigentlich diese Stiftung Familienunternehmen, die
       in Deutschland [7][offenbar die Gesetzesvorlagen mitverfassen] darf?
       
       Auch der Sprachgebrauch und sein kultureller Resonanzboden werden
       aufgelockert. Reiche, Superreiche, Überreiche – der ganze Reichtumsbegriff
       wirkt plötzlich ganz frisch und ist vielfältiger geworden. Seit Jahrzehnten
       grübeln die SoziologInnen, wie sich in Deutschland das Gerücht aus den 50er
       Jahren halten kann, man sei eine „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ und
       irgendwie gleicher als das europäische Umland.
       
       Der Historiker Hans-Ulrich Wehler hat [8][dazu mal gesagt], dieses immer
       schon falsche Selbstbild habe sein „Unterfutter“ in den Jahren vor 1945:
       „Es gab eine erstaunliche Sehnsucht nach der Mitte, die auch von der
       Volksgemeinschaftsideologie angesprochen worden war.“
       
       Ohne Reste dieser irrigen Vorstellung einer Mittelstandsgesellschaft in
       allzu vielen Köpfen hätte die Jahrzehnte währende Steuerverschonung der
       Vermögenden durch wechselnde Koalitionen nicht so gut funktioniert. Wenn
       diese ideologische Ära jetzt zu einem Ende kommen sollte, braucht’s nur
       noch eine handlungsfähige Regierung, um … – ach, Mist. Ich vergaß.
       
       18 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.capital.de/geld-versicherungen/superreiche-besitzen-23-prozent-des-deutschen-finanzvermoegens-34866902.html
 (DIR) [2] https://www.bcg.com/publications/2024/global-wealth-report-the-gen-ai-era-unfolds
 (DIR) [3] https://www.oxfam.de/ueber-uns/publikationen/vermoegenssteuer-keine-angst-steuerflucht
 (DIR) [4] https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/jahrbuch2024/
 (DIR) [5] https://www.taxmenow.eu/indenmedienalt
 (DIR) [6] https://www.finanzwende.de/ueber-uns/wer-wir-sind
 (DIR) [7] https://www.capital.de/geld-versicherungen/die-steuer-steuerer--diese-menschen-lenken-deutschlands-steuerpolitik-33276214.html
 (DIR) [8] https://www.welt.de/kultur/article2292412/Illusionen-und-Hoffnungen-made-in-Germany.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Winkelmann
       
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