# taz.de -- Lenin-Statue in Berlin: Bloß nicht den Kopf verlieren
       
       > Nach der Wiedervereinigung wurde in Berlin die Lenin-Statue abmontiert.
       > 24 Jahre lag der tonnenschwere Kopf am Stadtrand – und wurde fast
       > vergessen.
       
 (IMG) Bild: Da war es geschehen: Nach dem Abriss des Lenindenkmals in Berlin-Friedrichshain im Herbst 1991
       
       Berlin taz | Wer das [1][Proviantmagazin der Zitadelle in Berlin-Spandau]
       besucht, kann ihn nur schwer übersehen: Auf der rechten Seite liegend, so
       als ob er schlafen würde, liegt der steinerne Kopf Lenins zwischen fertigen
       und unfertigen Statuen und Symbolen des Deutschen Kaiserreichs, der
       Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der DDR. Doch wie kommt
       Wladimir Iljitsch Lenin, dessen Todestag sich 2024 zum 100. Mal jährt,
       überhaupt in den Westen? Und was hätte er dazu gesagt, dass sein Kopf nun
       beim „Klassenfeind“ liegt?
       
       Als im Februar 2022 Russland die Ukraine angriff, wurden in vielen Ländern
       des ehemaligen Warschauer Paktes aus Protest die letzten verbliebenen
       Statuen des Gründers der Sowjetunion [2][entfernt]. Fast vergessen ist,
       dass in Berlin einst die größte Lenin-Statue der DDR stand. Wer am heutigen
       Platz der Vereinten Nationen nach Spuren sucht, findet keine Hinweise mehr
       darauf, dass dort, wo heute ein unscheinbarer Brunnen aus Granitblöcken
       steht und der Großstadtverkehr über eine vielbefahrene Kreuzung
       vorbeirauscht, bis kurz nach der Wiedervereinigung eine 19 Meter hohe
       Statue des Sowjetführers das Stadtbild dominierte.
       
       Am 19. April 1970, zu Lenins 100. Geburtstag, wird die Statue und die
       dahinterliegenden Wohnhäuser feierlich durch Staatschef Walter Ulbricht
       [3][eingeweiht]. 200.000 Berliner:innen sowie Gäste aus der DDR und dem
       sozialistischen Ausland sind anwesend.
       
       Es ist nicht die einzige Statue Lenins, die anlässlich des wichtigen
       Jubiläums in der DDR enthüllt wird, aber es ist eine Enthüllung mit
       Prestigecharakter – nicht nur, weil Lenin die ideologische Ausrichtung des
       Landes, den Marxismus-Leninismus, repräsentiert, sondern auch weil die
       Statue ein Symbol für die deutsch-sowjetische Freundschaft ist.
       
       ## Mit sozialistischem Pathos
       
       Das Standbild ist der krönende Abschluss eines größeren städtebaulichen
       Konzepts, das 1965 mit dem Bau des Fernsehturms begonnen hat und sich in
       den folgenden Jahren vom Alexanderplatz über die Fischerinsel bis hinein
       nach Friedrichshain erstreckt.
       
       Im Archiv des Filmmuseums Potsdam lagern mehrere Amateurfilme über diese
       architektonische Neugestaltung Ost-Berlins durch das Wohnungsbaukombinat
       Berlin – damals das größte der DDR. Neben bis vor Kurzem unbekannten
       Aufnahmen, die die Arbeiten am Kopf der Lenin-Statue und den Bildhauer
       Nikolai Wassiljewitsch Tomski bei der Begutachtung der Statue zeigen,
       dokumentieren Filme der Amateurfilmgruppe des Wohnungsbaukombinats die
       verschiedenen Phasen der Bauarbeiten.
       
       Einer davon ist der 16-mm-Film „[4][Leninplatz und der sozialistische
       Wettbewerb]“ von 1970. In Schwarz-Weiß-Bildern und mit sozialistischem
       Pathos präsentiert er die Arbeiten am Prestigeprojekt Leninplatz. Er zeigt
       die Grundsteinlegung durch Ulbricht am 7. November 1968, deutsche und
       sowjetische Bauarbeiterbrigaden, die zusammen gegen Wind und Wetter um den
       Titel „Kollektiv der deutsch-sowjetischen Freundschaft“ ringen, und
       Arbeiter:innen aus anderen Betrieben, die, ermutigt durch die
       Strahlkraft des Bauvorhabens, den Kolleg:innen in Berlin aus allen
       Teilen der Republik zu Hilfe eilen.
       
       ## Good Bye, Lenin!
       
       Sogar junge Pionier:innen und freiwillige Helfer:innen aus Berlin und
       sozialistischen Bruderstaaten helfen mit ihrem Subbotnik, ihrem
       „freiwilligen“ Arbeitseinsatz, dass die Statue pünktlich fertig wird. Die
       Zeitung Neues Deutschland berichtet neun Tage vor der Einweihung in einem
       großen Artikel von den nächtlichen Bauarbeiten und das Staatsfernsehen
       bringt mit seiner Dokumentation „Kennen Sie Kurt B …?„ ein Porträt über
       Kurt Bromberg, den Chefbrigadier der Bauarbeiter am Leninplatz.
       
       Nach der Fertigstellung dominiert die Statue aus dunklem Sandstein lange
       das Stadtbild Ost-Berlins und wird in den folgenden Jahren zu einer
       Pilgerstätte für die zahlreichen politischen Gruppen in der DDR, die
       anlässlich des Geburtstags Lenins jedes Jahr Blumen zu seinen Füßen
       niederlegen. Im Jahr ihrer Einweihung ziert das Bild der Statue sogar eine
       70-Pfennig-Briefmarke der DDR.
       
       Trotz dieses Ruhmes beginnt mit dem Ende der DDR auch das Ende der Statue.
       In dem Film „[5][Good Bye, Lenin!]“ von 2003 schwebt die halbe Lenin-Statue
       virtuell durch Berlin, doch tatsächlich sind ihre Stunden bereits viel
       früher, kurz nach der Wiedervereinigung, gezählt.
       
       ## Ein Relikt aus vergangener Ära
       
       Am Morgen des 8. November 1991, die DDR ist seit etwas mehr als einem Jahr
       Geschichte und die Lenin-Statue wird zunehmend als Relikt einer vergangenen
       Ära betrachtet, thront der 19 Meter hohe Lenin ein letztes Mal auf seinem
       26 Meter breiten Sockel aus rotem Granit.
       
       Wenige Wochen zuvor hat die Bezirksverordnetenversammlung
       Berlin-Friedrichshain mit 40 zu 33 Stimmen dem Antrag von CDU und SPD
       zugestimmt, das Denkmal zu demontieren und den Leninplatz umzubenennen. Und
       das, obwohl die Statue seit 1979 auf der Denkmalliste der DDR und seit 1990
       auf der Gesamtberliner Denkmalliste steht und viele Bürger:innen und
       Fachleute sich für den Erhalt der Statue ausgesprochen haben.
       
       Anders als für seinen Genossen Ernst Thälmann, der bis heute im
       benachbarten Bezirk Prenzlauer Berg an der Greifswalder Straße seine
       geballte Faust gen Himmel strecken darf, ist damit das Schicksal des
       Friedrichshainer Lenins besiegelt. Die Statue wird in 129 Teile zerteilt
       und auch die zahlreichen Protestaktionen können nicht verhindern, dass am
       13. November der 3,5 Tonnen schwere Kopf des Sowjetführers in einer fast
       schon demonstrativen Aktion abmontiert wird.
       
       ## Bewahren, aber irgendwie auch vergessen
       
       Wie schon der echte Lenin wird der Berliner Lenin im Anschluss ins Exil
       geschickt, von der Mitte der Stadt an den südöstlichen Rand, wo der Kopf,
       die restlichen Teile der Statue und damit ein Kapitel ostdeutscher
       Geschichte im Köpenicker Forst vergraben werden, um in Vergessenheit zu
       geraten.
       
       Doch Lenin ist nicht vergessen. Im Jahr 1996 macht sich die Hauptfigur in
       Rick Minnichs Kurzfilm „[6][The Book of Lenin]“ auf die Suche nach den
       letzten verbliebenen Lenin-Statuen im ehemaligen Ostblock, darunter auch
       den Berliner Lenin, dessen Existenz auf viele wie eine Art Mythos wirkt.
       Nach einiger Suche finden er und seine Mitstreiter:innen den Standort
       des Kopfes und graben ihn mit einfachen Schaufeln und Spitzhacken aus.
       
       Es dauert noch fast zehn Jahre, bis der Kopf Lenins eine neue Heimat
       findet. Erst im Jahr 2015 wird er [7][geborgen und auf eine weitere, letzte
       Reise geschickt]. Ein Lastwagen bringt ihn von seinem Versteck durch den
       Stadtverkehr vom Köpenicker Forst ans andere, westliche Ende der Stadt,
       nach Spandau.
       
       Dort liegt er nun in der kulturhistorischen Dauerausstellung „Enthüllt.
       Berlin und seine Denkmäler“, neben Männern in germanischen Rüstungen,
       ehemaligen preußischen Generälen und Kaisern sowie den überlebensgroßen
       Pferden von Josef Thorak, die für Hitlers Reichskanzlei gedacht waren –
       kurz, neben all den Statuen und Objekten, die die ideologische Ausrichtung
       vergangener Regime verkörpern und aus historischer Sicht zwar bewahrt, aber
       irgendwie auch vergessen werden sollten.
       
       ## Radikales Vergessenwollen
       
       Der schnelle Abriss der Lenin-Statue kurz nach der Wiedervereinigung ist
       ein symbolischer Akt, der das Ende einer politischen, ideologischen und
       historischen Ära markiert. Zugleich steht das Vergraben und Abschieben der
       Statue für ein radikales Vergessen und Nicht-auseinandersetzen-Wollen mit
       der eigenen deutsch-deutschen Vergangenheit.
       
       Dass der Kopf in Spandau immer noch schlafend auf der Seite liegt, so wie
       sie ihn gefunden haben, und der Rest von Lenin noch im Wald schlummert,
       zeigt aber auch, dass man die Geister der Vergangenheit nicht zu sehr
       beschwören will. Gefallene Denkmäler wieder aufzurichten, ginge vielleicht
       doch zu weit.
       
       Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Kopf Lenins am Ende im
       Westen gelandet ist und nun zu den zentralen und vor allem bekanntesten
       Stücken in Spandau gehört – auf der Website der Zitadelle kann er sogar als
       [8][3-D-Modell] bewundert werden.
       
       24 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.zitadelle-berlin.de/zitadelle-info/gelandeplan/proviantmagazin/
 (DIR) [2] https://www.dw.com/de/litauen-st%C3%BCrzt-letzte-sowjetische-denkm%C3%A4ler/a-62982444
 (DIR) [3] https://www.rbb-online.de/berlin-schicksalsjahre/themen/1970/sozialistische-metropole.html
 (DIR) [4] https://brandenburg.museum-digital.de/object/3134
 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=bznjeEx98uM
 (DIR) [6] https://thebookoflenins.vhx.tv/
 (DIR) [7] /Ausgebuddeltes-Denkmal-in-Berlin/!5229071
 (DIR) [8] https://sketchfab.com/3d-models/kopf-des-lenin-denkmals-9003d1201c584a1cb4506e2a071f6bb1
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dennis Basaldella
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Lenin
 (DIR) Denkmal
 (DIR) Statue
 (DIR) Sowjetunion
 (DIR) DDR
 (DIR) Fernsehturm
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) DDR
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Denkmalschutz
 (DIR) Kolumne Immer bereit
 (DIR) PKK
 (DIR) DDR
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Bar im Fernsehturm neueröffnet: Drinks und unerwartete Gespräche
       
       Zur Neueröffnung der Bar im Berliner Fernsehturm sind neben Promis auch
       Menschen eingeladen, die die Stadt bewegen. Ein Barabend der anderen Art.
       
 (DIR) Denkmalstreit in Jena: Vom Sockel stoßen
       
       Was tun mit Philosoph und Judenfeind Jakob Friedrich Fries? Jena, eine
       Stadt mit vielen Denkmälern, ringt um den Umgang mit problematischen
       Geehrten.
       
 (DIR) Grenzmuseum Lübeck-Schlutup: Vom Alltag der Trennung
       
       Ein Verein betreibt die Grenzdokumentations-Stätte Lübeck-Schlutup. Er will
       zeigen, was die deutsch-deutsche Grenze für die Menschen bedeutete.
       
 (DIR) Russlands Blick auf die Geschichte: Aus Putins Lehrbüchern
       
       Der historische 23. August: Warum wird der Hitler-Stalin-Pakt in Russland
       immer noch oder wieder gefeiert? Ein Blick in die Geschichtsbücher.
       
 (DIR) DDR-Hinterlassenschaften und Denkmalschutz: Was tun?
       
       Experten debattieren auf der Tagung „Kommunismus unter Denkmalschutz?“ über
       den Umgang mit dem sozialistischen Erbe.
       
 (DIR) Kolumne Immer bereit: Tanja lernte schnell und passte sich an
       
       Lenin ist wieder da. Zumindest sein Schädel aus Granit.
       
 (DIR) Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
       
       Der Berliner Leninkopf als Übungsgeschenk für den IS , das Helmut-
       Schmidt-immun-Gen – und Naledi hatte noch viel vor sich.
       
 (DIR) Ausgebuddeltes Denkmal in Berlin: Hello, Lenin!
       
       Fast ein Vierteljahrhundert war er unter dem Waldboden vergraben. Am
       Donnerstag ist der Kopf der Lenin-Statue nun auferstanden.