# taz.de -- Die Wahrheit: Bombe aus Beirut
       
       > Nach der Hamas ist vor der Hisbollah: Eine wiederentdeckte historische
       > Anekdote über den deutschen Schriftsteller und Nahost-Kenner Martin
       > Walser.
       
 (IMG) Bild: Beklatscht von Kumpanen in der Paulskirche anno 1998: Martin Walser
       
       Wie eine Bombe ist die Nachricht in der Welt der Germanistik eingeschlagen.
       Ein sensationeller Fund im Deutschen Literaturarchiv zu Marbach wirft ein
       ganz neues Licht auf Martin Walser und sorgt unter
       Literaturwissenschaftlern für immensen Zündstoff, wie die International
       Revue of German Literature jüngst berichtete. Demnach geht aus
       Tagebuchaufzeichnungen und Briefen Walsers hervor, dass der deutsche
       Schriftsteller zu Beginn des 21. Jahrhunderts in engem Kontakt mit dem
       Führer der islamistisch-schiitischen Miliz Hisbollah im Libanon stand.
       Scheich Hassan Nasrallah wollte Martin Walser sogar zu seinem Nachfolger
       machen.
       
       „Ich, Scheich Sajjed Hassan Nasrallah, Führer der gütigen Hisbollah“,
       beginnt ein handschriftlich am 12. August 2006 verfasstes Schreiben an
       Walser, „werde dem unendlich weisen Ratschlag Allahs folgen und Ihnen,
       lieber verehrter Martin Johannes Walser, einen Vorschlag unterbreiten, den
       Sie kaum ablehnen können. Für den Fall meiner Abberufung ins Paradies zu
       den 72 Jungfrauen, die der unendlich weise Allah für mich bereithält,
       sollen Sie, der wichtigste deutschsprachige Schriftsteller der Gegenwart,
       meine Nachfolge antreten und neuer Führer unserer geliebten Hisbollah
       werden.“
       
       Martin Walser sollte neuer Hisbollah-Chef werden?! Gerade nach dem
       Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 und den globalen
       Folgeerscheinungen muss diese Korrespondenz, die Walser noch zu Lebzeiten
       im Jahr 2022 dem Literaturarchiv in Marbach als Nachlass übergeben hatte,
       ganz neu gelesen werden.
       
       Öffentlich hüllte sich der in Überlingen am Bodensee lebende
       Schriftsteller, bevor er 2023 starb, in Schweigen. Nur einmal, im Jahr
       2007, deutete Walser in einem Telefoninterview mit der Apotheken Umschau
       einen Karrieresprung in den Libanon an: „Was die Zukunft bringt? Vielleicht
       einen Lebensabend in der Schweiz des Orients“, raunte Walser. Aber die
       Redaktion des Pharmazeutenblatts ging nicht näher auf die Bemerkung ein.
       
       ## Größter Feind Israels
       
       Spätestens seit Walsers Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises
       des Deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter
       Paulskirche, in der er von einer „Instrumentalisierung des Holocausts“
       sprach, war der neben dem Iran und der Hamas größte Feind Israels auf
       Walser aufmerksam geworden. Nur wie war der Terror-Scheich ausgerechnet auf
       den Überlinger als seinen Nachfolger gekommen?
       
       Walser hatte im Jahr 2006 gerade erst seinen neuen Roman „Angstblüte“
       veröffentlicht. Ein Buch, das bei Lesern und Kritikern gleichermaßen
       durchgefallen war. Der autobiografisch angehauchte Roman über einen
       gealterten Fondsmanager, dem das Hirn in die Hoden rutscht, als er einer
       jüngeren Frau nachsteigt, verkaufte sich nur mühsam. „Ein unappetitliches
       Werk“, urteilte der Doyen der Literaturkritik Marcel Reich-Ranicki damals:
       „Alte Männer, insbesondere alte Schriftsteller, kennen nur ein Thema: Sex,
       Geschlechtsverkehr und Frauen. Die körperliche Liebe aber sollte in einem
       Roman nicht derart in den Schmutz gezogen werden.“
       
       Das Buch lief nicht, die Hormone stauten sich und dann war auch noch die
       Karriereleiter abgesägt. Denn im Sommer 2006 wurde bekannt, dass der von
       Walser angestrebte Posten des „Praeceptor Germaniae“ so schnell nicht neu
       vergeben werden sollte. Seit dem Tod Heinrich Bölls hatte die Stelle des
       führenden deutschen Intellektuellen, der jeden offenen Brief ungefragt
       unterschreibt, Günter Grass inne. Doch der war unzerstörbar, sodass Walser
       resigniert in einem Privatbrief anmerkte, dass man den „Neu-Lübecker, der
       sich für einen zweiten Thomas Mann hält, eines Tages mit einer seiner
       hässlichen Skulpturen erschlagen muss“.
       
       Zwar starb Grass drei Jahre später, aber mit seinem Tod platzte auch
       Walsers größter Traum: der Literatur-Nobelpreis. Einen SS-Mann hatten die
       Stockholmer bereits ausgezeichnet, einem Antisemiten würden sie den hohen
       Preis niemals überreichen. Nur ein Befreiungsschlag konnte Walser da noch
       helfen. Er würde alle Grenzen überschreiten müssen. Kein Problem für den
       mittelgaren Romancier und Halbdenker, der sich selbst schon immer als
       Tabubrecher sah. Was konnte ihm da näherliegen als die Hisbollah? Jenem
       Walser, der seit Jahren nur zu gern mit dem Antisemitismus-Verdacht
       spielte?
       
       Für Walser erwies es sich als glückliche Fügung, dass sich der
       Hisbollah-Führer Nasrallah als Kenner der deutschen Literaturszene und
       glühender Fan seines Werkes outete, wie aus der Korrespondenz hervorgeht.
       Er kenne jedes Buch von Walser, besonders aber habe ihm „Das Einhorn“ und
       der putzige Protagonist Anselm Kristlein gefallen, schwärmt Nasrallah:
       „Allein der Name! Köstlich!“ Auch sei der Handlungsort Duisburg so etwas
       wie das „deutsche Beirut“, schmeichelt er Walser, dem er in weiteren
       Schreiben seinen Plan zu versüßen suchte. Die Hisbollah sei gar nicht so
       schlimm, wie alle Welt, gesteuert von den Amerikanern, behauptete.
       
       ## Keine Vernichtung Israels
       
       „Die Hisbollah ist überhaupt nicht antisemitisch eingestellt. Dass die
       Juden ihre Feinde sind, ist eher Zufall. Selbst wenn die Israelis Muslime
       wären, würde die Hisbollah gegen sie kämpfen“, hielt Walser in seinem
       Tagebuch fest und fuhr fort: „Die Hisbollah ist noch nicht einmal eine
       religiöse Partei. Deshalb tauchen die Wörter ‚Islam‘ und ‚Muslim‘ in ihren
       Programmen nur am Rande auf. Ich selbst bin ja nicht einmal Muslim. Als
       neuer Führer der Hisbollah werde ich als Erstes den Namen ‚Partei Gottes‘
       abändern in ‚Partei Walsers‘. Eine Idee, die Scheich Nasrallah ausnehmend
       gut gefällt, dieser nette Mann, der nie die Vernichtung Israels planen
       würde. Im Gegenteil: Die Hisbollah hat den Friedensnobelpreis verdient.“
       
       Was auf den ersten Blick wie die krasse Fehleinschätzung eines naiven alten
       Mannes wirkt, stellt sich bei genauerer Betrachtung als handfestes Geschäft
       heraus. Denn Walser sollte von Nasrallah auch das lukrative
       Souvenir-Business im Libanon übernehmen. Der geschäftige Schiit verdient
       bekanntermaßen, seit er im Amt ist, recht gut an der Produktion von
       Hisbollah-Fahnen, T-Shirts und Bildern mit seinem Konterfei. Experten
       sprechen von mindestens siebenstelligen Summen, die Walser nach der
       Amtsübernahme hätten zugutekommen können.
       
       Ob sich Nasrallah mit seinem Anteil am Gewinn zur Ruhe setzen wollte und
       sich vom halbweltberühmten deutschen Dichter eine Aufwertung der Hisbollah
       in der westlichen Hemisphäre versprach, liegt im Dunkeln – wie die Gründe
       dafür, warum der Deal letztlich platzte. Der Briefverkehr zwischen Beirut
       und dem Bodensee bricht unvermittelt ab. Die Walser-Forscher vermuten, dass
       der Hisbollah-Scheich aus welchen Gründen auch immer vom Iran
       zurückgepfiffen wurde.
       
       Aus dem Archivmaterial geht lediglich hervor, dass Martin Walser kurz davor
       war, Überlingen zu verlassen und nach Beirut zu reisen. Dort wollte er, so
       die letzten Aufzeichnungen zu dem Vorgang, ein großes Alterswerk verfassen.
       Den Titel des „politischen Tagebuchs“ hatte er bereits im Sprengkopf: „Vom
       Bodensee in den Bunker – eine deutsche Karriere“.
       
       10 Jun 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Ringel
       
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