# taz.de -- US-Rolle in Nahost: Biden in der Bredouille
       
       > Nach dem Tod von drei US-Soldaten werden die Rufe nach Vergeltung gegen
       > Iran lauter. Doch Präsident Biden will eine Eskalation unbedingt
       > verhindern.
       
 (IMG) Bild: Die außenpolitischen Probleme bringen ihn zunehmend innenpolitisch in Not: Biden am 22.01.24 in Washington
       
       Berlin taz | Für US-Präsident Joe Biden wird die Entwicklung im Nahen Osten
       tagtäglich zu einem immer schwerer aufzulösenden Dilemma. Seit dem
       Drohnenangriff auf einen US-Truppenstützpunkt in Jordanien am vergangenen
       Sonntag, bei dem drei US-Soldaten starben und laut Pentagon-Angaben 34
       weitere verletzt wurden, steht Biden unter zusätzlichem Druck.
       
       Zwar hatte der Präsident unmittelbar nach Bekanntwerden des Angriffs
       versichert, die USA würden „die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen“,
       aber wie genau das aussehen soll, wurde auch nach einer Sitzung des
       Sicherheitskabinetts am Montag nicht deutlich. „Wir wollen keinen neuen
       Krieg, wir suchen keine Eskalation“, sagte anschließend John Kirby,
       Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats vor der Presse. „Aber wir werden
       alles tun, um uns selbst zu schützen, unsere Mission fortzusetzen und
       angemessen auf diese Angriffe zu reagieren.“ Das war noch vager formuliert,
       als es die natürliche Verschwiegenheit vor möglichen Vergeltungsangriffen
       geboten erscheinen lässt.
       
       Innenpolitisch wird es für den Präsidenten immer schwieriger, einen Kurs
       vorzugeben und zu halten. Auf republikanischer Seite gibt es seit dem
       Wochenende sehr laute Stimmen, die zu einem direkten Gegenschlag auf
       iranische Einrichtungen aufrufen. [1][Lindsey Graham], republikanischer
       Senator aus South Carolina, forderte sofortige Schläge auf iranische
       militärische Einrichtungen oder die Ölinfrastruktur. „Alles andere wird als
       Schwäche angesehen werden“, schrieb Graham auf der Plattform X.
       
       Dem widersprach der demokratische Abgeordnete Seth Moulton aus
       Massachusetts, selbst ein Ex-Marine: „An die Chicken Hawks (in etwa:
       Sandkastenkrieger; die Red.), die jetzt zum Krieg mit Iran rufen: Sie
       spielen dem Feind in die Hände. Wir müssen eine effektive, strategische
       Antwort nach unseren Regeln und unserem eigenen Zeitplan geben.
       Abschreckung ist hart, Krieg ist schlimmer.“
       
       ## Kein Interesse an größerer Aktion
       
       Sicher scheint, dass die schon seit der Präsidentschaft Barack Obamas (2009
       bis 2017) verfolgte Strategie des schrittweisen US-Rückzugs aus dem Nahen
       und Mittleren Osten kaum haltbar ist. Laut einer Recherche des Magazins
       Politico dürfte etwa der Abbau an US-Aufklärungsfähigkeiten in den letzten
       Jahren den Drohnenangriff am Sonntag begünstigt haben. Wobei derzeit auch
       noch die Version die Runde macht, die US-Truppen hätten die angreifende
       Drohne fälschlicherweise für eine eigene gehalten.
       
       Mögliche Optionen für Gegenschläge auf vom Iran unterstützte Milizen
       könnten in Irak oder Syrien liegen, mutmaßlich ausgeführt von den
       US-Flugzeugträgern, die schon seit Monaten in der Region sind.
       
       Allerdings kann die Biden-Regierung kein Interesse daran haben, durch eine
       größere militärische Aktion gerade jetzt die Chancen auf ein neues Abkommen
       für eine Waffenruhe in Gaza zu gefährden. Ein erster Vorschlag dazu ist
       gerade von Vertretern der USA, Katars, Ägyptens und Israels bei
       Verhandlungen in Paris ausgearbeitet und inzwischen der Hamas-Führung
       übermittelt worden.
       
       Vorgeschlagen ist dem Vernehmen nach eine sechswöchige Waffenruhe und die
       schrittweise Freilassung weiterer Geiseln aus der Gefangenschaft bei
       umgekehrter Entlassung weiterer gefangener Palästinenser aus israelischer
       Haft. Bei einer mehrtägigen Waffenruhe waren im November rund einhundert
       israelische Geiseln freigekommen. Ob [2][die Hamas] sich auf den Deal
       einlässt oder bei ihrer bisherigen Position bleibt – erst der vollständige
       Rückzug des israelischen Militärs aus dem Gazastreifen würde zu einer
       Freilassung der Geiseln führen – blieb am Dienstag zunächst unklar.
       
       ## Druck vom linken Flügel der Demokraten
       
       Eine sechswöchige Waffenruhe würde auch die Möglichkeit größerer
       humanitärer Hilfe für die Menschen im Gazastreifen eröffnen. Das wäre sehr
       im Interesse Bidens, denn immer lauter artikuliert der linke, progressive
       Flügel seiner Demokratischen Partei seine Wut über die einseitige
       Unterstützung Israels durch die US-Regierung angesichts der humanitären
       Katastrophe in Gaza. Der linke Senator Bernie Sanders, 2016 und 2020 knapp
       als demokratischer Präsidentschaftskandidat gescheitert, schrieb im
       britischen [3][Guardian]: „Die Vereinigten Staaten müssen Netanjahu
       klarmachen, dass wir keinen weiteren Dollar für seinen inhumanen, illegalen
       Krieg mehr geben werden.“
       
       Zwar hatten Joe Biden selbst, sein Außenminister Antony Blinken und sein
       Verteidigungsminister Lloyd Austin die Netanjahu-Regierung in den
       vergangenen Wochen immer wieder zur Mäßigung aufgerufen. Als aber der
       UN-Sicherheitsrat einen sofortigen Waffenstillstand fordern wollte, legten
       die USA ihr Veto ein – und den Schritt, mit dem Entzug der Militärhilfe zu
       drohen, wollte Biden bei aller offenkundigen Abneigung Netanjahu gegenüber
       nicht gehen.
       
       Genau darüber wächst der Ärger in der demokratischen Parteilinken, für die
       Sanders in den letzten beiden Wahlkämpfen die wichtigste Führungsfigur
       geworden war. Bei den letzten zwei Kongresswahlen war der „Progressive
       Caucus“, ein Zusammenschluss linker Kräfte im Repräsentantenhaus, deutlich
       angewachsen. Biden braucht die Stimmen dieses Flügels zwingend, will er
       sich im November erneut gegen Donald Trump durchsetzen.
       
       Die Nachricht von der Konferenz von Siedlern und rechtsextremen Politikern,
       darunter etlichen Ministern aus Netanjahus Kabinett, bei der am Sonntag in
       Jerusalem die Wiederbesiedlung von Gaza gefordert wurde, dürften Bidens
       Navigieren in dieser Lage da kaum erleichtern.
       
       30 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://twitter.com/LindseyGrahamSC/status/1752028541334507843
 (DIR) [2] /Mustafa-Barghouti-ueber-den-Gazakrieg/!5986884
 (DIR) [3] https://www.theguardian.com/commentisfree/2024/jan/27/the-us-must-act-to-end-the-gaza-disaster#:~:text=Many%20of%20us%20are,and%20evade%20their%20congressional%20responsibilities
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Pickert
       
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