# taz.de -- Umstrittene Asylreform: Horst Seehofer gefällt das
       
       > Bundesinnenministerin Nancy Faeser will die Chancen Geflüchteter auf Asyl
       > schon an den EU-Außengrenzen prüfen lassen. Die Grünen sind uneins.
       
 (IMG) Bild: Migranten sitzen mit Rettungswesten in einem Boot
       
       Einigkeit gab es bei der Ampel zuletzt nur selten. Ausgerechnet in einem
       hochumstrittenen Feld aber verkündete Bundesinnenministerin Nancy Faeser
       (SPD) nun, dass die drei Regierungsparteien eine gemeinsame Linie gefunden
       hätten: bei der seit Jahren feststeckenden Reform der EU-Asylpolitik.
       
       „Wir sehen jetzt ein historisches Momentum“, hatte Faeser in der ARD
       gesagt. Zusammen mit anderen europäischen Staaten könne Deutschland es
       schaffen, ein „gemeinsames Asylsystem auf den Weg zu bringen, wo an den
       Grenzen die Asylverfahren stattfinden“. Darauf habe die Ampelkoalition sich
       geeinigt.
       
       Seit Jahren wird ein Gesetzespaket diskutiert, für das die EU-Kommission
       2020 konkrete Vorschläge gemacht hatte. Eine der wichtigsten Neuregelungen
       sind die Asylverfahren an den Außengrenzen, die Faeser erwähnt hat. Die
       Idee stammt von Deutschlands Ex-Innenminister Horst Seehofer (CSU). Er
       hatte sie für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020 eingebracht. Die
       Grünen waren damals strikt dagegen.
       
       Das Prinzip: Alle ankommenden Flüchtlinge werden direkt an den Außengrenzen
       in Lagern interniert. Dort gelten sie als offiziell nicht in die EU
       eingereist. Dann wird geprüft, ob sie für ein reguläres Asylverfahren in
       Frage kommen. Dafür sollen zwei Kriterien gelten: Zum einen die EU-weite
       durchschnittliche Anerkennungsquote für das jeweilige Herkunftsland – die
       dürfe nicht unter 20 Prozent liegen, so der Vorschlag der Kommission.
       
       Das zweite Kriterium soll sein, ob die Betroffenen über so genannte sichere
       Drittstaaten eingereist sind. Die kann die EU nach eigenem Ermessen
       festlegen. Die Einstufung etwa der Türkei, Tunesiens und einiger
       Balkanstaaten würde praktisch alle Ankommenden erfassen.
       
       Jene, auf die die Kriterien zutreffen, sollen allenfalls für ein
       Schnellverfahren mit stark abgesenkten Rechtsmitteln bis zu drei Monate
       interniert bleiben. Bei Ablehnung werden sie direkt aus den Lagern wieder
       abgeschoben – in ihr Herkunftsland oder den „sicheren Drittstaat“, sofern
       der dabei mitmacht. Noch offen ist, auf welcher Rechtsgrundlage die
       Schnellverfahren laufen sollen. Klar ist, dass die EU-Asylagentur EUAA eine
       wichtige Rolle spielen wird. Das Verfahren wird etwas abgewandelt in
       Griechenland bereits als Pilotprojekt getestet.
       
       Die grünen Ministerien haben Faeser Zustimmung signalisiert. Die Partei ist
       indes gespalten.
       
       Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour sagte, Voraussetzung für die
       Zustimmung der Grünen seien „unter anderem verbindliche
       Verteilungsmechanismen für Flüchtlinge in der EU“. Das würde die
       Außengrenzen-Staaten effektiv entlasten und wird von diesen seit Jahren
       gefordert.
       
       Doch ein Verteilmechanismus steht auf EU-Ebene gar nicht zur Verhandlung.
       Weil viele Staaten strikt dagegen sind, hat die Kommission lediglich einen
       – bereits seit 2022 als Pilotprojekt laufenden – „Solidaritätsmechanismus“
       vorgeschlagen. Der sieht neben freiwilliger Umverteilung nur verpflichtende
       Geldzahlungen vor.
       
       „Ungarn könnte einfach die libysche Küstenwache bezahlen – und hätte damit
       seine Verpflichtung im Solidaritätsmechanismus erfüllt“, sagt der
       EU-Abgeordnete Erik Marquardt. Faeser habe „Foul gespielt“, als sie die
       Einigung verkündet habe. Die Bundesregierung würde „sehr wesentliche
       Grundsätze“ aufgeben, wenn sie den Kommissionsvorschlägen zustimmt.
       
       Marquardt befürchtet Massenhaftlager und Chaos an den Außengrenzen. Wer
       über einen sicheren Drittstaat komme, dessen Antrag könne dann „in
       Vorprüfungen als unzulässig abgelehnt werden. Die Menschen hätten dann
       keinen Zugang mehr zu rechtsstaatlichen Asylverfahren“, sagt Marquardt.
       
       In der Grünen-Fraktion habe es nach Faesers Vorstoß „diverse Runden
       gegeben, um zu klären, ob wir das tragbar finden“. Das Ergebnis: „Es muss
       Nachverhandlungen geben, wenn wir wirkliche Lösungen wollen“, sagt
       Marquardt, „im Sinne des Koalitionsvertrags“. Denn darin steht von
       Haftlagern an den Außengrenzen kein Wort.
       
       Stattdessen brauche es endlich Maßnahmen, die Fluchtursachen statt
       Geflüchtete bekämpften, sagt Marquardt. Und es brauche Druck auf andere
       EU-Staaten. „Außerdem brauchen wir jetzt ein Maßnahmenpaket zur Entlastung
       der Kommunen.“
       
       Der grüne Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke sagte am Mittwoch bei einer
       Veranstaltung in Berlin, die Neuregelung würde „nichts verbessern, im
       Gegenteil, sie würde Situationen wie in Moria befördern, das muss man klar
       benennen“. Moria war ein 2020 abgebranntes Lager auf der Ägäis-Insel
       Lesbos, wo tausende Flüchtlinge jahrelang unter katastrophalen Bedingungen
       lebten.
       
       Am 8. und 9. Juni treffen sich die EU-Innen- und Justizminister. Bis zu
       diesem Tag sollen die Regierungen der Mitgliedsstaaten eine gemeinsame
       Linie haben. Die Verhandlungen von Rat, Parlament und Kommission sollen
       dann bis Februar 2024 abgeschlossen sein
       
       Ob das gelingt, gilt aber als fraglich – die Positionen der
       Mitgliedsstaaten fallen weit auseinander.
       
       Gelegenheit, Faeser umzustimmen, hätten die Grünen etwa am kommenden
       Mittwoch. Da ist im Kanzleramt der „Flüchtlingsgipfel“ angesetzt. Dort soll
       es zwar vor allem um die Finanzierung der Flüchtlingsaufnahme in
       Deutschland gehen. Doch die Frage, wie es in der EU weitergehen wird,
       dürfte auch das Treffen im Kanzleramt beschäftigen.
       
       6 May 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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