# taz.de -- Österreichs Ex-Kanzler vor Gericht: Kurz sieht sich in der Opferrolle
       
       > Sebastian Kurz bestreitet im Prozess gegen ihn jede aktive Beteiligung an
       > einer umstrittenen Personalbestellung. Er plädiert auf „nicht schuldig“.
       
 (IMG) Bild: Anwalt Otto Dietrich, Sebastian Kurz, ehemaliger Bundeskanzler von Österreich, und Anwalt Werner Suppan sprechen mit Journalisten im Rahmen des Prozesses wegen Falschaussage im Ibiza-U-Ausschuss
       
       Wien taz | Blauer Slim-Fit-Anzug, offener Hemdkragen, eine knappe
       Wortspende im Licht der vielen Kamerascheinwerfer, bevor es für Sebastian
       Kurz Freitagvormittag losgeht. Man wähnt sich beinahe zwei, drei Jahre
       zurückversetzt in eine x-beliebigen Pressekonferenz des österreichischen
       Altkanzlers. Tatsächlich ist es für ihn Tag zwei am Straflandesgericht
       Wien, wo ihm [1][der Prozess gemacht] wird.
       
       Zwei Jahre nach dem Ausscheiden von Kurz aus der Politik ist Österreich
       noch immer dabei, seine nur vier Jahre währende Kanzlerschaft – auf
       rasanten Aufstieg folgte der tiefe Fall – abzuwickeln. Nun auch vor
       Gericht, wo Kurz eine Falschaussage vor dem parlamentarischen
       Ibiza-Untersuchungsausschuss vorgeworfen wird.
       
       Im Zentrum steht die Frage, ob und inwieweit Kurz in eine umstrittene
       Personalbestellung der mächtigen Staatsholding ÖBAG, die
       Unternehmensanteile in Höhe von mehr als 25 Milliarden Euro verwaltet,
       involviert war. Kurz' enger Vertrauter Thomas Schmid, zuvor Generalsekretär
       im Finanzministerium, wurde 2019 zum hoch bezahlten ÖBAG-Alleinvorstand. Im
       U-Ausschuss bestritt Kurz jede aktive Beteiligung. Er sei „eingebunden im
       Sinne von informiert“ gewesen, mehr nicht.
       
       Am zweiten Prozesstag versuchen Richter und Staatsanwälte einmal mehr, den
       Bedeutungsgehalt solcher und ähnlicher Aussagen zu dechiffrieren. Vorher
       hat Kurz, der auf „nicht schuldig“ plädiert, ausführlich Zeit, sich zu den
       Vorwürfen zu äußern. Er tut dies wortreich und emotional, spricht von
       Missverständnissen, absichtlich nachteiligen Auslegungen und einer
       Opposition, die im U-Ausschuss nur darauf gewartet habe, Kurz in
       Widersprüche zu verwickeln.
       
       Man kennt die Argumentation, Kurz bemüht sie, seitdem die Vorwürfe erstmals
       aufkamen. „Ich hoffe, ich war nicht zu lang, bedanke mich für die
       Aufmerksamkeit und beantworte selbstverständlich alle Fragen“, sagt Kurz
       nach seinem Auftakt. Ganz so, als spreche er über den neuesten großen Wurf
       seiner Regierung, nicht als stünde er vor Gericht wegen eines Delikts, auf
       das bis zu drei Jahre Haft stehen.
       
       ## „Ich habe doch kein Hirn wie ein Nudelsieb“
       
       Ausladend gestikulierend, immer wieder mit jammernder Stimme und bisweilen
       derb – „Ich habe doch kein Hirn wie ein Nudelsieb“ – beschreibt er seine
       angebliche Opferrolle. Er spricht von „Aggressivität“ jener Parlamentarier,
       die ihn im U-Ausschuss zur umstrittenen Postenbestellung befragt hatten.
       „Die Opposition wollte mich zerstören.“ Bei den später vorgespielten
       Tondokumenten ebenjener Befragungen ist von Aggressivität nichts zu merken.
       Deutlich wird neben Erinnerungslücken nur Kurz' Weigerung, viele der
       heikleren Fragen eindeutig zu beantworten.
       
       Diese Erfahrung muss bisweilen auch Richter Michael Radasztics machen,
       mitunter drückt sich Kurz um klare Angaben. Die Fragen der anklagenden
       Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) will Kurz gleich gar
       nicht beantworten – entgegen seines eigenen Wunsches nach Aufklärung, den
       Kurz anfänglich betont hat.
       
       Neben Audioaufnahmen aus dem U-Ausschuss hält Radasztics Kurz mehrere
       seiner Chatverläufe mit Schmid und anderen Eingeweihten vor. Die Chats
       wurden im Zuge eines anderen Ermittlungsstrangs infolge des Ibiza-Skandals
       sichergestellt, sie fanden sich auf dem beschlagnahmten Handy von Thomas
       Schmid. „Du Aufsichtsratssammler“ und, etwas später, „Kriegst eh alles, was
       du willst“, hatte Kurz Schmid in Bezug auf die ÖBAG-Führung geschrieben.
       Daraufhin Schmid: „Ich bin so glücklich… Ich liebe meinen Kanzler.“
       
       Kurz räumt vor Gericht ein, er verstünde, dass die Nachrichten von außen
       anders wahrgenommen werden können als von ihm intendiert gewesen. Seine
       eigentliche Absicht sei es gewesen, Schmid damit ruhigzustellen. Der sollte
       erstmal „den Hals vollkriegen“ und zufrieden sein mit dem erreichten,
       anstatt nach immer weiteren Posten zu gieren.
       
       Kurz habe sich nicht aktiv für Schmid eingesetzt, aber ihm auch „keine
       Steine in den Weg gelegt“ und ihm „ein gutes Gefühl gegeben“, was dessen
       Wunsch nach der ÖBAG-Führung betraf. Darüber entschieden habe aber der
       damalige Finanzminister. Kurz hätte eigentlich eine andere ÖBAG-Spitze
       bevorzugt, etwa den Unternehmer Siegfried Wolf oder den deutschen
       Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Sie wurden es nicht,
       seien von Schmid „torpediert“ worden. Dass die Wahl am Ende auf ihn fiel,
       habe Schmid sich laut Kurz „selbst gecheckt“, also im Hintergrund selbst
       die Fäden gezogen.
       
       So bleiben am Ende der fünf Stunden viele Fragen offen. Kurz' Strategie
       wirkt nach diesem Tag erstaunlich unentschieden. Im Vorfeld war gemutmaßt
       worden, Kurz könne sich auf einen „Aussagenotstand“ berufen, also auf
       bewusste Falschaussagen im U-Ausschuss, um einer strafrechtlichen
       Verfolgung zu entgehen. Mehrmals sieht es vor Gericht so aus, als wolle
       Kurz in diese Richtung argumentieren.
       
       Die Opposition habe nur darauf gewartet, dass er etwas Falsches sage, um
       ihn dann anzeigen zu können, so Kurz sinngemäß. Er habe Angst gehabt, in
       Strafverfahren hineingezogen zu werden. Gleichzeitig betont Kurz aber, im
       U-Ausschuss die Wahrheit gesagt haben. Auch als der Richter sagt, er habe
       schon „von Amts wegen“ das Vorliegen eines Aussagenotstands zu prüfen. Es
       wäre eine aufgelegte Chance für Kurz, die er aber nicht ergreift.
       
       Aussagenotstand dürfte also nicht die Verteidigungsstrategie sein, ebenso
       wenig das Abzielen auf eine Diversion. Zu einer solchen kam es bei der
       Erstangeklagten Bettina Glatz-Kremsner am Ende des ersten Verhandlungstags.
       Sie machte zwar kein Geständnis, räumte aber Fehler bei ihren Aussagen im
       U-Ausschuss ein und erhielt dafür vom Richter überraschend eine
       außergerichtliche Lösung angeboten. Die frühere Casinos-Managerin, die
       kolportierte 400.000 Euro Pension pro Jahr erhält, muss nun 104.000 Euro
       Diversion bezahlen und bleibt damit straffrei. Sofern die WKStA nicht
       Berufung einlegt.
       
       Somit ist die Aufmerksamkeit jetzt allein auf Kurz und seinem früheren
       Kabinettschef Bernhard Bonelli gerichtet, ebenfalls im selben Verfahren. Um
       Bonelli wird es am Montag gehen, bevor es voraussichtlich im November zu
       den ersten von rund zwei Dutzend Zeugenbefragungen kommt. Kurz' Verteidiger
       bat noch darum, Schmid als ersten Zeugen vorzuladen. Richter Radasztics
       hatte dagegen nichts einzuwenden.
       
       „Wir haben immer freundschaftlich zusammengearbeitet“, sagt Kurz zu seiner
       Beziehung zu Schmid. Mittlerweile dürfte es mit der Freundschaft nicht mehr
       weit her sein, hat doch Schmid vor der WKStA umfassend ausgesagt und um
       Kronzeugenstatus angesucht. Vor Gericht werden die beiden wohl zum ersten
       Mal seit langem aufeinandertreffen. Es bleibt spannend.
       
       21 Oct 2023
       
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