# taz.de -- Ein Hausbootbewohner über Bürokratie: „Nie wieder an Land wohnen“
       
       > Jan „Rockfisch“ Ebel lebt mit seiner Familie in einem Hausboot. Als
       > Spreemüllsammler hat er auch bei den Behörden eine gewisse Bekanntheit
       > erlangt.
       
 (IMG) Bild: Jan Ebel auf seinem Boot in der Rummelsburger Bucht
       
       wochentaz: Herr Ebel, wie kommt man auf den Namen Rockfisch? 
       
       Jan „Rockfisch“ Ebel: Der Name kommt eigentlich von einer Zeichnung, die
       ich mal gemacht habe, von einem karierten Fisch. Eine Fantasiefigur, die
       ich bei den Konzerten meiner Band gern so als Label verwendet habe.
       Irgendwann habe ich mein Boot auch Rockfisch benannt. Mittlerweile firmiere
       ich sozusagen selbst unter dem Namen.
       
       Also hat er auch ein bisschen mit Rockmusik zu tun? 
       
       Ja, ich habe 24 Jahre Musik gemacht, Bass gespielt in einer Band. Jonnie
       Rook. Knüppelharter Punk, aber mit melodischem Frauengesang, was die Sache
       ein bisschen entschärft hat. Corona war unser Bandtod.
       
       Seit wann gibt es den Rockfisch auf dem Wasser? 
       
       Auf dem Ur-Rockfisch habe ich seit 2009 immer von April bis Oktober
       gewohnt. Damals war ich noch Single. Auf meinem Nachfolgerboot, Edgar
       Rockfisch, wohne ich seit siebeneinhalb Jahren mit Freundin und meinem
       fünfjährigen Sohn. Nicht um Miete zu sparen, sondern weil ich ein
       Wasserfreak bin.
       
       Auf dem Wasser ist für Sie besser als am Wasser? 
       
       Ohne Frage. Ich weiß, dass ich nie wieder an Land wohnen werde. Das Leben
       auf dem Wasser ist voll meins, obwohl es super viel Arbeit bedeutet. Aber
       es macht mich auch komplett glücklich.
       
       Was ist besser auf Wasser als an Land? 
       
       Erst mal der Platz, obwohl wir zu dritt auf nicht mal 40 Quadratmeter
       beheizbarer Fläche wohnen. Andererseits haben wir freie Sicht. Aber ich
       will jetzt keine Werbung dafür machen, denn das Leben ist auch nicht ganz
       einfach.
       
       Die oft romantischen Vorstellungen vom Leben im Hausboot, die man sich gern
       macht, sind falsch? 
       
       Zum Teil schon. Es ist alles sehr teuer. Man kann sich bei Kleinanzeigen
       sogar ein Boot schenken lassen, aber dann geht’s ja erst los. Du brauchst
       Strom, einen festen Liegeplatz, der ordentlich Geld kostet. Genauso wie die
       Wartung der Motoren oder wie das Boot an Land zu holen für die regelmäßigen
       Anstriche gegen Algen. Dazu brauchst du eine Versicherung und, wenn man
       autark sein will, eine Solar- und Wasseraufbereitungsanlage. Ich stecke all
       mein Geld ins Boot, um hier autark und umweltfreundlich zu leben. Mit
       meiner Anlage mache ich aus Spreewasser Trinkwasser.
       
       In der Stadt ist Wohnen ein Riesenproblem, auch Verdrängung. Gibt es die
       auch auf dem Wasser? 
       
       Es gibt viele Versuche, die bunten Boote aus der [1][Rummelsburger Bucht
       hier in Berlin] zu verdrängen. Zum Beispiel vonseiten einiger
       Bürgervereine, die uns als Assis auf Wasser betrachten, die ihnen die
       schöne Sicht versperren. Aber auch Parteien machen gegen uns Stimmung.
       Leider sind da die Linken und die Grünen, mit denen ich ansonsten
       sympathisiere, ganz vorne dabei. Sie wollen, dass hier alles
       Naturschutzgebiet wird und keine Boote fahren. Bloß weil sich paar Leute
       verantwortungslos auf dem Wasser benehmen. So einfach geht das aber nicht,
       weil eine Bundeswasserstraße nicht dem Land untersteht. Wir vom Verein
       Spree:publik wollen zeigen, dass es hier auch engagierte Leute gibt, die
       sich verantwortungsvoll verhalten und die Freiheit auf dem Wasser nicht nur
       genießen, sondern auch etwas für die Umwelt tun und für Kunst und Kultur,
       die auf dem Wasser für alle umsonst zugänglich ist.
       
       Was heißt das konkret? 
       
       Unser Verein möchte Ansprechpartner sein für Partizipation auf dem Wasser.
       Wir wollen ein Mitspracherecht für Menschen, die Leben auf dem Wasser
       kultivieren, bevor Gesetze beschlossen werden, die sie betreffen. Wir
       hätten gern einen selbstverwalteten alternativen freien Hafen, wo unsere
       kulturell und umweltschutzmäßig genutzten Boote einen günstigen Liegeplatz
       kriegen. Wir haben ja mehrere, auf denen Konzerte, Theater und Kinoabende
       stattfinden, wo man mit dem Paddelboot hinkommen kann oder geshuttelt wird.
       Wir veranstalten einmal im Jahr „Rummel in der Bucht“, wo richtig die Post
       abgeht. Wir organisieren auch viele kleine politische Veranstaltungen zum
       Beispiel über Sea-Watch oder Ausstellungen.
       
       Sie sind auch bekannt als Spree-Aufräumer, der mehrmals im Jahr mit seinem
       eigenen Boot Schrott aus dem Wasser holt. Das finden viele bewundernswert. 
       
       Na ja, die Wasserpolizei ist über unser Müllsammeln weniger begeistert,
       weil sie Nachahmer befürchtet, die den Müll einfach ans Ufer stellen und
       dann keinen Container besorgen, sodass sich die Stadt kümmern muss.
       
       Absurd?! 
       
       So ist es halt. Wer den Müll aus dem Wasser holt, ist auch dafür
       verantwortlich, dass er entsorgt wird. Richtig absurd ist die Bürokratie,
       die ich bei der Vorbereitung meiner Aktionen erlebe. Von überall brauche
       ich eine Erlaubnis: Grünflächenamt, Ordnungsamt, Wasserschifffahrtsamt,
       Denkmalschutzamt.
       
       Warum denn von denen? 
       
       Falls ich irgendwelche archäologisch relevanten Sachen aus dem Wasser
       ziehe.
       
       Und haben Sie schon mal? 
       
       Nö, aber ich habe mal ein Stück einer Skulptur aufgefischt, eine Steinhand.
       Ich hatte dann mal gegoogelt und rausgefunden, dass eine DDR-Künstlerin in
       Köpenick eine Statue aufgestellt hatte, der irgendwelche Vandalen den Arm
       abgerissen und offensichtlich ins Wasser geworfen hatten. Ich habe dann
       den Verein angerufen, wo sie begeistert waren über meinen Fund, aber dann
       haben sie sich nie wieder gemeldet. Die Hand liegt jetzt noch bei meiner
       Mutter im Blumentopf.
       
       Wo schippern Sie so auf der Spree lang auf Ihrer
       Unterwasserentrümpelungstour? 
       
       Ich fahre Richtung Oberbaumbrücke, und erstmals war ich auch bis zum
       Regierungsviertel, wofür ich natürlich auch wieder eine Genehmigung
       brauchte. Gerade wo viele Touristen sind, liegt viel Müll im Wasser. An
       einem Spot haben wir mal über 50 E-Scooter rausgeholt. Wenn im Winter das
       Wasser extrem aufklart, hat man ja eine gute Sicht auf den Grund. Wir
       arbeiten mit Haken und sind ein eingespieltes Team, das ist alles harte
       Arbeit, drei, vier Stunden lang. Und dann kostet es ja auch noch Geld.
       
       Wofür? 
       
       Für einen Container, den ich organisieren muss. Zweimal nur haben das
       E-Scooter-Firmen übernommen. Die eiern lieber erst mal rum, von wegen, da
       ist ja auch anderer Müll dabei. Ich denk dann, ach leckt mich, dann bezahle
       ich es selbst. Mittlerweile bekommen wir aber auch Spenden, mit denen ich
       zumindest die Reparatur meines Rockfisches bezahlen kann. Ich muss das Boot
       ja wieder auf Vordermann bringen, um es später wieder zu ramponieren
       (lacht).
       
       Knackfrage sicher für viele: Warum machen Sie das eigentlich? 
       
       Weil es sonst keiner macht. Wenn ich sehe, dass Müll im Wasser liegt, auf
       dem ich wohne, ist es für mich selbstverständlich, etwas dagegen zu tun.
       Ich habe die Ressourcen und die Power und Freunde, die helfen. Also mache
       ich es halt so. Aber das ist eine echt mistige Arbeit, kein Spaß. Auch wenn
       es beim Müllsammeln selbst lustig zugehen kann, weil wir dann unsere Späße
       machen. Und wir kriegen ja auch viel Zuspruch, wenn unsere Aktionen publik
       werden.
       
       Es gibt inzwischen einige Schrottfischer in Berlin? 
       
       Ja. Ich arbeite auch mit Magnetfischergruppen zusammen. Ganz patente Leute,
       die auch einen Ehrenkodex haben und das Schrottsammeln als Hobby betreiben.
       Die suchen eher so kleine Schätze. Für mich ist es kein Hobby. Da gehe ich
       lieber angeln oder trinke ein Bierchen mit Kumpels.
       
       Bereuen Sie eigentlich manchmal, dass Sie anderen ihren Dreck wegräumen? 
       
       Nö, aber es ist doch schade, dass es nicht jemand macht, der dafür
       zuständig ist und dafür bezahlt wird.
       
       Steigert es den Frust, dass man ihn schwer konkret adressieren kann? 
       
       Na ja, wem soll man die Schuld geben? Dem betrunkenen Partyvolk oder den
       eigentlich Zuständigen? Ich bin halt jemand, der lieber eher macht als
       jammert oder etwas beklagt.
       
       Es ist ja auch ein übergreifendes Problem, dass es eine kollektive
       Verantwortungslosigkeit gibt. Gerade in Berlin, oder? 
       
       Das Ding ist, wenn man nach Verantwortlichen sucht und einen Hinweis
       bekommt, wer es sein könnte, dann erlebst du Folgendes: Bevor sie irgendwas
       tun, checken sie zuerst, ob sie auch wirklich verantwortlich sind. So ist
       meine prägende Erfahrung mit Behörden und Scooter-Firmen. Jeder guckt erst
       mal, ob er mir bei Anträgen helfen muss oder ob er mir überhaupt Fragen
       beantworten muss. Niemand sagt, ey cool, was du da vorhast. Ich bin oft mir
       selbst überlassen, und wenn ich nicht hartnäckig am Ball bleibe, lässt man
       mich am ausgestreckten Arm verhungern.
       
       Früher feierte sich Berlin als arm, aber sexy. Heute ist vieles Business
       und wird gern als Gemeinwohl verkauft. Siehe E-Scooter als Beitrag zur
       Verkehrswende, oder es wird Müll vor die Haustür gestellt mit dem Schild
       „zu verschenken“. Wie schaffen Sie es, an dieser Mentalität nicht zu
       verzweifeln? 
       
       Ich befasse mich einfach nicht mit der Suche nach Schuldigen. Aus der
       Nummer ziehe ich mich einfach raus, indem ich zum Beispiel raus aufs Wasser
       entfliehe. Aber auch da sind ja meine Probleme nicht weg, die ich an Land
       habe. Meine Kita in Prenzlauer Berg, in der ich als Erzieher arbeite, wird
       jetzt weggentrifiziert, nach 20 Jahren. Wir müssen raus, weil die Miete
       verdoppelt wurde, und suchen neue Räume. Aber das ist ja nur die Spitze des
       Eisbergs. Den Trend zum Müll auf die Straße stellen und als Geschenk zu
       verkaufen, finde ich übrigens auch eine Frechheit. Das ist praktisch
       genauso, als würdest du auf einen Hundekackehaufen ein Fähnchen stecken: zu
       verschenken. Diese Leute denken vielleicht wirklich, sie tun anderen einen
       Gefallen, wenn sie eine zerwichste Couch rausstellen. Es gibt ja gerade
       eine Kampagne von Kita-Trägern „Berlin braucht Erziehung“. Vielleicht ist
       die gar nicht so verkehrt. Die Frage ist nur, wem gibt man die
       Verantwortung zum Erziehen: dem Staat, den Eltern, die es teilweise auch
       nicht besser gelernt haben? Schwierig.
       
       Mit Zeigefinger und Verboten kommst du in Berlin nicht weit. Wie könnte
       eine klare Ansage anders aussehen? 
       
       Wenn ich das wüsste. Wir sind halt eine Millionenstadt. Wo es viele
       Menschen gibt, gibt es auch viele Idioten. Und die anderen müssen für die
       Idioten mit geradestehen. Wo viele Leute dumme Sachen machen, entstehen
       viele neue Gesetze, die die Grundfreiheiten wiederum zerstören. Gesetze
       entstehen ja nur aus den dummen Handlungen von Menschen. Ein Gesetz, dass
       man sich lange am Wasser aufhalten kann, war noch nie nötig. Umgekehrt gibt
       es jetzt aber Schließzeiten und Absperrungen von Parks, weil Leute
       permanent Mist bauen und keinen Respekt zeigen.
       
       Paris hat [2][E-Scooter verboten]. Wären Sie in Berlin auch dafür, damit
       Sie nicht mehr so viele aus der Spree holen müssten? 
       
       Eigentlich ja. Andererseits bin ich nicht prinzipiell gegen den Scooter,
       auch wenn das die Firmen sicher denken. Ich bin nicht gegen ihr Geschäft,
       allerdings muss die ganze Struktur überdacht werden, weil sich nun mal
       viele ihrer Kunden nicht an die Regeln halten. Es geht darum, sich
       Strukturen einfallen zu lassen, die man auf Berlin anpasst, damit selbst
       die größten Trottel es irgendwie hinkriegen, einen E-Scooter abzustellen.
       Man könnte zum Beispiel Abstellzonen einrichten, wo man den Scooter richtig
       einklicken muss. Sicher gäbe es Lösungen, die das Geschäftsmodell nicht
       abwürgen. Die Firmen bräuchten jedoch Mitarbeiter, die die Scooter aus dem
       Wasser, aus Parks und teilweise aus Bäumen holen. Sie müssen schlicht
       selbst Verantwortung übernehmen.
       
       Wie sind Sie eigentlich an Land in der Stadt unterwegs? 
       
       Ich setze mit einem kleinen Boot rüber ans Ufer und fahre dann mit dem
       Lastenfahrrad zu meiner Kita. Wenn ich mal ein Spiel von Union besuche,
       fahre ich allerdings, zusammen mit ein paar Kumpels, mit dem Rockfisch über
       die Spree.
       
       Wie kriegen Sie Ihre Post? 
       
       Die kommt bei meiner Mutter in Pankow an, und sie gibt sie mir. Wenn etwas
       Wichtiges dabei ist, ruft sie mich an.
       
       Bald kommt die Winterzeit. Ist das die weniger schöne Zeit auf dem Wasser? 
       
       Kann man so nicht sagen. Jede Jahreszeit hat ihre tollen Seiten. Im Winter
       ist auf dem Wasser wenig los. Dann kann man mit seinen Nachbarn gemütlich
       an der Feuerschale auf dem Boot sitzen. Drinnen ist es auch gemütlich. Die
       Bude ist warm, denn Brennholz habe ich genug. Auf Baustellen frage ich
       immer nach Restholz, das reicht. Im Sommer kann man lange draußen sitzen
       und viel angeln. Ich bin ja leidenschaftlicher Angler.
       
       Gibt es bei Ihnen zu Hause meistens Fisch? 
       
       Auf jeden Fall. Und wir kaufen keinen Fisch.
       
       Ist Berlin eine tolle Stadt aus Anglersicht? 
       
       Ja, Barsche, Rapfen, Zander kann mag gut angeln, wenn man sich auskennt und
       zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist.
       
       12 Nov 2023
       
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