# taz.de -- Eröffnung der Bayreuther Festspiele 2024: Tod in der Rumpelkammer
       
       > „Tristan und Isolde“ machen den Auftakt in Bayreuth. Düster inszeniert
       > der isländischen Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson die Wagner-Oper.
       
 (IMG) Bild: Aus der Inszenierung „Tristan und Isolde“ in Bayreuth: Camilla Nylund in papierenem Kleid, daneben Christa Mayers
       
       [1][Die Bayreuther Festspiele] gehörten verjüngt und erneuert, wünschte
       sich neulich Kulturstaatsministerin Claudia Roth, sie sollten doch mal was
       anderes als den ewigen Wagner spielen. Engelbert Humperdincks „Hänsel und
       Gretel“ zum Beispiel. Dabei gehören in Bayreuth ganz andere Dinge
       dringend auf den Prüfstand.
       
       Zum Beispiel das neofeudale Ritual der Eröffnung mit rotem Teppich und der
       unverdaulichen Mischung aus schlecht gekleideter Politprominenz und
       abgehalfterten Showgrößen, das dem Rest der Gäste ein hysterisches
       Sicherheits-Tamtam mit kriegstauglicher Polizeipräsenz beschert. Und
       einfach nervt.
       
       Als Claudia Roth auf dem Balkon Platz nimmt, stimmen ein paar Spaßvögel
       zwei Reihen davor im Parkett grimmig den „Abendsegen“ aus „Hänsel und
       Gretel“ an. Dann wird es endlich dunkel. Wagners „Tristan“ ist eine
       Herkulesaufgabe, Opernregisseure müssen sich verhöhnt fühlen davon, dass
       Wagner sein Musikdrama mit „Handlung in drei Aufzügen“ untertitelte.
       Tatsächlich geschieht während der viereinhalbstündigen Spieldauer an
       äußerer Handlung fast gar nichts.
       
       Das wusste Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson natürlich, und er versucht
       erst gar nicht, gärende innere Bewegungen in hektischen Aktionismus zu
       übersetzen. Er setzt im Gegenteil auf statische, Tableau-artige
       Anordnungen, in denen die Akteure zumeist aneinander vorbei agieren.
       Unmögliche Kommunikation ist schließlich eines der zentralen Themen des
       Werks.
       
       Aber hätte man dem Regisseur und seinem Bühnenbildner Vytautas Narbutas
       nicht rechtzeitig sagen können, dass das Bayreuther Parkett dreißig Reihen
       zählt? In Reihe 27 jedenfalls sieht man über weite Strecken des Abends
       wenig, man erkennt viele ausgefuchste Details nicht, geschweige denn, dass
       man die reduzierte Körpersprache entschlüsseln könnte. Zumal Lichtdesigner
       Sascha Zauner überwiegend Dämmerlicht herrschen lässt.
       
       Im ersten Akt hängen von der Decke dicke Seile über Bodennebel, später wird
       ein Schiffsrumpf angedeutet. Isolde trägt einen gigantisch verlängerten
       Rock aus Papier, der zunächst im Kreis um sie herumgebreitet ist, sowie
       seltsame Puffärmel. Oder sind es zerfledderte Engelsflügel? Mit der Zeit
       ahnt man, dass ihre Kleidung beschriftet ist, sie selbst kritzelt weiter an
       den Schriften, schreibt sie Tagebuch?
       
       Sibylle Wallums Kostüme tummeln sich in einem zeitlosen Fantasy-Universum,
       in Momenten seltener Erleuchtung erhascht man ein paar größere Schriftzüge:
       „Morold“ steht da, oder „Trotziger Mann!“. Es sind Zitate aus Wagners
       Libretto. Ansonsten geschieht wenig. Vor allem das Entscheidende geschieht
       nicht: Den Todestrank, der in Wahrheit ein Liebestrank ist, trinkt keiner
       von beiden. Dafür trinkt Tristan am Ende des zweiten Aktes einen neuen
       Trank, diesmal ist es der Todestrank.
       
       ## Kitsch, Kram und Ikonen der Kulturgeschichte
       
       Suizid statt Tod durch Melots Schwert. Das geschieht dann in der
       Rumpelkammer des zweiten Akts, in der Ruine des Schiffsbauchs. Kitsch, Kram
       und Ikonen der Kulturgeschichte wurden hier entsorgt, Antiken, Caspar David
       Friedrichs „Greifswalder Hafen“, das Ganze ein Wimmelbild für Kenner, wenn
       man denn genauer sehen könnte.
       
       Der Riesenrock mit den Schriften bleibt jedenfalls erhalten, er wird
       zerknüllt und hinterhergeschleift, wie Linus bei den Peanuts es mit seiner
       Schmusedecke tat. Tristan und Isolde kommen sich auch im Liebesduett nicht
       wirklich nahe, was nichts Neues ist. Nur schafft Thorleifur Örn Arnarsson
       es leider nicht, eine spürbare Spannung herzustellen, die von den inneren
       Konflikten erzählt.
       
       Dafür weiß Dirigent Semyon Bychkov im Graben, wie man innerhalb weniger
       Sekunden die Zeit anhält: Die ersten Takte des berühmten Vorspiels nimmt er
       atemberaubend langsam, tastend. Sie kriechen zögerlich aus dem Graben, wie
       aus dem Urschlamm der ältesten Ängste. Dann die erste Generalpause: Endlos!
       Geht es noch weiter? Doch, aber schon ist man in der
       „Tristan“-Zeitrechnung. Bychkov entwickelt später durchaus Drive und
       Struktur, aber er verzichtet auf fingerzeigende Effekte und exzessive
       Ausbrüche. Sein Wagner leuchtet und brütet nach Innen.
       
       Dabei nimmt er auch Rücksicht auf Camilla Nylund als Isolde, deren lyrisch
       timbrierter, silbrig leuchtender Sopran nun einmal kein hochdramatisches
       Kaliber besitzt, dafür gelingen ihr die lyrischen Passagen wunderbar. Im
       Dialog mit Andreas Schagers kraftvollem Tristan ist unüberhörbar, dass hier
       zwei Stimmen aus verschiedenen Sphären zueinander finden sollen.
       
       Schagers draufgängerischer Heldentenor ist ungleich präsenter, durchwachsen
       der Rest: Christa Mayers Brangäne klingt präsent, flammend, Olafur
       Sigurdarsons Kurwenal ist auch stimmlich ein rechtes Raubein, klingt
       forciert, wird aber heftig beklatscht, Günther Groissböcks Marke singt mit
       technischem und emotionalem Überdruck, aus den kleinen Rollen ragt Matthew
       Newlins berückender Junger Seemann heraus. Ein seltsamer Abend bleibt es,
       mit Jubel für die Sänger und einigen Buhrufen für das Leitungsteam.
       
       28 Jul 2024
       
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