# taz.de -- Gewalt gegen PolitikerInnen: Eher Narzissmus als Nazismus
       
       > Wut gegen PolitikerInnen entstammt einer wutbürgerlichen
       > Selbstgerechtigkeit, gerade das macht sie alltäglich. Dagegen helfen nur
       > Beratungsangebote.
       
 (IMG) Bild: Zerstörte Scheibe eines SPD -Bürgerbüros in Karlshorst im Jahr 2020
       
       In Deutschland werden fast alltäglich ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und
       Kommunalpolitiker, Dezernatsleiterinnen und Ortsvorsteher beleidigt,
       bedroht, angegriffen. Das Spektrum reicht von Hassposts und Drohungen über
       eingeworfene Scheiben bis hin zu körperlichen Übergriffen. Das ist seit
       Jahren bekannt. Die Attacke auf den sächsischen SPD-Politiker Matthias Ecke
       hat diese aggressive Demokratieverachtung ins Zentrum der Aufmerksamkeit
       gerückt.
       
       Womit haben wir es tun? [1][Manche beschwören Weimarer Verhältnisse.] Aber
       das ist eine Dramatisierungsfloskel, die wenig erklärt. Die
       Nazischlägertrupps hinterließen schon vor 1933 Hunderte von Toten. Der
       Terror war nicht spontan, sondern von oben orchestriert, um die Demokratie
       ins Chaos zu stürzen. 2024 gibt es auch gezielte faschistische Aktionen und
       Rechtsradikale, die vom Bürgerkrieg fantasieren. Aber das Bild ist anders.
       
       Diese Aggression ist kein Echo der Vergangenheit, sondern gegenwärtig. Das
       Phänomen passt zu Coronaleugnern, Querdenkern und einem grenzenlosen,
       radikalen Individualismus. [2][Die Täter sind oft „Gekränkte“ (Oliver
       Nachtwey und Carolin Amlinger),] die das Recht auf Wut und Widerstand zu
       besitzen glauben. Um den Staat oder eben den Ortsvorsteher zu hassen,
       reicht auch die Laterne vor der Tür, die nicht repariert wird, vom
       Asylbewerberheim im Nachbarort ganz zu schweigen.
       
       Wir haben es mit WutbürgerInnen zu tun, die persönlich beleidigt sind, wenn
       nicht alles nach ihrer Flöte tanzt. Also eher mit einem militanten
       Narzissmus und weniger mit einer Wiederkehr des Nazismus. Social Media
       haben die Schwelle zwischen Frust und Aggression dramatisch gesenkt, sind
       aber der Katalysator, nicht der Grund.
       
       ## Simulierte Tatkraft hilft nicht
       
       Was tun? Es herrscht umtriebiger politischer Aktivismus. Reflexhaft werden
       Strafrechtsverschärfungen gegen „politisches Stalking“ gefordert. Dabei
       können schon jetzt Angriffe gegen MandatsträgerInnen besonders hart
       bestraft werden. Dass nun Sondergesetze für PolitikerInnen helfen, ist
       zweifelhaft.
       
       Innenministerin Nancy Faeser will mit Polizei und Justiz „ein deutliches
       Stoppsignal“ geben. Das klingt nur gut. Für schnellere Strafverfahren und
       mehr Polizei wird es im Ampel-Sparhaushalt weniger Geld geben, nicht mehr.
       
       Studien zeigen, [3][dass KommunalpolitikerInnen nur jede siebte Bedrohung
       anzeigen.] Der Grund dürfte Angst sein: als Opfer zu gelten und so noch
       mehr Hass zu provozieren. Nützlicher als Schnellschussgesetze, die nur
       Tatkraft simulieren, oder allgemeines Händeringen sind Beratungsangebote
       vor Ort, wie man sich wehren kann und angemessen reagiert. Das klingt
       unspektakulär, fast trivial. Gerade weil die Übergriffigkeiten so
       alltäglich sind, ist das nötig.
       
       10 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/angriffe-im-wahlkampf-und-auf-wahlplakate-ein-hauch-von-weimar-kolumne-a-c79134f9-c91d-4472-9ae2-4957071f4da9
 (DIR) [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Gekr%C3%A4nkte_Freiheit
 (DIR) [3] https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/gewalt-und-drohungen-gegen-kommunal-politiker-100.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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