# taz.de -- Keine Handbreit auch in Europa?: Hochmut vor dem Fall der Brandmauer
       
       > Empörung über Thüringen, Achselzucken angesichts der
       > EU-Migrationspolitik. Wie war das noch mal mit den Werten und der
       > Abgrenzung nach ganz rechts?
       
 (IMG) Bild: „All in all it's just another Riss in the wall“
       
       Die Empörung über den vermeintlichen Fall der Brandmauer in Thüringen hält
       an. Und sie ist ja auch berechtigt. Natürlich ist es hochproblematisch,
       dass die CDU erstmals in einem Landtag ein Gesetz mit Hilfe der AfD
       durchgebracht hat – und das nicht aus Versehen, sondern bei vollem
       Bewusstsein der Tragweite und offenbar mit voller Absicht.
       
       Es war vor der Abstimmung am vergangenen Donnerstag in Erfurt klar, dass
       die rechtsextreme Höcke-Fraktion den Antrag der CDU auf eine Senkung der
       Grunderwerbsteuer unterstützen würde, und nicht nur [1][SPD-Chefin Saskia
       Esken fragt sich], ob das Bekenntnis der Union gegen eine Zusammenarbeit
       mit der AfD wirklich weiter gilt: „Wie viel ist das Wort von Friedrich Merz
       in der CDU noch wert, und wo bleibt der Aufschrei innerhalb der Union?“
       
       Der bleibt weitgehend aus, wenn man von Schleswig-Holsteins
       Ministerpräsidenten Daniel Günther absieht, der sich weiter als liberales
       Gewissen der Union zu profilieren versucht und sachte auf Distanz zu Merz
       und den Thüringer ParteifreundInnen geht. Aber nicht nur die Union hat
       jetzt ein Problem. Auch die laute Empörung von SPD und Grünen hinterlässt
       einen schalen Nachgeschmack.
       
       Denn so ganz genau können auch die linken Merz-KritikerInnen die viel
       zitierte Brandmauer gegen rechts nicht definieren. Fängt sie erst bei
       Koalitionen an oder beginnt sie schon bei Abstimmungen, erst im Landtag
       oder schon in den Kommunen? Dann kann auch bei SPD und Grünen das Gewissen
       nicht ganz so porentief rein sein, wie sie jetzt tun. Sie haben zwar noch
       kein Gesetz mit der AfD beschlossen, aber deren Zustimmung bei
       Verfahrensfragen, etwa über einen Untersuchungsausschuss, in Kauf genommen.
       Der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow hat sogar einen
       AfD-Landtagsvizepräsidenten aktiv mitgewählt.
       
       ## Die wackelt
       
       Immer nur auf die Union zu deuten und jeden Schritt von Friedrich Merz in
       Richtung AfD wütend anzuprangern, wird in der politischen
       Auseinandersetzung jedenfalls gewiss nicht reichen, wenn die AfD bei den
       nächsten Wahlen weiter zulegt und Mehrheiten ohne sie schwierig bis
       unmöglich werden. Aus Prinzip und konsequent alles und auf jeder Ebene zu
       unterlassen, auch Sinnvolles, wenn die AfD zustimmt, lässt sich nicht allen
       WählerInnen mit Erfolg erklären.
       
       Noch komplizierter als das künftige Abstimmungsverhalten wird es für die
       Ampelparteien aber, eine inhaltliche Brandmauer gegen rechts zu ziehen. Die
       wackelt ja nicht nur in Thüringen. Auf EU-Ebene ist sie schon längst
       gefallen. Während die deutschen Parteien weiter hingebungsvoll über die
       Vorgänge in Erfurt streiten, arbeitet EU-Kommissionspräsidentin Ursula von
       der Leyen (CDU) nicht erst seit diesem Wochenende demonstrativ
       freundschaftlich mit der postfaschistischen italienischen
       Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zusammen. [2][In Lampedusa stellte von
       der Leyen] jetzt weitere Hilfe für Italien bei der Abwehr von Geflüchteten
       in Aussicht – möglicherweise sogar mithilfe der Marine. Dazu hört man von
       SPD und Grünen auffallend wenig.
       
       Dafür hört man auch von Innenministerin Nancy Faeser immer öfter eigene
       Abschiebungsideen und ihren „Stolz“ auf die jüngsten EU-Beschlüsse zur
       verstärkten Abwehr von MigrantInnen schon an den EU-Außengrenzen.
       
       Die Ratlosigkeit und Angst der Ampel ist angesichts der steigenden Zahl von
       Geflüchteten und der steigenden AfD-Umfragezahlen parteitaktisch
       verständlich. Aber der moralische Hochmut, mit dem SPD und Grüne die
       rechten Taktiken der Union kommentieren, passt nicht mehr zur eigenen
       Politik und wirkt zunehmend scheinheilig.
       
       18 Sep 2023
       
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 (DIR) [2] /EU-Kommissionspraesidentin-auf-Lampedusa/!5960672
       
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