# taz.de -- Volksentscheid Baum in Berlin: Alle 15 Meter ein Baum
       
       > Die Initiative Volksentscheid Baum hat ihren Gesetzentwurf dem Senat zur
       > amtlichen Kostenschätzung vorgelegt. Es geht um viel – auch um viel Geld.
       
 (IMG) Bild: Ohne Baum ist die Berliner Baumscheibe eher wenig klimawirksam
       
       Berlin taz | Was darf, was muss uns eine Stadt wert sein, in der man trotz
       des fortschreitenden Klimawandels einigermaßen gut leben kann? Wenn es nach
       der [1][Initiative Volksentscheid Baum] – kurz: „BaumEntscheid“ – geht,
       eine „hohe dreistellige Millionensumme“. Mit der rechnete Initiator
       Heinrich Strößenreuther bei der Vorstellung des fertigen [2][Entwurfs eines
       „Bäume-Plus-Gesetzes“] am Montagmorgen. Wobei: Vielleicht überschreite der
       Betrag auch die Milliardengrenze.
       
       Eine Menge Holz, um mal im Bild zu bleiben. Aber für den erfahrenen
       Volksentscheids-Macher Strößenreuther, seine Mitstreiterin Génica Schäfgen,
       Deutschlandchefin der Öko-Suchmaschine Ecosia, und die übrigen rund 60 an
       der Initiative Beteiligten ist das gerade mal das Nötigste. Es gehe
       schließlich darum, die Gesundheitskrise abzuwenden, die die Klimakrise für
       eine Stadt wie Berlin bedeute, so Schäfgen beim Pressetermin im Café des
       Kulturkaufhauses Dussmann – hochsymbolisch vor dem „vertikalen Garten“,
       über dessen Pflanzen kühles Wasser rieselt.
       
       Für den Mittag hatte sich die Initiative bei der Senatsinnenverwaltung
       angekündigt, um ihr den Entwurf zu überreichen. Deren Job ist es jetzt,
       eine amtliche Kostenschätzung vorzunehmen, ohne die die erste Phase der
       Berliner Volksgesetzgebung nicht starten kann. Liegt sie vor, können
       Unterschriften für den Antrag auf ein Volksbegehren gesammelt werden.
       
       Mindestens 20.000 müssen es sein, damit es weitergeht. So der Senat sich
       das Gesetz nicht freiwillig zu eigen macht, startet die „große“
       Unterschriftensammlung. Beteiligen sich mehr als 170.000 BerlinerInen
       daran, kommt es zum Volksentscheid. Die Initiative hat dafür den Termin der
       nächsten Wahl zum Abgeordnetenhaus 2026 im Visier.
       
       Das „Bäume-Plus-Gesetz“ soll die Stadt in künftigen Hitzephasen grün und
       kühl halten, auch andere Extremwetterereignisse wie Starkregen sollen damit
       besser bewältigt werden können. Aber was genau macht es so teuer? Ein Blick
       in die 24 Paragrafen – plus zwei Änderungen im Naturschutzgesetz und im
       Betriebe-Gesetz – zeigt, dass es dem „BaumEntscheid“ an einem ganz sicher
       nicht fehlt: Gründlichkeit.
       
       ## 300.000 Bäume plus
       
       Dass schon bis Ende 2027 rund 10.000 neue Straßenbäume auf brachliegenden
       Baumscheiben zu pflanzen und zu pflegen sind, um den Bestand des Jahres
       2010 von 440.000 Exemplaren wieder zu erreichen, ist noch eine der
       mildesten Maßnahmen im Gesetz. Die „Klimaanpassungsziele“, deren Umsetzung
       akribisch mit zeitlichen Pfaden unterlegt sind, sehen auch vor, dass bis
       2040 in allen Berliner Straßen „mindestens durchschnittlich alle 15 Meter“
       ein Baum zu stehen hat. Das könnten grob gerechnet schon 300.000
       zusätzliche Bäume sein. Der Platz, der an vielen Stellen dafür erst
       geschaffen werden müsste, soll nur auf Kosten von Kfz-Stellplätzen gehen.
       
       Noch viel höher legen die InitiatorInnen die Latte aber für rund 150
       „Hitzeviertel“ mit besonders ungünstiger thermischer Belastung und
       schlechtem Zugang zu Grünflächen. Der Senat soll sich bei deren Auswahl an
       den städtischen Planungsräumen orientieren, die in seinem eigenen
       „Umweltgerechtigkeitsatlas“ von 2021/22 besonders schlecht wegkamen.
       
       BewohnerInnen dieser Viertel sollen laut Entwurf künftig nicht mehr als 500
       Meter zu Fuß zurücklegen, um eine „klimawirksame öffentliche Grünfläche“
       von mehr als einem Hektar Größe zu erreichen. Schon in maximal 150 Metern
       Laufweite sollen sogenannte Kühlinseln liegen: kleine, mit Bäumen und
       Büschen ausgestattete Flächen, auf denen Hitzebetroffene Erholung suchen
       können. Stichwort Gründlichkeit: Zur „Klimawirksamkeit“ gehört laut
       Definition der AutorInnen, dass die Lärmbelastung zumindest im Inneren
       dieser Flächen nicht mehr als 53 Dezibel betragen darf, die größeren
       Grünflächen müssen zudem 2 Prozent Wasserfläche enthalten.
       
       Darüber hinaus verlangt das „Bäume-Plus-Gesetz“ auch die Anlage von
       „Verdunstungs- und Versickerungselementen“ in den Hitzevierteln, etwa
       Mulden oder unterirdische Rigolen, die das überschüssige Wasser von
       heftigen Regengüssen auffangen können. Zusammen mit der Anlage und Pflege
       von Grünflächen ergibt das eine „blau-grüne Infrastruktur“, ein Begriff,
       den auch die Senatsverwaltung für Klimaschutz und Umwelt schon lange
       verwendet.
       
       ## Scharf geschaltete Reden
       
       Überhaupt handele es sich nicht um irgendwelche komplett neuen Ideen,
       betonte Strößentreuther. Nein: Man wolle lediglich die PolitikerInnen beim
       Wort nehmen und ihre „tollen Reden endlich scharf schalten“. In der
       Bevölkerung gebe es viel Wut über die Untätigkeit in Sachen Klimaresilienz,
       dieses Momentum nutze man. „Wir gehen davon aus, dass wir Erfolg haben
       werden“, fasst Génica Schäfgen die Stimmung in der Initiative zusammen,
       deren „Law Team“ einen intensiven und anstrengenden Prozess hinter sich
       habe.
       
       Auch für den Fall, dass die hehren Ziele des Gesetzes – sollte es
       Wirklichkeit werden – in den Niederungen der Politik auf der Strecke zu
       bleiben drohen, hat der Gesetzentwurf vorgesorgt: Ein mit einer Handvoll
       unabhängiger WissenschaftlerInnen besetzter „Risikowetterrat“ soll das
       Regierungshandeln kritisch begleiten und Umsetzungsvorschläge machen.
       
       Konkrete Sanktionen sind dagegen nicht vorgesehen. Man werde sehen, ob
       Klagen dann eine Option seien, hieß es – die Deutsche Umwelthilfe macht das
       seit Längerem teils erfolgreich. Heinrich Strößentreuther glaubt aber, dass
       die Politik auch schlechte Öffentlichkeit scheue und sich darüber kriegen
       lasse: „Blame and Shame“ lautet seine Devise, um Reden schwingende
       SenatorInnen zum Handeln zu tragen.
       
       27 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://explore.ecosia.org/baumentscheid
 (DIR) [2] /Neuer-Volksentscheid/!5993485
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudius Prößer
       
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