# taz.de -- Esso-Häuser an der Reeperbahn in Hamburg: Die Brache auf dem Kiez
       
       > Nach dem Abriss der Esso-Häuser an der Reeperbahn rangen
       > Anwohner:innen dem Investor Zugeständnisse ab. Nun steht alles auf
       > der Kippe.
       
 (IMG) Bild: Wo einst die Esso-Häuser standen, wächst heute Unkraut
       
       Hamburg taz | Das Gestrüpp auf der Brachfläche ragt mittlerweile schon über
       den zweieinhalb Meter hohen Bretterzaun. Der verhindert neugierige Blicke
       auf das [1][rund 6.100 Quadratmeter große Grundstück mitten in Hamburg-St.
       Pauli.] Lisa Zander schließt die kleine weiße Holzhütte auf, die nebenan am
       Spielbudenplatz auf dem Gehweg steht. Ein paar Stühle stehen drin und
       Pappkisten – und an der hinteren Wand der Hütte finden sich auf zwei Metern
       Dutzende von Aktenordnern in einer Hängeregistratur. „Das ist das gesamte
       Archiv der Planbude“, sagt Zander, die zum festen Team dieser
       Stadtteilinitiative gehört. Tausende ausgefüllte Fragebögen von
       Anwohner:innen sind da drin, Architekturzeichnungen, Konzepte für die
       Raumaufteilung des Gebäudekomplexes, das schon längst nebenan auf der
       Brachfläche gebaut sein sollte.
       
       Seit Jahren warten Zander und die anderen Mitglieder der Planbude vergebens
       darauf, dass die Eigentümerin, die Bayerische Hausbau, endlich damit
       beginnt, das Grundstück, auf dem bis vor knapp zehn Jahren die legendären
       Esso-Häuser standen, wie besprochen zu bebauen. Anfang August wurde dann
       bekannt, dass die Bayerische Hausbau Gespräche über einen Verkauf des
       Grundstücks führt. Damit droht ein international beachtetes Projekt
       vorbildlicher Stadtentwicklung, das eine intensive Beteiligung der
       Anwohner:innen an einem privaten Bauprojekt durchsetzte, zu zerplatzen.
       
       Dass für den Nachfolgebau der Esso-Häuser ein Kompromiss gefunden wurde,
       der für den immer noch armen Stadtteil und seine vielfältige
       Alternativkultur annehmbar war, lag an der Arbeit der Planbude. „Die
       Planbude ist in erster Linie als Prozess zu verstehen, um frühzeitig das
       Alltagswissen von Anwohner:innen und Besucher:innen auf St. Pauli
       in die Gestaltung der neuen Bebauung einfließen lassen zu können“, sagt
       Zander.
       
       Die Eigentümerin sollte nicht einfach ihren Plan eines renditeträchtigen
       Neubaus mit vielen hochpreisigen Eigentumswohnungen und gehobenen
       Gewerbeflächen samt schickem Hotel verwirklichen. „In der Planbude sind
       Stadtplaner:innen, Architekt:innen, Sozialarbeiter:innen,
       Künstler:innen und Kulturwissenschaftler:innen zusammengekommen“,
       sagt die Architektin Zander. Sie übersetzten die Wünsche und Forderungen
       der St. Paulianer:innen in ein Baukonzept, auf das die Eigentümerin
       Rücksicht nehmen musste.
       
       Dass ein privates Immobilienunternehmen nicht umhinkam, diese Belange zu
       berücksichtigen, schien die Bayerische Hausbau selbst lange Zeit nicht
       glauben zu können. Und sie hätte wohl auch keine Rücksicht bei einem Neubau
       nehmen müssen, wäre es 2013 nicht zu einem Vorfall mit weitreichenden
       Folgen gekommen: Es waren nur noch wenige Tage bis Weihnachten, als einige
       Mieter:innen in den Wohnungen der Esso-Häuser Erschütterungen
       wahrnahmen. Im Keller, im Musikclub Molotow, hatte gerade noch die Band
       Madsen ein Konzert gespielt, ehe der gesamte Gebäudekomplex von der Polizei
       wegen akuter Einsturzgefahr geräumt wurde. Ein Großteil der 91 gemeldeten
       Bewohner verbrachte die Feiertage im Hotel, das Molotow, die
       [2][namensgebende und bundesweit bekannte Esso-Tankstelle] und weitere
       Kleingeschäfte mussten schließen.
       
       ## Abriss war angekündigt
       
       Die Empörung bei den Betroffenen wie bei
       Gentrifizierungsgegner:innen war groß, zumal diese auf die
       Bayerische Hausbau sowieso schlecht zu sprechen waren. Als die Hausbau vier
       Jahre zuvor die Immobilie für geschätzte 19 Millionen Euro kaufte, hatte
       sie unmissverständlich klargemacht, sich zügig an den Abriss der Gebäude
       machen zu wollen. Reparaturen oder gar Sanierungen wurden nicht mehr
       vorgenommen, zwischenzeitlich waren bereits einige Balkone wegen
       Einsturzgefahr abgesperrt und weithin sichtbar mit Stützbalken notdürftig
       gesichert worden. Die Wohnungen des anspruchslosen 60er-Jahre-Baus waren
       zwar in keinem guten Zustand, aber immerhin noch günstig.
       
       Die Esso-Häuser wurden zum Symbol des Ausverkaufs der Stadt an
       Immobilieninvestoren. Weil zur selben Zeit die Räumung des besetzten
       Kulturzentrums Rote Flora befürchtet wurde und die Lampedusa-Gruppe –
       Geflüchtete, die nach dem Libyen-Krieg über Italien nach Hamburg kamen – um
       ein Bleiberecht kämpfte, kam es sechs Tage nach der Räumung der Esso-Häuser
       zu einer Großdemonstration: Rote Flora, Geflüchtete, Esso-Häuser – alle
       sollten bleiben, meinten die rund 7.500 Demonstrant:innen.
       
       Kaum war die Demonstration gestartet, knallte es zwischen Autonomen und der
       Polizei. Auch in den darauffolgenden Tagen kam es immer wieder zu einzelnen
       Ausschreitungen und Demonstrationen vor den Esso-Häuser-Ruinen. Politik und
       Polizei reagierten harsch und erklärten mehrere Stadtteile zu sogenannten
       Gefahrengebieten, in denen Bürgerrechte ausgesetzt wurden.
       
       Nach der Räumung waren die Esso-Häuser jedoch wegen der festgestellten
       Einsturzgefahr nicht mehr zu retten, im Frühjahr 2014 rückten die
       Abrissbagger an. „In diesem Frühjahr gab es eine Stadtteilversammlung, die
       zu dem Schluss kam: Es reicht, wir müssen etwas gegen dies Gentrifizierung
       unternehmen“, sagt Zander, und blickt von den Holzbrettern, die die
       Brachfläche umgeben, rüber zu den Tanzenden Türmen, zwei gläserne Büro- und
       Hotelhochhäuser, die am östlichen Eingang zur Reeperbahn nur einige
       Schritte entfernt stehen. „Die waren damals ja gerade erst gegen den Willen
       vieler Anwohner:innen fertiggestellt worden“, sagt Zander. Wenn
       neugebaut werden müsse, dann wollte das Viertel eben auch mitplanen.
       
       Eine Initiative von Bewohner:innen und Nachbar:innen hatte sich
       schon gegründet, um einen festen Kern von acht Leuten bildete sich
       daraufhin die Planbude. „Wir bekamen vom Bezirksamt dann den Auftrag, das
       sogenannte vorgezogene Beteiligungsverfahren durchzuführen“, sagt Zander.
       Die Planbude nahm den Auftrag umfassend an, verteilte Fragebögen in
       mehreren Sprachen, diskutierte mit Klassen der umliegenden Schulen, führte
       Haustürgespräche in der Nachbarschaft. Der Container am Spielbudenplatz
       hatte fünf Tage die Woche geöffnet, sodass auch Passant:innen Ideen und
       Wünsche einbringen konnten.
       
       Mit den Ergebnissen aus dieser von der Planbude betitelten
       „Wunschproduktion“ ging es anschließend in die Verhandlungen mit dem
       Bezirksamt und dem Eigentümer, [3][der weitreichende Zugeständnisse machen
       musste]. 60 Prozent der insgesamt 200 Neubauwohnungen sollten öffentlich
       gefördert werden, Eigentumswohnungen tabu sein.
       
       Hinzu kamen den Plänen nach ein öffentlicher Platz auf dem Dach und eine
       Stadtteilkantine. Auch der Musikclub Molotow sowie stadtteiltypisches
       Kleingewerbe sollten wieder Räume bekommen. Mitte 2018, das Projekt trug
       inzwischen den Namen „[4][Palomaviertel]“, schienen die meisten der noch
       offenen Fragen geklärt zu sein. Selbst die Bayerische Hausbau erkannte,
       dass sie mit diesem Beteiligungsverfahren für sich werben kann. „Wir haben
       uns schon gefragt, wo wohl als Erstes ein Kran stehen wird“, sagt Zander.
       
       ## Bezirksamt wundert sich
       
       Doch dann passierte lange Zeit: nichts. Zwischendurch gab es in den
       vergangenen Jahren zwar Hinweise der Bayerischen Hausbau, dass vor
       Baubeginn noch einzelne Sachfragen, etwa hinsichtlich des Lärmschutzes zu
       klären sein. Doch seit rund zwei Jahren wundert sich auch schon das
       zuständige Bezirksamt, warum das Unternehmen immer noch keinen Bauantrag
       eingereicht hat.
       
       Anfang August dann gab überraschend das städtische Wohnungsunternehmen Saga
       bekannt, dass ihm das Grundstück zum Kauf angeboten worden sei und es nun
       „ein mögliches Engagement unter der Maßgabe der Realisierung öffentlich
       geförderten Wohnungsbaus“ prüfe. Die Bayerische Hausbau bestätigt indirekt,
       dass es den Bau nicht mehr umsetzen will. „Aufgrund der veränderten
       Rahmenbedingungen in der Immobilienwirtschaft, die sich weiter zugespitzt
       haben, suchen wir nach einer Lösung für die Zukunft des Paloma-Viertels“,
       sagt eine Sprecherin.
       
       [5][Der ausgehandelte Kompromiss steht damit auf der Kippe,] selbst wenn
       das Grundstück in die städtischen Hände der Saga fällt. Als städtisches
       Wohnungsunternehmen würde es schließlich kaum zur Gegenfinanzierung der
       sozialorientierten Baubereiche ein renditeträchtiges Hotel erbauen, wie es
       die Bayerische Hausbau vorhatte. Und die Saga selbst spricht in ihrem
       Statement explizit nur davon, einen Kauf hinsichtlich des Wohnungsbaus zu
       prüfen.
       
       „Die Bayerische Hausbau sollte zu ihren Zusagen stehen“, fordert deshalb
       Zander. Und die Politik müsse das Unternehmen dazu drängen, hier entweder
       zügig zu bauen oder das Grundstück an die Stadt abzugeben, fordert auch die
       Anwohner:innen-Initiative. Ein Verkauf könnte allerdings einen faden
       Beigeschmack bekommen: Der Wert des Grundstücks dürfte im Laufe der vielen
       Jahre massiv gestiegen sein, das Unternehmen also dann auch noch fürs
       Nichtstun belohnt werden.
       
       Die weiße Holzhütte ist nach den Jahren des Stillstands schon jetzt von
       außen verwittert. Auch Zander glaubt, dass sie wohl noch länger als
       erwartet dort stehen bleiben muss, ehe die darin archivierten Ideen mit dem
       Baubeginn endlich umgesetzt werden – falls die [6][Planbuden-Gruppe] sie
       bei einer kompletten Neuplanung nicht ohnehin erneut herauskramen muss.
       Bis es so weit ist, werden die Sträucher hinter den Holzplatten ungestört
       weiter wachsen.
       
       26 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Geplatztes-Bauprojekt-in-Hamburg/!5950046
 (DIR) [2] https://reeperbahn.com/esso-tankstelle-reeperbahn/#/
 (DIR) [3] /Neubebauung-an-der-Reeperbahn/!5232485
 (DIR) [4] https://www.property-magazine.de/aus-dem-esso-haeuser-areal-wird-das-paloma-viertel-81583.html
 (DIR) [5] /Investor-Rueckzug-aus-dem-Paloma-Projekt/!5950047
 (DIR) [6] https://planbude.de/
       
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