# taz.de -- Dystopischer Debütroman: Generation Stecklinge
       
       > Eine Begegnung mit der Kieler Schriftstellerin Zara Zerbe, ihrem
       > dystopischen, aber dabei wunderbar leichtfüßigen Debütroman – und ihrem
       > Hund.
       
 (IMG) Bild: Hat ihren ersten Roman veröffentlicht: die Kielerin Zara Zerbe
       
       Zara Zerbe hat ihren Hund dabei. Ein schönes Tier, kurzes, glattes und
       dichtes Fell, ein Mix aus Beagle und Jack Russel. „Nicht springen!“, sagt
       sie, da ist er kurz hochgesprungen, legt sich nun aber sofort zu ihren
       Füßen und schaut, was passiert. [1][Wir sind in Kiel], unten am Fuße der
       Förde. Draußen sieht es nach Nieselregen aus, drinnen zischt und röhrt es,
       gleich kommt der Kaffee in zwei Gläsern, und auf dem Tisch liegt ein Buch:
       „Phytopia Plus“.
       
       Dahinter verbirgt sich Zara Zerbes angenehm leichtfüßiger Debütroman;
       unterhaltsam, klug, spannend auch und dramaturgisch geschickt ausgelegt –
       für den Fall, dass man kurz erschrickt angesichts des Textes auf dem
       Buchrücken: „Brütende Hitze, Artensterben, Dürreperioden, leere
       Supermärkte.“
       
       Unaufhaltsam drückt da die Elbe ihr trübes Wasser hinein nach Hamburg, eine
       Stadt, die längst aufgeteilt ist in eine abgehängte, teilweise
       überschwemmte Süd- und eine Nordstadt, noch einigermaßen trocken und
       intakt. „Ich dachte, ich verpasse Hamburg mal ein bisschen New Orleans“,
       sagt Zerbe und nimmt den ersten Schluck Kaffee.
       
       Ihre freundlich-chaotische Heldin ist Aylin, Aushilfsgärtnerin bei der
       Drosera AG, einem fiktiven [2][Biotech-Konzern]. Der experimentiert damit,
       menschliches Bewusstsein in Pflanzenzellen zu speichern, für später, wenn
       man selbst nicht mehr ist, und sich auch die Welt, wie wir sie kennen,
       insgesamt verabschiedet hat: „Länger bleiben mit Phytopia Plus“, lautet ein
       Werbespruch; einen ehemaligen Finanzminister, eine Anwältin, eine
       Philosophieprofessorin, auch einen Chefredakteur hat er überzeugt.
       
       ## Überspannte Hypermoderne
       
       Damit es den Pflanzen gut geht, wässert Aylin sie achtsam, schaut nach
       möglichen Schädlingen, scannt und kontrolliert die Wurzeldichte, und
       [3][das für 13 Euro Mindestlohn]. Weshalb sie manchmal ein paar Triebe
       abzwackt, mit nach Hause nimmt, dann einpflanzt und hochzieht, obwohl das
       eigentlich untersagt ist.
       
       Aylin aber verkauft die Setzlinge unter der Hand weiter oder tauscht sie
       ein gegen kaum noch erhältliche frische Lebensmittel: Mit gut betuchten
       Hanseaten und deren Gattinnen handelt sie, die sich längst in streng
       abgeschottete Wohnquartiere zurückgezogen haben. Mal hat Aylin eine
       Calathea im Angebot, mal einen pflegeleichten Zierpfeffer. Und immer hofft
       sie, dass ihr kleines Nebengeschäft nicht auffliegt.
       
       Zara Zerbe führt uns nicht in eine aufdringliche und überspannte
       Hypermoderne. Im Grunde ist die Welt bei ihr so wie heute, nur ein paar
       Jahrzehnte weiter. „Es ist einerseits ziemlich lange her, dass das Auto
       erfunden wurde“, sagt Zerbe und überlegt kurz. „Und doch haben wir immer
       noch keine Flugtaxis.“
       
       So wie auch Aylin in der Zukunft ein sehr gegenwärtiges Problem hat und das
       heißt: „350.000 Euro“. Beziehungsweise genau die Hälfte, denn immer noch
       175.000 Euro müsste sie aufbringen, um Bewusstsein und Erinnerungsschatz
       ihres Großvaters, den sie über alles mag und der so langsam an Fahrt
       verliert, ebenfalls zu überführen in die pflanzliche DNA:
       Drosera-Mitarbeitende bekommen für Familienangehörige 50 Prozent Rabatt.
       Nur – woher nehmen?
       
       ## Alle Preise gewonnen
       
       Zara Zerbe, Jahrgang 1989, ist eine der Köpfe hinter der [4][Kieler
       Literaturzeitschrift Der Schnipsel], sie verantwortet [5][den Podcast
       „Literarisch-solidarisch“] mit, und wenn im [6][Veranstaltungszentrum
       „Hansa48]“ in der dortigen Hansastraße die [7][„Lesebühne Federkiel“]
       ausgetragen wird, ist sie mindestens im Hintergrund aktiv.
       
       Für ihre 2018 veröffentlichte Erzählung „Limbus“ erhielt sie den ersten
       Preis des [8][Wettbewerbs „Neue Prosa aus SH“], später kam der
       Kunstförderpreis des Bundeslandes hinzu; für die Arbeit an ihrem so
       gelungenen Debütroman konnte sie dann auf das Arbeitsstipendium der
       Kulturstiftung SH zurückgreifen.
       
       „Kiel als Literaturort, das passt schon“, sagt sie. „Man muss zwar alles,
       das man erleben möchte, selbst veranstalten“, ergänzt sie – „aber das kann
       man hier eben auch.“ Habe man das erst ein paar Jahre lang gemacht, kenne
       man alle, die ähnlich gestimmt seien: „Die Leute, die meine Konkurrenten
       sein könnten, mit denen bin ich eh befreundet“, sagt sie mit entwaffnender
       Herzlichkeit. Und: „Wenn es mal eine Projektförderung gibt, dann schaue
       ich, dass ich meine Leute mit hineinnehmen kann.“
       
       „Ich habe jetzt an Preisen und Förderungen alles erhalten, was man in Kiel
       und Schleswig-Holstein für Literatur bekommen kann und müsste eigentlich
       das Bundesland wechseln“, sagt Zerbe auch. Klingt aber kein bisschen
       besorgt. Denn deswegen nach Berlin gehen? Oder zurück nach Hamburg? Dort
       wurde sie geboren, war fünf Jahre alt, als die Familie umzog in den
       sogenannten Speckgürtel.
       
       ## „Climate Fiction“
       
       Auch Aylin muss im Buch nun lange Strecken mit der S-Bahn fahren, und die
       verlassenen „Elbpassagen“, in denen sich die Protagonistin und ihr
       Großvater wiederfinden: Dafür war das Harburger Phönix-Center schon eine
       Art Vorbild, sagt Zerbe – was habe sie da nicht an Taschengeld gelassen! So
       liegt auch ein Hamburg-Roman vor uns, spielerisch mit einem Genre
       arbeitend, das seit einigen Jahren durch die Literaturlandschaft geistert:
       „Climate Fiction“.
       
       Mal schauen, was sie damit in Zukunft zu tun hat, sagt ihr Achselzucken.
       „Der Hund mag keinen Regen, das ist natürlich etwas ungünstig“, seufzt sie
       beim Blick nach draußen. „Wir nehmen heute mal den Bus“, sagt sie, und der
       Hund auf seiner mitgebrachten Decke nickt, sofern Hunde halt nicken können.
       Doch, vermutlich schon.
       
       19 May 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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