# taz.de -- Madagaskar vor den Wahlen: Keine Insel der Seligkeit
       
       > Madagaskars Präsident Andry Rajoelina will sich wiederwählen lassen. Die
       > Opposition ist empört.
       
 (IMG) Bild: Barrikadenbau bei einem Protest in der Hauptstadt Antananarivo am vergangenen Samstag
       
       Antananarivo taz | Die Hauptstadt Antananarivo ist Schauplatz häufiger
       Demonstrationen gegen das Ansinnen von Präsident Andry Rajoelina, sich an
       diesem Donnerstag wiederwählen zu lassen. Er regiert seit 2019. Kritiker
       sagen, seine erneute Kandidatur widerspreche einem von der Afrikanischen
       Union (AU) und den Vereinten Nationen ausgehandelten Abkommen, dass er 2023
       nicht erneut antritt. Rajoelina sagt, dies sei lediglich eine
       unverbindliche Abmachung gewesen.
       
       Gegen den 49-Jährigen, der den Inselstaat schon einmal nach einem Putsch
       von 2009 bis 2014 regierte, treten unter anderem zwei Ex-Präsidenten an:
       der 73-jährige Marc Ravalomanana (2002–2009) und der 65-jährige Hery
       Rajaonarimampianina (2014–2018) an. Es gibt insgesamt 13 Kandidaten.
       
       Die Wahl war ursprünglich für den 9. November angesetzt, wurde aber wegen
       Unruhen um eine Woche verschoben. Die Opposition hat eine weitere
       Verschiebung oder gar Aussetzung gefordert. Da die Wahl nun aber trotzdem
       stattfindet, haben alle Oppositionskandidaten außer einem in letzter Minute
       zum Wahlboykott aufgerufen.
       
       Denn Instabilität und Gewalt gegen Oppositionsanhänger haben aus ihrer
       Sicht einen fairen Wahlkampf unmöglich gemacht. „Wir wollen eine Wahl, aber
       es muss eine sein, die für alle akzeptabel ist“, sagte der
       Oppositionskandidat Hajo Andrianainarivelo, als er am Dienstag in der
       Hauptstadt auf einer Pressekonferenz den Boykottaufruf erläuterte.
       
       ## Demonstrationsverbot
       
       Es gilt ein Demonstrationsverbot, da es in Antananarivo seit Anfang Oktober
       regelmäßig Zusammenstöße zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften
       gegeben hat, vor allem auf dem zentralen Platz des 13. Mai und dem
       Boulevard Avenue de l’Indépendance.
       
       Auslöser der Proteste war die Ernennung von Premierminister Christian
       Ntsay, einem Verbündeten des Präsidenten, zum Interimspräsidenten am 12.
       September. Rajoelina hat formell für die Dauer des Wahlkampfs sein Amt
       niedergelegt, bis ein neuer Staatschef nach den Wahlen vereidigt wird.
       
       Den Regeln zufolge wird eine Interimspräsidentschaft vom Präsidenten des
       Senats geleitet. Aber Senatspräsident Herimanana Razafimahefa lehnte aus
       „persönlichen“ Gründen ab. Das Verfassungsgericht billigte die Berufung des
       Premierministers an seiner Stelle. Er leitet nun den Wahlprozess. Die
       Opposition bezeichnete dies als „institutionellen Staatsstreich“, der den
       Amtsinhaber begünstige.
       
       Im Juni wurde zudem bekannt, dass Rajoelina die französische
       Staatsbürgerschaft erworben hat. Elf Gegenkandidaten reichten deswegen
       gegen seine Kandidatur Klage ein, aber scheiterten beim Verfassungsgericht.
       Diese elf rufen nun zum Boykott auf.
       
       ## Wahlverschiebung um eine Woche
       
       Die Spannungen blieben im Wahlkampf hoch. Die Polizei setzte immer wieder
       Tränengas und Wasserwerfer ein und bleibt massiv in den Straßen präsent. Am
       7. Oktober verhängte sie über die Hauptstadt sogar eine Ausgangssperre,
       kurz vor dem offiziellen Beginn des Wahlkampfes am 9. Oktober.
       
       Die Wahl wurde verschoben, nachdem ein Tränengaskanister explodierte und
       einen Kandidaten im Gesicht verletzte. Auch der Oppositionsführer
       Ravalomanana wurde während eines Tränengaseinsatzes der Polizei am Bein
       verletzt.
       
       Zu den letzten Zusammenstößen kam es am vergangenen Samstag. Protestierende
       versuchten, auf dem zentralen Platz und in den Stadtvierteln Andravoahangy
       und Behoririka Barrikaden zu bauen. Die Polizei griff ein, mehrere Menschen
       wurden verletzt und nach amtlichen Angaben elf Personen festgenommen.
       Sicherheitsexperten erwarten weitere Zusammenstöße am Wahltag. Am
       Mittwochabend verhängte die Regierung über die Hauptstadt eine nächtliche
       Ausgangssperre, es drohen weitere Maßnahmen wie Reisebeschränkungen und
       Internetsperren.
       
       Madagaskar, der zweitgrößte Inselstaat der Welt nach Indonesien, war bis
       1960 französische Kolonie und hat im vergangenen Vierteljahrhundert mehrere
       umstrittene Wahlen und Aufstände erlebt. 2001 konnte Ravalomanana seinen
       Wahlsieg nur mit Mühen gegen seinen Vorgänger Didier Ratsiraka durchsetzen.
       Der frühere Militärdiktator zog sich in die Berge zurück, während
       Ravalomanana als Bürgermeister von Antananarivo die Hauptstadt
       mobilisierte.
       
       Erst nach mehrmonatiger Konfrontation gab Ratsiraka 2002 nach und ging nach
       Frankreich ins Exil. Später wurde gemutmaßt, dass er den Putsch des
       Jungunternehmers Rajoelina gegen Ravalomanana 2009 unterstützte.
       
       ## Voraussichtliche Wiederwahl trotz Wirtschaftskrise
       
       Rajoelina ließ seinen Putsch international absegnen durch das Versprechen,
       bei den nächsten Wahlen nicht zu kandidieren. So kam 2014 sein
       [1][Ex-Minister Hery Rajaonarimampianina] an die Macht. Vier Jahre später
       überließ er das Amt wieder Rajoelina. Der gewann 2018 die Stichwahl gegen
       Ravalomanana.
       
       Rajoelinas voraussichtliche Wiederwahl erfolgt im Kontext einer
       Wirtschaftskrise. Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) wird in diesem
       Jahr ein Wachstum von nur 4 Prozent erwartet bei 10 Prozent Inflation. Die
       staatlichen Strom- und Wasserbetriebe fahren Verluste ein, was die
       Staatsfinanzen belastet. Die [2][Exporte von Vanille], Madagaskars
       bekanntestes Ausfuhrprodukt, stagnieren und die Devisenknappheit führt zum
       Verfall der Landeswährung.
       
       Die schwerste Dürre seit 40 Jahren und [3][verheerende Wirbelstürme haben
       Madagaskar weiter gebeutelt]. IWF-Vizedirektorin Antoinette Sayeh sprach
       beim Abschluss der jüngsten vierten Runde von Kreditverhandlungen mit
       Madagaskar von einem „herausfordernden Umfeld mit vielfachen Klimaschocks,
       langsamerem Wachstum und starkem Inflationsdruck“. Die in Armut lebende
       Mehrheit der über 30 Millionen Einwohner werde dadurch am meisten belastet.
       
       Rajoelina, der die Partei Entschlossene junge Madegassen führt, bleibt auch
       wegen seines Streits mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in
       Erinnerung: In der Covid-Pandemie pries er ein [4][Kräutermitel aus
       Madagaskar gegen das Virus], aber die WHO billigte es nicht.
       
       16 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mario Rajomazandary
       
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