# taz.de -- Strafverteidiger über Letzte Generation: „Geht um Stigma des ‚Kriminellen‘“
       
       > Rechtsanwalt Lukas Theune hält die Razzien für politisch motiviert. Die
       > Organisation stelle keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.
       
 (IMG) Bild: Razzien sollen die Aktivist:innen der Letzten Generation einschüchtern, sagt Rechtsanwalt Theune
       
       taz: Herr Theune, laut Paragraf 129 Strafgesetzbuch ist eine Vereinigung
       kriminell, „deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten
       gerichtet ist“. [1][Trifft das auf die Letzte Generation zu]?
       
       [2][Lukas Theune]: Nein, das trifft nicht zu. Die Letzte Generation hat
       sich zum Ziel gesetzt, Aufmerksamkeit für die Folgen des Klimawandels zu
       schaffen und Druck auf die Bundesregierung auszuüben, die Klimaziele, zu
       denen sie sich nach dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet hat,
       einzuhalten.
       
       Aber um dieses Ziel zu erreichen, begehen sie hauptsächlich Straftaten? 
       
       Die allermeisten Aktionen, die im Namen der Letzten Generation verübt
       werden, sind Straßenblockaden. Ob die eine Straftat sind oder nicht, lässt
       sich pauschal nicht sagen, da gilt es den Einzelfall zu prüfen. Für die
       Blockierer:innen spricht die Versammlungs- und Meinungsfreiheit und
       auch Artikel 20a des Grundgesetzes, der Schutz der natürlichen
       Lebensgrundlagen. Dagegen steht das Grundrecht jener, die an der
       Weiterfahrt gehindert sind. Das muss abgewogen werden.
       
       Bei anderen Aktionen der Letzten Generation, etwa dem Abdrehen von
       Pipelines oder Flughafenblockaden, ist die Definition der Straftat
       eindeutiger. Auch sind das Straftaten, die mit mehr als zwei Jahren
       Freiheitsstrafe bedroht sind – eine weitere Bedingung für die Ermittlung
       nach §129. 
       
       Faktisch sind fast alle Straftatbestände mit mehr als zwei Jahren
       Freiheitsstrafe bedroht, auch Nötigung. Weil der Tatbestand des Paragrafen
       129 so unfassbar weit definiert ist, hat der Gesetzgeber in der
       Gesetzesbegründung aber klargestellt, dass die Voraussetzungen für
       Ermittlungen nur dann vorliegen, wenn die Straftaten eine erhebliche Gefahr
       für die öffentliche Sicherheit bedeuten. Und das ist ganz offensichtlich
       nicht so. Die Aktionen werden mitten am Tag mit Gesicht in der Kamera
       begangen, um die Bundesregierung anzuhalten, ihrem Verfassungsauftrag
       nachzukommen. Es geht nicht darum, die Regierung zu stürzen oder Einzelne
       in ihren Grundrechten zu treffen.
       
       Wie kann es sein, dass die [3][Berliner Staatsanwaltschaft Ihre
       Argumentation teilt], man das aber in Bayern und Brandenburg offensichtlich
       anders sieht? 
       
       Die Generalstaatsanwaltschaft in Bayern stützt sich ebenso wie die in
       Brandenburg auf die symbolische Blockade von Ölpipelines. Hier wird die
       erhebliche Gefahr konstruiert, dass dadurch das Öl nicht in die Haushalte
       fließen könne. Dabei gibt es zwei Denkfehler. Erstens müsste man sagen,
       dass sich die Letzte Generation auf solche Aktionen spezialisiert hat. Das
       ist aber nicht so, es sind vereinzelte Aktionen aus dem Frühjahr
       vergangenen Jahres. Zweitens unterscheiden beide Staatsanwaltschaften nicht
       zwischen symbolischen Protest von faktisch wirkendem. Ich kenne den
       Schwedter Fall: Das führte gerade nicht dazu, dass tatsächlich die Ölzufuhr
       für die PCK Raffinerie dauerhaft gesperrt war.
       
       In den bayerischen Ermittlungen wird den Beschuldigten vor allem
       vorgeworfen, eine Spendenkampagne organisiert zu haben. Wie kann das
       strafbar sein, wenn bislang noch gar nicht festgestellt wurde, dass es sich
       um eine kriminelle Vereinigung handelt? 
       
       Die gleiche Frage habe ich mir auch zuerst gestellt. Spätestens daran, was
       Jurist:innen den subjektiven Tatbestand nennen, also den Vorsatz, wird
       das rechtlich scheitern. Wie soll jemand, der für einen Verein Geld
       sammelt, der öffentlich auftritt und von der Bundesregierung als
       Gesprächspartner angesehen wird, davon ausgehen, dass das irgendwie
       strafbar sein könnte. Das ist natürlich absurd.
       
       Der Paragraf ist politisch unterschiedlich auslegbar? 
       
       Absolut. Paragraf 129 war aufgrund seiner schwammigen Formulierung schon
       immer politisch sehr auslegbar. Bei Ermittlungsbehörden ist er so beliebt,
       weil er wahnsinnig umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht, die weit
       über das hinausgehen, was Ermittlungen etwa wegen Nötigung erlauben, etwa
       Telefonüberwachung, Hausdurchsuchung oder GPS-Peilsender. Ganz selten kommt
       es zu Anklagen oder gar Verurteilungen, aber darum geht es auch nicht. Vor
       allem geht es auch um ein Stigma des „Kriminellen“. Damit kann man sich der
       Erfordernis entziehen, sich inhaltlich mit den Positionen der Gruppe
       auseinanderzusetzen. Wer kriminell ist, ist raus aus dem Diskurs.
       
       Wieso braucht es so umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen bei einer Gruppe, die
       so transparent ist? 
       
       Der Aktionskonsens der Letzten Generation ist es, mit Namen und Gesichtern
       für das einzustehen, was sie tun. Das klassische Ermitteln, wer hat mit wem
       was organisiert, braucht es nicht. Das Durchsuchen von Wohnungen oder
       Abhören von Telefonaten soll vor allem einschüchternd wirken. Das trifft
       die jungen Leute und soll es auch.
       
       Sie kennen andere Verfahren, in denen es um den Vorwurf der kriminellen
       Vereinigung geht. Worin unterscheidet sich die Letzte Generation von
       anderen Gruppierungen? 
       
       Die Offenheit, das nichtklandestine Vorgehen ist ein gewichtiger
       Unterschied. Dazu kommt: Die Forderungen der Letzten Generation sind im
       politischen Diskurs eher in der Mitte angesiedelt. Das ist nicht besonders
       radikal. Es wird kein Umsturz der Regierung gefordert, sondern auf relativ
       einfach umzusetzende Klimaschutzmaßnahmen gedrängt. Das ist zutiefst im
       Rahmen des Grundgesetzes verankert.
       
       Womit müssen die Betroffenen jetzt rechnen?
       
       Das ist völlig unklar. Die Staatsanwaltschaften haben noch keine Anklagen
       erhoben. Ich kann mir vorstellen, dass die Verfahren insgesamt wieder
       eingestellt werden. Möglich ist auch, dass der Vorwurf der kriminellen
       Vereinigung vor der Anklageerhebung fallen gelassen wird und dann nur
       einzelne Aktionen angeklagt werden. Die ganzen Ermittlungen wirken
       chaotisch und konfus, weil gleichzeitig von zwei Staatsanwaltschaften
       Ermittlungen vorgenommen werden, die sich teilweise überschneiden. Noch vor
       kurzem hat die bayerische Generalstaatsanwaltschaft noch keinen Grund für
       solche Ermittlungen gesehen. Jetzt heißt es, sie habe mehrere Anzeigen von
       Bürgern bekommen; will also zeigen, dass sie im Sinne der wütenden
       Bevölkerung handelt.
       
       Wäre eine Verurteilung in Bayern oder Brandenburg gleichzusetzen mit einem
       Verbot der Organisation? 
       
       Die strafrechtliche Verfolgung ist zu trennen vom Vereinsrecht. Bestraft
       werden würden nur Einzelne. Für ein Verbot, wie der PKK oder von Linksunten
       Indymedia wäre die Bundesinnenministerin zuständig.
       
       Wann wurde der Paragraf eingeführt und wozu war er eigentlich gedacht? 
       
       Der Paragraf 129 ist mit Geburt des Strafgesetzbuches 1872 eingeführt
       worden und diente ursprünglich der Verfolgung der gemeingefährlichen
       Bestrebungen der Sozialdemokratie. Der Reichsgesetzgeber wollte den Sumpf
       des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, der gerade seinen 160.
       Geburtstag feiert, trockenlegen. 2017 wurde eine Ausweitung beschlossen.
       Die EU wollte, dass Vereinigungen verfolgt werden müssen, deren Zweck die
       Begehung von Straftaten ist, die von mindestens vier Jahren Freiheitsstrafe
       bedroht sind und die sich einen finanziellen Vorteil verschaffen wollen.
       Diese Einschränkung des finanziellen Vorteils setzte die Große Koalition
       aber nicht um.
       
       24 May 2023
       
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