# taz.de -- Hamburger Comiczeichner: Besucher im Outback
       
       > Fasziniert von der Fremde: Jan Bauer erzählt in seiner Graphic Novel
       > „Unter rotem Staub“ von seinen autobiografischen Australien-Exkursionen.
       
 (IMG) Bild: Gruß an den fernen Kollegen Caspar David Friedrich: Wanderer über dem … nein, in Australien
       
       Jagen und nach Wasser graben: Damit verbringt Wamaru Japangardi, ein
       einsames Wesen mit Reptil-Kopf und menschlichem Körper, seine Tage in den
       Weiten der Tanamiwüste im Norden Australiens. Irgendwann sehnt es,
       eigentlich ein Er, sich nach einem Weibchen; läuft suchend viele Meilen
       weit und findet schließlich Nungarrrayi. Große Freude – und gleich wieder
       Frust: Eine Beziehung ist ausgeschlossen, denn Nungarrrayi ist Wamarus
       Schwiegermutter, zumindest nach den Verwandtschaftsregeln der Aborigines.
       Leichtsinnig brechen sie das Tabu – woraufhin Nungarrrayi zu einem Baum
       erstarrt, einem ewigen, mythischen Baum. Der ist noch da, als der
       [1][Hamburger Illustrator Jan Bauer] eine Ewigkeit später dorthin wandert.
       
       Bauer stammt aus dem schleswig-holsteinischen Preetz, und Australien hat er
       schon als Jugendlicher bereist. Später studiert er in Hamburg und Brisbane
       und kommt seitdem immer wieder zurück auf den „fünften Kontinent“. Bepackt
       nur mit dem Nötigsten, etwa 20 Litern Wasser, legt er also die 40 Kilometer
       bis zur Siedlung Yuendumu zu Fuß zurück, immer von einer Wasserstelle zur
       nächsten. Er weiß: Wenn er sich verläuft, stirbt er; so wie der alte Recke,
       der das Blut seines Pferdes trank, aber trotzdem verdurstete und seine
       letzten Worte in seine Feldflasche kratzte. Von seinem Bericht übers
       Sterben in der Wüste handelt nun eine Episode in Bauers [2][Graphic Novel
       „Unter rotem Staub“].
       
       Der Zeichner selbst schafft es bis in die Siedlung, wo er für einige Zeit
       unter den Einheimischen lebt, arbeitet, skizziert. Er beginnt, seine eigene
       Geschichte zu verknüpfen mit der Begegnung mit diesen Menschen und ihrer
       ihm so fremden Kultur. Der Anteil der Aufklärung über das Leben der
       Indigenen unterscheidet Bauers neuen Band von dem [3][Vorgänger „Der
       salzige Fluss“ von 2014]; der Zeichner nennt die beiden auch „ungleiche
       Geschwister“. Die Verwandtschaft besteht unter anderem darin, dass sie
       beide bei längeren Aufenthalten Bauers in der gleichen Gegend konzipiert
       wurden: dem Gebiet der Warlpiri im australischen Northern Territory.
       
       ## Massenweise Warlpiri-Traumbildern
       
       Hatte er für „Der salzige Fluss“ ein paar Monate gebraucht, steckte Bauer
       in die Neuerscheinung mehr als sieben Jahre. Die erste Graphic Novel war
       eine Art Reisebericht nebst der Bewältigung einer unglücklichen Liebe und
       kreiste weitgehend um die Erlebnisse und Naturbeobachtungen des Autors. Nun
       geht es ganz überwiegend um die erwähnte mythische Geschichte, aber auch
       [4][die der Aborigines insgesamt], ferner ihre Lage im heutigen Australien.
       Freundschaften mit Indigenen und Nicht-Indigenen ermöglichen ihm einen
       tieferen Einblick in die Situation der Ureinwohner, die seit Jahrhunderten
       von den Weißen benachteiligt und unterdrückt worden sind. Er erkennt, dass
       die fatalen Folgen des Kolonialismus sich bis heute fortsetzen, nur in
       subtilerer Weise.
       
       Um den Menschen näher zu kommen und zu verstehen, wie das Leben hier
       funktioniert, nimmt der Deutsche einen Job im einzigen Erfolgsunternehmen
       der Gegend an, dem Art-Center: Er mischt Farben für die Massenproduktion
       von [5][Warlpiri-Traumbildern], sogenannten „dreamings“ oder „Jukurrpas“;
       10.000 davon werden hier jedes Jahr für den Export produziert. Aber die
       Arbeit hält ihn zu sehr von seinem eigentlichen Ziel ab, also gibt er sie
       auf und verbringt die Tage mit den Leuten: Er hofft auf Vertrauen und
       Offenheit, um etwas von der kosmologischen Mythologie zu verstehen, die
       seit jeher das Dasein der Stämme und Sippen bestimmt, denen Geschichten als
       heiliger und teilweise geheimer Besitz gelten. Er begleitet das tägliche
       Leben, aber auch Ausflüge mit kulinarischen Akzenten wie dem Ausgraben und
       Verputzen von Honigameisen und Wichetti-Raupen.
       
       Er wird aber auch Zeuge von Härte und Armut. Als er nach einem längeren
       Hamburg-Aufenthalt wiederkommt, erfährt er, dass sein Warlpiri-Freund Phil
       zu Tode gekommen ist – im Polizeigewahrsam. Dem will Bauer auf den Grund
       gehen: Er reist auf Phils Spuren und erfährt viel über die Hintergründe,
       die bis heute für das Leid der Indigenen verantwortlich sind. Seine
       Entdeckungen machen „Unter rotem Sand“ zu einer Art Erdklärbuch.
       
       Bauer ist ein versierter Illustrator und nach Jahren als Trickfilmer, unter
       anderem für die Hamburger Künstlerin [6][Mariola Brillowska], auch ein
       guter Bild-Erzähler. Er beherrscht viele Kniffe, um dem Leser Veränderungen
       des Szenarios plausibel zu machen, vieles vermittelt er ohne Text, lässt
       die Bilder für sich sprechen. Seine Faszination für die Landschaftsmalerei
       schlägt sich in halb- oder auch ganzseitigen Panels nieder.
       
       Dabei legt er viel Wert auf die feinen Unterschiede: Was in der Steppe im
       Outback wächst, sieht anders aus als das Rasenstück am Rollfeld des
       Hamburger Flughafens; hier geht Bauer liebevoll wie ein Renaissance-Maler
       auf die pflanzliche Vielfalt ein.
       
       Den Wechsel zwischen Mythos und Realität signalisiert ein unaufdringliches
       Stilmittel: Die mythischen Geschichten, auch die eingangs umrissene von
       Wamaru und Nungarrrayi, erzählt er in Bildern ohne Umrandung. Dann wieder
       ändert sich der benutzte Zeichenstil dem zu Erzählenden entsprechend, so
       imitiert Bauer auch mal mehrere Seiten lang den Look eines
       50er-Jahre-Abenteuercomics. Um komplizierte Zusammenhänge zu erklären, etwa
       indigene Verwandtschaftssysteme, setzt er selbstgemachte Erklärgrafiken
       oder Karten ein. Dazu gibt es noch einen Anhang mit Erläuterungen. Der
       leichte Schulbuchcharakter ist erwünscht, und doch bleibt der Band spannend
       und humorvoll.
       
       Jan Bauer hat „Unter rotem Staub“ selbst ins Englische übersetzt und auch
       einen australischen Verleger gefunden, sodass die Warlpiri es auch lesen
       können; Englisch wiederum müssen sie lernen, in den ersten vier
       Schuljahren; so steht es im Gesetz. Bei seinem nächsten Besuch will Bauer
       einen Schwung Comics selbst in der entlegenen Yuendumu-Siedlung abliefern.
       Natürlich wird er auch wieder zu Fuß unterwegs sein – und auch mal trampen.
       
       20 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.avant-verlag.de/artist/jan-bauer/
 (DIR) [2] https://www.avant-verlag.de/comics/unter-rotem-staub/#cc-m-product-9161592420
 (DIR) [3] /Graphic-Novel-Debuet/!5045744
 (DIR) [4] /Stimme-fuer-Australiens-Ureinwohner/!5923990
 (DIR) [5] /!1403243/
 (DIR) [6] /!458907/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Imke Staats
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Graphic Novel
 (DIR) Autobiographischer Comic
 (DIR) Deutscher Comic
 (DIR) Comic
 (DIR) Australien
 (DIR) Aborigines
 (DIR) Kolonialismus
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Graphic Novel
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Graphic Novel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Stimme für Australiens Ureinwohner: Volksabstimmung bis Ende des Jahres
       
       Nach dem Parlament hat sich nun der Senat für eine Volksabstimmung über
       mehr Rechte für Aborigines ausgesprochen. Das Land ist derzeit aber
       gespalten.
       
 (DIR) Tinder und TikTok im Comic „ohcupid“: Samt Fahrrad im Boden versinken
       
       Die neuen Graphic Novels von Helena Baumeister und Aude Picault spielen in
       Zeiten von Tinder und TikTok. Glücklich macht das nicht unbedingt.
       
 (DIR) Charlotte-Salomon-Ausstellung in München: Doch sie wehrt sich
       
       Das Lenbachhaus zeigt Charlotte Salomons obsessive Malerei. Wie eine
       Graphic Novel erzählt sie von ihrem Leben bis zum Tod in Auschwitz.
       
 (DIR) Comic über die Sternzeichen: Lüsterne Skorpione
       
       Der neue Comic von Liv Strömquist ist ein lustig-überzeichneter
       Sternzeichen-Kalender, der nebenbei den Hype um Astrologie erklärt.