# taz.de -- Debatte über den Nahost-Konflikt: Die Stimmen der Betroffenen fehlen
       
       > Bei der Debatte hierzulande geht es oft mehr um die deutschen Gefühle als
       > um die israelischen oder palästinensischen. Wir sollten die Diskussion
       > öffnen.
       
 (IMG) Bild: Mediale Debatte: Entscheidend ist, wer zu Wort kommt
       
       Zuletzt wurde diese Kolumne am 11. Oktober veröffentlicht. Ich habe in dem
       [1][Artikel „‚Oh Gott, beschütze Deutschland‘“] meine Erfahrung in einer
       Hamburger Moschee beschrieben. Als ich ein paar Tage nach der
       Veröffentlichung des Textes in der Zeitung dann taz.de geöffnet habe, war
       ich total überrascht: Mein Artikel gehörte zu den meistgelesenen an dem
       Tag. Ich habe mich gefreut, bis ich ein paar der Kommentare unter dem
       Artikel gelesen habe. Dann verstand ich auch, warum mein Artikel wohl so
       oft geklickt wurde.
       
       Die meisten Kommentare bezogen sich auf den brutalen [2][Angriff der Hamas
       auf Israel am 7. Oktober]. Ein Kommentar bezog sich auf die gefühlt
       fehlende Reaktion von Muslim*innen oder Muslimverbänden. Ich habe das
       auch als Kritik verstanden, dass ich mich in dem Text nicht auf die
       aktuelle Lage bezogen habe.
       
       Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich darauf antworten soll. Eine
       Verurteilung des Angriffs auf die 1.400 Menschen in Israel ist das
       schnellste und „einfachste“, was ich machen kann. Allah schütze die Seelen
       der Getöteten. Gleichzeitig frage ich mich, ob diese Verurteilung von mir,
       der hier in Hamburg an seinem Laptop sitzt, den Angehörigen der Entführten,
       die jeden Tag um Neuigkeiten von ihren Geliebten warten, irgendwas bringt.
       Wie viele Statements haben wir alle in den vergangenen Wochen auf Social
       Media gelesen? Sollte ich meins hinzufügen?
       
       Das waren meine Gedanken nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober. Was in
       den Wochen danach folgte, das will ich hinzufügen, hat meine
       Sprachlosigkeit verstärkt. Die militärische Reaktion von Israel hatte zu
       dem Zeitpunkt, als ich den Text verfasste, 9.770 Menschen in Gaza das Leben
       gekostet, laut der (von der Hamas kontrollierten) Gesundheitsbehörde dort.
       Davon sind schätzungsweise 4.008 Kinder. Allah schütze auch ihre Seelen.
       
       ## Emotionen mit unterschiedlichen Narrativen
       
       Wie soll ich diese Sprachlosigkeit begründen? Einerseits bin ich mir
       unsicher, wo Platz ist für mich in der Diskussion hier in Deutschland. Weil
       sich bei mir viele Emotionen mit unterschiedlichen Narrativen mischen. Ich
       habe als Jugendlicher in Syrien eine sehr andere Version der Geschichte von
       Israel und Palästina gelernt. Zum Teil lag das an der staatlichen
       Propaganda in [3][Syrien]. Aber auch meine persönliche Verbindung zu dem
       Konflikt spielt eine Rolle. Meine Eltern wurden, als sie beide noch Kinder
       waren, aus ihrer Heimat Golan vertrieben. Israel besetzt dieses Gebiet von
       Syrien seit dem sogenannten [4][Sechstagekrieg 1967].
       
       Die Art und Weise, wie hier in Deutschland über das Thema Israel und
       Palästina diskutiert wird, ist auch sehr eigen. Ich verstehe natürlich,
       welche Rolle der historische Kontext in Deutschland spielt. Und
       gleichzeitig stört es mich, wie sehr die Diskussion um die Kriege, die
       Gewalt und um die Leben der Menschen dort almanisiert wird.
       
       Ich habe oft das Gefühl, dass es mehr um die [5][deutschen Gefühle] geht
       als um die israelischen oder palästinensischen. Der israelische Historiker
       [6][Moshe Zimmermann] hat es vor zwei Jahren in einer Talkrunde so gesagt:
       „Es ist sehr angenehm, hier als Statist am Rande einer innerdeutschen
       Diskussion teilzunehmen. Da sitzt ein Deutscher und erklärt uns, wie die
       Geschichte lief, wie ein Narrativ wichtiger ist als das andere Narrativ.“
       
       Ich frage mich, wie können wir noch mehr Platz in der öffentlichen
       Diskussion schaffen, nicht nur für meine Geschichte, sondern vor allem für
       vielfältige palästinensische und israelische Stimmen. Damit wir nicht
       pauschalieren müssen und damit Leser*innen nicht in einer kurzen,
       lokalen Kolumne über einen Moscheebesuch nach Antworten auf den
       Israel-Palästina-Konflikt suchen müssen.
       
       7 Nov 2023
       
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