# taz.de -- 1. Mai in Kreuzberg: Auch ohne Myfest Party auf der Straße
       
       > Mit Soundsystemen und Picknickdecken ziehen Tausende am Tag der Arbeit
       > durch Kreuzberg. Die Linke lädt zu einem Mix aus Jahrmarkt und ein
       > bisschen Politik.
       
 (IMG) Bild: Frühlingswetter am Tag der Arbeit im Görlitzer Park
       
       BERLIN taz | Mittag am Rand von Kreuzberg, kleine Grüppchen mit dicken
       Soundsystemen machen sich bereit, den Bezirk zu beschallen. Einige wollen
       mit Fahrrädanhängern mit großen Boxen wohl Spontan-Open-Airs veranstalten,
       andere richten sich hier im „Schlesischen Busch“ mit kleinen Bühnen oder
       Tanzflächen ein, Wumms haben sie alle. Picknickende Familien mit
       Kinderwägen bekommen also eine Kakofonie aus Elektroremixes,
       Soulklassikern, Reggae und Techno ab. Es werden 0,5-Biere aus dem
       Einkaufstrolley verkauft.
       
       Das offizielle [1][„Myfest“, das in Kreuzberg in den Jahren vor der
       Pandemie] teilweise Zehntausende Menschen und hauptsächlich Partypublikum
       anlockte, [2][fiel in diesem Jahr erneut aus]. Das Publikum lässt sich
       davon aber nicht beirren. Im Bezirk sind Tausende Menschen auf den Straßen.
       Besonders ballen sich die Massen im ehemaligen Postzustellbezirk SO 36, wo
       sich das Geschehen am 1. Mai traditionell abspielt – ob nun [3][die
       Plünderung von Bolle], [4][Partytourismus in der Oranienstraße] oder
       Straßenschlachten von Hausbesetzerszene und Polizei.
       
       ## Politischer Flohmarkt
       
       Der [5][Mariannenplatz rund um das ehemals besetzte Bethanien ist in diesem
       Jahr allerdings nur ansatzweise blau]: Ein paar Kleingruppen von
       Polizist*innen patroulliert mit an der Uniform befestigtem Helm über
       ein von der Linken angemeldetes 1.-Mai-Fest vor dem ehemaligen
       Diakonissen-Krankenhaus. Das Fest erinnert an eine Mischung aus Jahrmarkt
       und politischem Flohmarkt. Es gibt Heliumballons, einen Stand mit
       Lebkuchenherzen, auf die mit rosa Schrift „Kleine Prinzessin“ geschrieben
       ist, und gelangweilte Hipsterkids mit Glitzer im Gesicht.
       
       Eine Gitarrenkombo spielt Coverversionen von Rockklassikern, [6][die Linke]
       verkauft Bier für 3,50 und Kuchen gegen Spende. Die Schlange am
       Streetfood-Stand verdeckt locker den Info-Stand einer politischen
       Initiative. In der Schlange ein hungriges Punk-Pärchen, das für ihre
       Tochter einen Prinzessinnen-Ballon gekauft hat. Politischen Anstrich
       bekommt das Fest mit Ständen verschiedener Initiativen und internationaler
       Organisationen, die Flyer und Gespräche anbieten. An einem Stand der
       französischen Sozialisten kann man Dosenwerfen oder, wie es hier hieß:
       „Macron Simulator“ – die Dosen sind mit allerhand Freiheitsrechten
       beschriftet, die man abräumen kann.
       
       ## Ausstellung in der Kirche
       
       Eine Künstlerin legt auf der Wiese vor der St.-Thomas-Kirche ein großes
       Peace-Zeichen mit besprühten Regenschirmen aus. Darauf sind neben
       Textzeilen von Ton Steine Scherben (etwa „Keine Macht für niemand“, „Mein
       Name ist Mensch“, „Allein machen sie dich ein“), politische Ikonen
       abgebildet, die als Selfie-Kulisse herhalten müssen. In der
       [7][St.-Thomas-Kirche selbst gibt es eine sehenswerte Ausstellung] der
       politischen Gemeinde der „Kirche an der Mauer“ – von Protesten gegen
       Wohnungsnot Anfang des 20. Jahrhunderts bis zur aktuellen Solidarisierung
       mit den Zielen der Letzten Generation. Die Kirchengemeinde hielt auch schon
       mal Technogottesdienste zusammen mit der Club-Szene ab und bot Geflüchteten
       oder Hausbesetzer*innen nach ihrer Räumung Unterschlupf.
       
       Im Laufe des Nachmittags schließlich füllen sich die Straßen in Kreuzberg
       mit Tausenden Menschen. Autos kommen nur noch im Schritttempo durch. Rund
       um Görlitzer Park, Mariannenplatz und der Oranienstraße strömen die
       Menschen, trinken und rauchen in der Sonne. Kneipen stellen Boxen an die
       Straße, Drum ‚n‘ Bass schallt über dem Oranienplatz, an diversen Ecken gibt
       es Live-Musik. Es erinnert an die Anfangsjahre vom „Myfest“, weil es nicht
       komplett überfüllt ist.
       
       Etwas deplatziert wirkt bei der guten Stimmung und dem traditionell guten
       Wetter die stark präsente Polizei. Eine Hundertschaft verrammelt den Kotti
       mit Hamburger Gittern – vermutlich um zu verhindern, dass die Revolutionäre
       1.-Mai-Demo [8][später zur Kotti-Wache vordringen] kann.
       
       1 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /1-Mai-in-Berlin-Kreuzberg/!5592034
 (DIR) [2] /Kreuzberger-MyFest-abgesagt/!5927479
 (DIR) [3] /Es-ging-den-Leuten-ums-Pluendern/!5401416/
 (DIR) [4] /Muell-beim-MyFest/!5588605
 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=z4Rb-Eix-eA
 (DIR) [6] /Berlins-Linkspartei-vor-Fuehrungswechsel/!5930717
 (DIR) [7] https://www.berlin.de/mauer/orte/museen-und-ausstellungen/st-thomas-kirche-ausstellung/
 (DIR) [8] /Polizeiwache-in-Berlin-Kreuzberg/!5912786
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gareth Joswig
       
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