# taz.de -- Die Kunst der Woche: Die Tücken im Farbmeer
       
       > Farbenfroh und bedrohlich sind die nordkoreanischen Referenzen Su Mus,
       > Tolia Astakhisvili zeigt Zurückgelassenes und im Gropis Bau steht KI zur
       > Frage.
       
 (IMG) Bild: Sun Mu während seiner Residenz im Projektraum Meinblau, 2023
       
       Was verändert sich, wenn der Händedruck zwischen Kim Jong-un und Donald
       Trump, wie er 2019 auf einem Nachrichtenfoto festgehalten wurde, in ein
       Gemälde übertragen wird? Kommt mehr Pathos ins Spiel? Oder größere Distanz?
       Die Form des nicht besonders großen Gemäldes in der aktuellen Ausstellung
       des [1][Projektraums Meinblau] und sein abstrahierter Realismus in der
       Profilansicht der beiden Figuren sprechen für Letzteres. Irgendwie wirken
       die beiden wie Schablonen einer Moritatentafel. Dass über sie nichts Gutes
       zu sagen und zu singen ist, versteht sich von selbst.
       
       Das Plakative, etwas Süßliche, das die von Sun Mu gemalte Szene von der
       fotografierten unterscheidet, hat seinen Ursprung in der traditionellen
       kommunistischen Propagandamalerei, wie sie bis heute in Nordkorea gelehrt
       wird. Bewusst überzeichnet der 1972 in Nordkorea geborene Künstler diesen
       Aspekt mit einer erstaunlichen Kunstfertigkeit, die auf seine akademische
       Ausbildung als Propagandamaler zurückzuführen ist. Die große Hungersnot in
       den 1990er Jahren trieb ihn in die Flucht. Über China, Laos und Thailand
       gelangte er nach Südkorea. Sun Mu ist ein Pseudonym, es bedeutet
       „grenzenlos“ und steht für die politische Utopie grenzenloser Freiheit und
       grenzenlosen Friedens, die der Künstler in seinem Werk beschwört.
       
       Die Ausstellung in Berlin verdankt sich der einmonatigen
       Meinblau-Künstlerresidenz, die er gerade angetreten hat. Zu sehen ist ein
       farbenfrohes Werk, scheinbar voller Optimismus. Freilich hat es, schaut man
       nur genau hin, seine kritischen Tücken, etwa die Stacheldrahtgirlande, die
       sich durch bunte Blüten zieht, oder die im Bambus getarnten
       Maschinengewehre, die im Licht des Vollmonds sichtbar werden. Und es ist
       keineswegs sicher, dass diese bösen Überraschungen nur im Norden lauern,
       denn dass Freiheit und Frieden auch in Südkorea und dem Rest der
       sogenannten freien Welt nicht grenzenlos sind, hat Sun Mu längt verstanden.
       
       ## Was zurückbleibt
       
       Der erste Teil von „The First Finger“ der georgischen Künstlerin Tolia
       Astakhisvili war im Bonner Kunstverein zu sehen. Der zweite ist derzeit im
       [2][Haus am Waldsee] zu erfahren. Die Ausstellung ist ein immersives
       Kunstwerk, also eines, in das die Besucher und Besucherinnen eintauchen,
       das sie ganz und gar umfängt. Der erste Finger steht für eine
       Überlebensstrategie. Ein Körper, der extremer Kälte ausgesetzt ist, muss
       Prioritäten setzen, um sich als Ganzes zu erhalten. Er rationiert Energie
       und opfert entbehrliche Gliedmaßen wie die Finger, um den Blutfluss zu den
       wichtigsten Organen im Zentrum zu gewährleisten. Ob die titelgebende
       Metapher aufgeht?
       
       Denn was bedeuten die Umbauten, die die Künstlerin in der ehemaligen
       Fabrikantenvilla in Zehlendorf vorgenommen hat? Das ist gar nicht so leicht
       zu sagen, durchstreift man das Labyrinth aus Provisorien, Einbauten,
       Gipskarton- und Trapezblechverkleidungen im Haus, das seit fast 80 Jahren
       Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst ist. Da gibt es neue Kammern und
       blinde Fenster, die den Blick versperren. Kaputte Holzlatten und viel
       Gerümpel, das sich an den Wänden entlang stapelt, dazu Aktenordner,
       Sportgeräte und Sammlungsreste von Schiffsmodellen. Teller und Gläser
       lassen sich dann tatsächlich im Sinne des Ausstellungstitels lesen, als
       eben alles, was zurückbleibt, in der Situation des Rette-sich wer-kann.
       
       Aber dann sind die Gläser und die pinkfarbene Schwimmflosse doch sehr
       penibel im Zwischenraum der Doppelfenster platziert, die so zur Vitrine
       werden. In den Boxen aus Blech- und Gipskarton laufen Video- und
       Audioloops, in einer anderen Vitrinenkiste hat Judith Scott ein Bündel
       Holzstäbe und andere, darin versteckte Gegenstände mit Schnüren von
       zauberhaften Blau-Grün umwickelt. „Untitled o.J.“ ist ein echtes
       Ausstellungsstück, kein Rest, auf den man verzichten könnte. Auch andere
       Künstler:innen wurden eingeladen. „Untitled, 2022“ von Ser Serpas, ein
       nackter Torso, der Abdruck eines in Bonn verbliebenen Gemäldes ist, hängt
       an einer Rigipswand oder eine Zeichnung von Antonin Artaud „Untitled, ca.
       1947“.
       
       In der aufwendig inszenierten Installation meint man Ruinenästhetik zu
       erkennen, die Romantik des verfallenen Bauwerks, die Melancholie des
       verlassenen Raums, die Trübseligkeit des liegengebliebenen Schutts. Kurzum,
       das Konzept einer atmosphärischen Architektur, die die schöpferische Kraft
       der Zerstörung beschwört. Der Audioloop mit einer Art Sinfonie der
       Baustelle hinter der geschlossenen Struktur aus Trapezblech im Obergeschoß,
       setzt an diesem Punkt an. Das Hämmern, Sägen und Bohren, sei’s in Metall,
       Holz oder Stein, klingt froh und tatkräftig und verspricht ein Leben nach
       dem Trockenbau.
       
       ## Die Kraft der Zerstörung
       
       Ein sehr wirkungsvolles Mittel, einen Raum zu definieren, ihm einen
       erfrischenden Charakter und eine eigene, freundliche Aura zu verleihen, an
       das man aber nicht so ohne weiteres denkt, ist im [3][Gropius Bau] zu
       erleben.
       
       Doch bevor man damit Bekanntschaft macht, wird man im Eingangsbereich mit
       der Soundarbeit “500ft“ von Kapwani Kiwanga in die Auseinandersetzung um
       disziplinierende Architekturen hineingezogen, die im Rahmen von
       „Soundshapes – In Between Frequencies“ gezeigt wurd. 500 Fuß, so erfährt
       man im Lauf des Vortrags, sollte der Mindestabstand zwischen einheimischen
       und europäischen Vierteln sein, lautet ein Vorschlag, der 1931 in Paris auf
       der internationalen Konferenz zum kolonialen Städtebau gemacht wurde.
       
       Im ersten Stock dann hat das Programm „Ether's Bloom“ zum Ziel,
       künstlerische Erwartungen, Befürchtungen und Kritiken an den aktuellen
       Entwicklungen der KI in die Öffentlichkeit zu tragen. Die dazu eingeladenen
       Künstler:innern arbeiten zur Interaktion von Mensch und Maschine und
       nutzen dabei selbstlernende Technologien als Werkzeug oder machen sie zum
       Thema, um andere Aspekte zu beleuchten und andere Geschichten zu erzählen.
       
       Letzteres tut die nigerianisch-amerikanische Künstlerin Mimi Ọnụọha, deren
       Installation „The Cloth in the Cable“ (2022) den Raum mit einem köstlichen
       Duft erfüllt. Er kommt aus dem Kabelsalat, der auf dem Boden liegt, und den
       wir alle kennen, die wir unsere Computer, Fernseher, High-End-Boxen und
       sonst was auch immer an den Strom oder das Netz anschließen.
       
       Der unwahrscheinliche Duft und die Umstände, wie er zustande kommt, werden
       im Kurzfilm „These Networks in Our Skin“(2021) anschaulich. Um die
       Selbstverständlichkeit zu erschüttern, mit der die digitale Infrastruktur
       des Internets noch die letzten Winkel der Welt für sich in Anspruch nimmt,
       konfrontiert Ọnụọha diese hochentwickelte Technologie mit der Kosmologie
       der Igbo, eines Stammes in Nigeria. In deren Tradition greift Ala, die
       Göttin der Erde und der Unterwelt, in das menschliche Handeln ein und wird
       durch Kunstwerke und Geschenke beschworen und versöhnt.
       
       Vor diesem Hintergrund verbindet im Film eine Gruppe von Frauen die
       materielle Realität des Internets, in diesem Fall die Kabel, neu. Sie
       verweben und gestalten sie, indem sie die Kabel aufschneiden, das Innere
       herausnehmen und den leeren Raum mit Gewürzen füllen, mit Textilfasern,
       Yellow-Madras-Curry-Pfeffer oder geräuchertem Paprika, um sie dann wieder
       zusammenzunähen und zu umwickeln. Die schöpferische Kraft der Zerstörung,
       Mimi Ọnụọha hat davon wirklich Ahnung und nutzt sie, um ihr Publikum und
       die Göttin Ala mit einem großartigen Kunstwerk zu beschenken.
       
       ## JAA Award für Max Haering
       
       Und noch eine kleine Meldung: Max Haering, [4][im April dieses Jahres
       vorgestellt im Rundgang], hat den Gold Award 2023 der [5][Japan
       Illustrator’s Association] gewonnen. Die Jury zeigte sich „fasziniert von
       der Kunstfertigkeit seiner Arbeiten. Die Verwendung der traditionellen
       Schraffurtechnik ist visuell clever und meisterhaft umgesetzt. Das Design
       und die Komposition sind einfach umwerfend und nutzen den Kontrast zwischen
       organischen und geometrischen Formen auf wunderbare Weise aus.“ Die
       nominierten Beiträge werden in Peking in der Art Bridge Gallery vom 26.
       August bis 31. Oktober gezeigt.
       
       23 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.meinblau.de/de/news.html
 (DIR) [2] https://hausamwaldsee.de/
 (DIR) [3] https://www.berlinerfestspiele.de/gropius-bau
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 (DIR) [5] https://jpn-illust.com/compe/2023/02.html
       
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