# taz.de -- G20-Gipfel in Indien: Faule Kompromisse
       
       > Das Interesse an Indien als wirtschaftlichem Partner ist im Westen sehr
       > groß. Dass dort Frauenrechte und Demokratie verletzt werden, nimmt man
       > hin.
       
 (IMG) Bild: Premier Modi, hier mit seinen Ministern, erwartet viele Regierungschefs zum G-20 Gipfel
       
       Seit Anfang Mai sind im nordostindischen Unionsstaat Manipur Frauen nackt
       vorgeführt und vergewaltigt, Kinder erschossen sowie Häuser und Kirchen
       niedergebrannt worden. Angehörige zweier ethnischer Minderheiten sind mit
       Waffen aus staatlichen Beständen aufeinander losgegangen, doch Indiens
       Premierminister Narendra [1][Modi stattete derweil lieber den USA],
       Ägypten, Australien und anderen Ländern Staatsbesuche ab.
       
       Zwischendurch besuchten auch Staatsführer, Regierungschefs und Minister aus
       den USA, Deutschland, Japan und anderen Ländern Modi in Neu-Delhi. Doch
       waren bei den Gesprächen mit ihm die Unruhen, Menschenrechtsverletzungen
       oder Probleme von Frauen und Minderheiten kein ernsthaftes Thema. Die
       Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer
       werden am 9. und 10. September zum [2][G20-Gipfel in Neu-Delhi] erwartet.
       
       Zu den Gästen werden Bundeskanzler Olaf Scholz, US-Präsident Joe Biden, der
       britische Premier Rishi Sunak und Frankreichs Premierminister Emmanuel
       Macron gehören. Womöglich wird auch der russische Präsident Wladimir Putin
       kommen, gegen den ein [3][Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs
       (IStGH)] in Den Haag wegen Kriegsverbrechen vorliegt und der deshalb bisher
       andere Gipfel gemieden hat.
       
       Da Indien aber den IStGH nicht anerkennt, droht Putin in Indien technisch
       gesehen keine Festnahme. Er könnte sich in Neu-Delhi erstmals seit Beginn
       des Krieges in der Ukraine den Staats- und Regierungschefs, die seine
       Politik ablehnen, persönlich entgegenstellen. Die Russland-Frage zeigt
       einen Bruch zwischen Europa, Amerika und dem indischen Subkontinent. Seit
       Beginn des Krieges sieht der Westen Indiens Haltung zu Moskau kritisch.
       
       ## Weiter Geschäfte mit Russland
       
       Indien setzt die Geschäfte mit Russland fort, kauft dort günstig Öl und
       sieht von einer Verurteilung des russischen Angriffskrieges in der Ukraine
       ab. Damit enttäuscht Indien die Erwartungen des Westens. Ist das der Grund,
       warum der Westen das fortdauernde Unrecht gegenüber Indiens Minderheiten
       ignoriert? Haben sich die Staats- und Regierungschefs dafür entschieden,
       die Beziehungen zu pflegen, ohne sich dabei über die Politik des Hasses in
       Indien besorgt zu zeigen?
       
       Im Juni sprach [4][US-Präsident Biden mit Modi] bei einem Dinner über
       Rüstungsgeschäfte, Militärtechnologie und demokratische Werte. Als
       Bundeskanzler Scholz im Februar Indien besuchte, erörterten die
       Regierungschefs unter anderem Fragen der Beschäftigung, der Technologie,
       der Zusammenarbeit im Bereich grüner Energie sowie Handels- und
       Wirtschaftsthemen. Fast alle Besucher sind von Indiens technologischen
       Fähigkeiten so begeistert wie von seinen zahlreichen jungen und
       qualifizierten Arbeitskräften.
       
       Sie sollen helfen, westliche Volkswirtschaften am Laufen zu halten. Doch
       mit dem Import von Humanressourcen importiert der Westen auch eine
       Gesellschaft. Es ist zu bezweifeln, dass deren eigene Themen in der Heimat
       zurückbleiben in einer Zeit, wenn die Migration diese unvermeidlich in
       andere Teile der Welt verbreitet. So wehte am 15. August dieses Jahres, dem
       indischen Unabhängigkeitstag, in den USA die Flagge der rechten
       hindunationalisten Organisation Bajrang Dal.
       
       ## Gewalt gegen Muslime und Christen
       
       Dazu wurden religiöse Slogans skandiert. Bajrang Dal wird seit 2018 vom
       US-Geheimdienst CIA als militante religiöse Gruppe eingestuft. Ihre
       Mitglieder greifen in Indien muslimische Unternehmen und Geschäfte an,
       brennen Moscheen und Kirchen nieder und verbreiten Hass, ohne dass sie
       Konsequenzen von der Polizei oder der hindunationalistischen Regierung zu
       befürchten haben.
       
       Die anhaltende Gewalt in Indien vergleichen einige schon mit der Nazizeit
       in Deutschland, als einer bestimmten Gemeinschaft erlaubt wird, das Land
       auf Kosten anderer in eine bestimmte Richtung zu lenken. Minderheiten
       werden ins Visier genommen, Hassreden zugelassen, Vorschriften geändert und
       manipuliert und der Rechtsstaat und die Verfassung umgangen.
       
       Indien hat nicht nur mit kommunaler und religiöser Gewalt zu kämpfen. Die
       Inflation ist auf einem Rekordhoch. Das Land kämpft noch immer damit, zu
       der wirtschaftlichen Stabilität aus der Zeit vor der Coronapandemie
       zurückzukehren. Auch die [5][Pressefreiheit ist auf einem historischen
       Tief]. Zugleich weichen neue Gesetze Umweltvorschriften auf und beschneiden
       die Rechte indigener Völker.
       
       Doch der Westen, der sich rühmt für seine Förderung von Demokratie und
       Klimagerechtigkeit, hat es bisher versäumt, die Ungerechtigkeiten in Indien
       anzusprechen. So scheint es, dass das Einzige, was den Osten und den Westen
       näher bringt, entweder die Wirtschaft oder China ist. In dem Bestreben,
       einen Ersatz für China zu finden, weist der Westen lautstark und auf
       Indiens strategische Bedeutung in der globalen Politik und Wirtschaft hin.
       
       Wenn der Westen jedoch nicht gegen die dortige kommunale Gewalt, gegen die
       Förderung religiöser und hasserfüllter undemokratischer Politik Stellung
       bezieht, könnte ihm dies mehr schaden als nützen. Bisher gab es auch kaum
       ein Wort des Mitgefühls oder der Besorgnis seitens der mächtigen Nationen,
       um die Rechte von Frauen und Minderheiten in Indien zu verteidigen und die
       Verfassung in der größten Demokratie der Welt zu wahren.
       
       Ignoriert der Westen auch beim G20-Gipfel weiterhin die [6][Realitäten in
       Indien], stellen sich zwei Fragen: Kümmert sich der Westen wirklich um die
       Menschen, die Demokratie und die Menschenrechte, oder zieht er Business as
       usual vor? Und: Kann sich der Westen, der mit Indiens Hilfe seinen Bedarf
       an Arbeitskräften, wirtschaftlichem Wachstum und technologischem
       Fortschritt decken will, vor Ideen schützen, die Indiens Souveränität,
       Brüderlichkeit, Freiheit und Gleichheit bedrohen?
       
       31 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Umstrittener-Staatsbesuch-in-den-USA/!5942674
 (DIR) [2] /G20-Entwicklungsministerinnen-in-Indien/!5937476
 (DIR) [3] /Internationaler-Strafgerichtshof/!5922646
 (DIR) [4] https://www.whitehouse.gov/briefing-room/statements-releases/2023/06/22/white-house-releases-state-dinner-guest-list-2/
 (DIR) [5] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/indien
 (DIR) [6] /Sexualisierte-Gewalt-in-Indien/!5948797
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Monika Mondal
       
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