# taz.de -- Politologin über Berlins Klima-Entscheid: „Wir brauchen radikale Schritte“
> Metropolen sind wichtig im Kampf gegen die Klimakrise, sagt Lena
> Partzsch. Für deren Bürger*innen bedeute mehr Klimaschutz auch mehr
> Lebensqualität.
(IMG) Bild: Muss es künftig häufiger geben: Radler*innen und Regen
taz: Frau Partzsch, am 26. März haben die Berliner*innen die
Möglichkeit, ein Gesetz für deutlich mehr Klimaschutz zu verabschieden.
Sollen sie [1][beim Volksentscheid mit „Ja“ stimmen]?
Lena Partzsch: Auf jeden Fall. Es braucht radikal mehr Klimaschutz.
Sie forschen an der Freien Universität über den globalen Wandel zu mehr
Nachhaltigkeit. Spielen große Städte dabei eine besondere Rolle?
Sie verursachen vergleichsweise viele Emissionen – dadurch haben sie auch
die meisten Möglichkeiten, CO2 einzusparen. Viele Städte sind zu neuen
Protagonisten geworden, nicht nur was die Umsetzung vor Ort betrifft,
sondern auch, weil sie zunehmend international vernetzt sind. Berlin ist da
eigentlich ganz vorne dabei und Mitglied in vielen klimapolitischen
Netzwerken. Aber [2][was die Umsetzung angeht], sind wir hier wirklich
Schlusslicht. London, Paris, die haben längst Fahrradinfrastruktur, die
diesen Namen verdient und nicht einfach nur neue Parkfläche für Autos
darstellt.
Geht es vor allem um die Städte des globalen Westens?
Es ist ganz wichtig, dass die westlichen Länder, die sogenannten
Industrieländer, beim Klimaschutz vorangehen. Inzwischen ist aber der
Ausstoß von Treibhausgasemissionen zum Beispiel in China pro Kopf
vergleichbar mit dem von Deutschland. Es reicht nicht mehr, dass nur die
westlichen Länder etwas machen. Wir brauchen jetzt radikale Schritte in der
Klimakrise weltweit.
Kommen wir zurück zum Volksentscheid. Wenn das Gesetz eine Mehrheit erhält,
in welchen Bereichen müsste dann in Berlin etwas passieren?
Vor allem in drei Sektoren. Im Energiebereich, sprich: der
Energieversorgung, bei den Gebäuden und im Verkehr.
Es bräuchte zum Beispiel drastische Schritte, um den Individualverkehr aus
Berlin zu verbannen und den Öffentlichen Nahverkehr zu stärken?
Es ist nicht unbedingt nötig, den Individualverkehr komplett zu verbannen.
[3][Aber derzeit nimmt die Pkw-Dichte zu]. Diesen Trend müssen wir dringend
umkehren. Nachhaltige Mobilitätskonzepte bedeuten vor allem, dass mehr Wege
zu Fuß und mit dem Rad zurückgelegt werden. Entsprechend müssen Städte
geplant werden.
Der beim Entscheid vorliegende Gesetzentwurf sieht für die angestrebte
Klimaneutralität Berlins einen extrem kurzen Zeitraum vor. Bis 2030 müsste
es so weit sein. Deswegen sagen Kritiker*innen, das Gesetz sei nicht
umsetzbar.
Aktuell ist das Ziel in Berlin und Deutschland, bis 2045 klimaneutral zu
werden. In den letzten zwei Jahren gab es einen Anstieg der
Treibhausgasemissionen. Wir brauchen daher eigentlich sofort drastische
Schritte. Insofern ist es richtig, wenn die Initiator*innen des
Entscheids [4][damit auch den Druck erhöhen wollen]. Denn in Berlin mangelt
es an konkreten Maßnahmen. Das Land hat zwar 2019 offiziell die
Klimanotlage ausgerufen, aber darauf folgte so gut wie nichts.
Zielsetzungen allein sind reines Greenwashing.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Schauen Sie auf die Ausstattung von Dächern mit Solaranlagen. In Bayern
gibt es Landwirte, die bauen extra Scheunen, um da Solaranlagen drauf zu
setzen, weil das auch finanziell lukrativ ist. In Berlin haben wir die
ganzen Dächer schon, aber wir nutzen die Fläche überhaupt nicht.
Noch mal zur Frage der Umsetzbarkeit des Gesetzentwurfs. Darin steht zum
Beispiel, dass bis 2025 bereits eine Reduktion von 70 Prozent der
CO2-Emissionen vorgeschrieben ist. Eigentlich unmöglich.
Warum sollte das nicht zu schaffen sein?
Viele Maßnahmen, etwa [5][bei der notwendigen Dämmung der Gebäude oder dem
Umbau der Energieversorgung], brauchen länger als zwei Jahre.
Dieses Gesetz würde bedeuten, dass Klimaschutz oder überhaupt
Nachhaltigkeit Priorität hätte bei allen politischen Maßnahmen. Dieses
Umdenken ist zentral. Und das heißt dann eben, dass zum Beispiel [6][die
Verlängerung der A 100 nicht gebaut wird]. Zwei Drittel der
Berliner*innen besitzen kein Auto – aber man sieht ja mit bloßem Auge,
wie viel Platz der Autoverkehr in der Stadt einnimmt. Vielleicht ist es
nicht für alle, die jetzt Auto fahren, möglich, sofort umzusteigen; aber
für sämtliche Berlinerinnen und Berliner wäre es eine immense Erhöhung der
Lebensqualität, wenn es weniger Autos in der Stadt gäbe. Eigentlich gilt ja
das Verursacherprinzip: Wir müssen fragen, wer die Treibhausgasemissionen
in der Stadt verursacht, und dort ansetzen. Und nicht fragen, wie können
wir jene kompensieren, die sich wegen der Klimakrise umstellen müssen.
Hätte da ein Erfolg des Entscheids eine Signalwirkung?
Aber sicher. Wenn die Berlinerinnen und Berliner entscheiden, dass sie viel
mehr Wert auf Klimaschutz legen – wie die Menschen in anderen Metropolen
auch –, dann ist das wegweisend für die Politik in Deutschland.
Angesichts der großen Folgen, die dieser Entscheid haben könnte: Ist es da
nicht erstaunlich, dass es eigentlich keine Debatte darüber gibt und sich
die Parteien im Abstimmungskampf kaum äußern?
Das war ja schon die Absicht, als [7][der Senat es vermieden hat, den
Volksentscheid nicht mit dem Wahltermin zusammenzulegen]. Man versucht, dem
Thema so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu geben, und scheut die
Diskussion.
Vielleicht auch, weil die Kosten immens sind und nach Schätzungen des
Senats im hohen zweistelligen Milliardenbereich liegen?
Aber wir würden auch viel Geld sparen, wenn wir in Klimaschutz investieren
und zum Beispiel die Autobahn eben nicht ausbauen. Wenn wir die Straßen
weniger nutzen, halten sie auch länger. Die Idee, dass Klimaschutz Geld
kosten muss, wird immer von den Kritiker*innen geführt. Hätten wir
früher in erneuerbare Energien investiert, wären die Energiekosten jetzt
viel geringer.
Das sagt sich im Nachhinein immer leicht.
Wir wissen, dass sich zum Beispiel die Kosten für energetische
Gebäudesanierung relativ schnell amortisieren, gerade angesichts der
gestiegenen Energiekosten.
Selbst wenn man jetzt viele Milliarden Euro Schulden aufnehmen müsste, wäre
es nachhaltig?
Genau. Aber es geht es vor allem darum, dass wir bestimmte Ausgaben nicht
machen.
Wieso führt die Politik diese Debatte dann nicht offensiv?
Die Klimakrise konkurriert gerade mit der Ukrainekrise. Die ganze
Problematik des Klimawandels wird heruntergespielt. Dabei betreffen uns
viele Folgen schon seit Jahren, etwa die Übersterblichkeit durch die
Hitzesommer. Das Gute an diesem Volksentscheid ist, dass Klimaschutz damit
wieder auf die politische Agenda kommt.
Gäbe es bei den Berliner*innen eine Akzeptanz für harte Einschnitte
wegen der Klimakrise? Wenn ich mir den vergangenen Wahlkampf anschaue, habe
ich da meine Zweifel: Die Debatte um die autobefreite Friedrichstraße hat
viele Leute zur CDU getrieben, obwohl es da um 500 Meter kaum je genutzte
Straße ging.
Es geht um die Frage der Kommunikation. Wichtig ist: Für die meisten
Menschen wird sich mit mehr Klimaschutz die Lebensqualität erhöhen. Das
muss man aber auch so vermitteln. Und generell wird in Berlin lieber
erklärt, warum Sachen nicht gehen, anstatt sich Gedanken darüber zu machen,
wie es gehen könnte.
War das bei der [8][Friedrichstraße] ähnlich?
Diese Diskussion habe ich als sehr einseitig wahrgenommen. Meist kamen
Leute, also Geschäftsleute, zu Wort, die fürchteten, dass sie
Einkommensverluste haben werden, und daher eine entsprechende Initiative
gegründet hatten. Wir wissen aus anderen Städten – etwa Freiburg, das ich
gut kenne –, dass sich dort die Geschäftsleute aus der Innenstadt dafür
eingesetzt haben, dass die Stadt autofrei wird, damit die Menschen Zugang
zu ihren Geschäften haben. Dort laufen die Geschäfte besser als zuvor.
Insgesamt glaube ich daher, dass die Berliner Bevölkerung eigentlich viel
weiter ist, als der öffentliche Diskurs suggeriert.
Geben Sie eine Schätzung ab, ob der Entscheid am 26. März Erfolg hat?
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, bis ich das Ergebnis sehe. Studierende von
mir haben Unterschriften für das Klima-Volksbegehren gesammelt. Sie waren
eigentlich pessimistisch – und dann ganz überrascht, dass der
Volksentscheid doch zustande gekommen ist.
22 Mar 2023
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