# taz.de -- Rassismus im Libanon​: Geflüchtete als Sündenböcke​
       
       > Der Libanon schiebt vermehrt syrische Geflüchtete in ihr Heimatland ab.
       > Während der Wirtschaftskrise werden sie immer mehr als Last gesehen.
       
 (IMG) Bild: Syrische Geflüchtete sind vermehrt rassistischen Anfeindungen ausgesetzt
       
       Beirut taz | Die libanesische Regierung geht verschärft gegen syrische
       Geflüchtete vor. Am Dienstag beschloss der geschäftsführende Innenminister,
       Bassam Mawlawi, einen Zensus von nicht registrierten Syrer*innen
       durchzuführen. Er verbot den Kommunen die Vermietung von Immobilien oder
       die Ausstellung von Dokumenten an sie. Es ist der jüngste Schritt der seit
       Jahren fortdauernden aggressiven Rhetorik gegen Schutzsuchende.
       
       In den vergangenen Wochen haben die Behörden rund 450 Syrer*innen
       festgenommen und mindestens 66 abgeschoben. Das [1][berichtet] die lokale
       Zeitung L’Orient-Le Jour. „Die Haftanstalten der Armee sind voll“,
       [2][sagte] ein Armeebeamter der Nachrichtenwebseite Al-Monitor. „Also
       musste die Armee diese Maßnahme ergreifen und sie außerhalb der
       libanesischen Grenzen platzieren.“
       
       Der Geheimdienst der Armee durchsucht Unterkünfte von Syrer*innen und
       nimmt Menschen fest, die keine gültigen Aufenthaltspapiere haben. Für die
       Mehrheit der Vertriebenen ist es unmöglich, legal im Land zu sein. Der
       Libanon erlaubt dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) seit
       2015 nicht mehr, Syrer*innen zu registrieren. Für eine Registrierung
       durch libanesische Behörden ist ein libanesischer Sponsor nötig, und die
       Verlängerungsgebühr beträgt 200 US-Dollar jährlich.
       
       Der Libanon steckt in einer Wirtschaftskrise, aus der er durch politische
       Blockaden nicht hinauskommt. Weil es an Geldern mangelt und um von der
       eigenen Untätigkeit abzulenken, verschärft die Regierung die Maßnahmen
       gegen syrische Geflüchtete. Sie seien eine Belastung für die Bevölkerung,
       die selbst unter der Inflation leidet.
       
       Die Regierung fordert, dass die Vereinten Nationen (UN) 100 US-Dollar pro
       libanesischem Soldat zahlen, damit sie im Gegenzug die Deportationen
       stoppen. Das [3][berichtet] die Webseite Orient-News. Durch den Krieg in
       der Ukraine musste der UNHCR die Gelder für Syrer*innen jedoch kürzen.
       [4][Gegenüber der taz bestätigten syrische Familien, dass sie im Winter von
       den Hilfen abgeschnitten wurden.]
       
       ## Anti-syrischer Rassismus hat Vorgeschichte
       
       Tausende Syrer*innen haben den Libanon seit 2017 mit einem sogenannten
       „freiwilligen Rückführungsprogramm“ verlassen, das die libanesischen
       Behörden in Absprache mit syrischen Behörden organisieren. Sie behaupten,
       Syrien sei für Rückkehrende sicher. Menschenrechtsorganisationen wie
       [5][Amnesty International] kritisieren das. Syrer*innen würden gewaltsam
       in das Land abgeschoben, wo immer noch Krieg herrsche und ihr Leben in
       Gefahr sei.
       
       Der Rassismus der Regierung spiegelt sich auch in der Bevölkerung wider. Am
       Dienstag [6][postete] ein syrischer Journalist auf Twitter Fotos von drei
       Syrern, die in unterschiedlichen Gegenden im Libanon von Libanes*innen
       geschlagen beziehungsweise mit Messern attackiert wurden. Die Täter sollen
       gesagt haben, die Syrer sollten das Land verlassen.
       
       Der Rassismus gegen Syrer*innen hat mit der eng verknüpften Geschichte
       beider Länder zu tun. Mit dem Krieg im Libanon ab 1976 und weit über dessen
       Ende hinaus besetzte das syrische Militär den Libanon. Viele
       Libanes*innen haben schlechte Erinnerungen an die Anwesenheit des
       syrischen Militärs. 2005 protestierten Massen gegen die Fremdeinwirkung und
       erwirkten das Ende der Besatzung.
       
       Mit der derzeitigen Wirtschaftskrise empfinden es viele Libanes*innen
       als ungerecht, dass Hilfsorganisationen sich um die Belange von
       Syrer*innen kümmern – und nicht mehr Libanes*innen helfen.
       
       NGOs versuchen seit Jahren, dem Rassismus entgegenzuwirken. „Die
       Unterstützung libanesischer Familien ist ebenfalls von entscheidender
       Bedeutung“, [7][bestätigte] eine UNHCR-Kommunikationsbeauftragte der
       Webseite Now Lebanon. Die Organisation habe 2022 insgesamt 74 Kommunen mit
       Zugang zu Strom unterstützt und Solarstrom für Gesundheitszentren,
       Krankenhäuser und Wasseranlagen eingerichtet. Das käme mehr als 1,5
       Millionen Menschen zugute – sowohl Syrer*innen als auch Libanes*innen.
       
       NGOs setzen sich weiterhin dafür ein, die Kluft durch
       Sensibilisierungskampagnen zu überbrücken, in der Hoffnung, dass beide
       Parteien ein besseres Verständnis für die Not der anderen gewinnen können –
       und Lösungen für Probleme finden, die sie gemeinsam betreffen.
       
       7 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://today.lorientlejour.com/article/1335706/tension-rises-as-syrian-refugees-face-deportation.html
 (DIR) [2] https://www.al-monitor.com/originals/2023/04/lebanon-deports-dozens-syrian-refugees-amid-spike-racist-rhetoric#ixzz80ZQRgT8M
 (DIR) [3] https://orient-news.net/ar/news_show/203183
 (DIR) [4] /Syrische-Gefluechtete-im-Libanon/!5901455
 (DIR) [5] https://www.amnesty.org/en/latest/news/2023/04/lebanon-authorities-must-halt-unlawful-deportations-of-syrian-refugees/
 (DIR) [6] https://twitter.com/nedalalamari/status/1653044714558324738
 (DIR) [7] https://nowlebanon.com/scapegoating-refugees/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Neumann
       
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