# taz.de -- Bebauung am Ernst-Thälmann-Park: Dringender Bedarf
       
       > Seit Jahren streiten sich Bezirk und Investor über die Bebauung eines
       > ehemaligen Güterbahnhofs. Es geht auch um die Frage: Wer gestaltet
       > Berlin?
       
 (IMG) Bild: Ernst Thälmann könnte bald Gesellschaft bekommen: Bis zu vier neue Wohntürme plant der Investor
       
       Berlin taz | Eine unbebaute Fläche, noch dazu direkt am S-Bahn-Ring
       gelegen, mitten im dicht bevölkerten Bezirk Pankow. Der ehemalige
       Güterbahnhof an der Greifswalder Straße weckt Begehrlichkeiten. An Ideen,
       was auf der Brachfläche entstehen könnte, mangelt es Bezirk und
       Anwohner:innen nicht: Dringend benötigter Schulbau, bezahlbarer
       Wohnraum oder eine Erweiterung des anliegenden Ernst-Thälmann-Parks. Doch
       die Handlungsoptionen des Bezirks sind beschränkt, denn die Fläche wurde an
       einen privaten Investor verkauft, der sie möglichst profitabel verwerten
       will. Nach über 10 Jahren Streit mit dem Bezirk scheint sich nun der
       Investor durchzusetzen. Der Fall ist beispielhaft für verfehlte
       Stadtentwicklung in Berlin.
       
       Da wären zunächst die baufreudigen privaten Investor:innen, [1][auf denen
       die Hoffnung liegt, sie könnten Berlins Wohnungsnot lindern]. „Hier
       verhindert die Linke Wohnungen für 2.000 Pankower & eine Schule für 300
       Kinder“, klagt ein Plakat, das sich quer über eine Brücke an der
       Greifswalder Straße erstreckt. Aufhängen lassen hat das Transparent kurz
       vor der Wiederholungswahl am 12. Februar der Berliner Immobilienunternehmer
       Christian Gérôme, der Eigentümer des Grundstücks.
       
       Gérôme antwortete leider nicht auf taz-Anfragen. Doch laut dem Bezirk
       vorgelegten Präsentationen hat der Investor Großes vor: Zu dem prägenden
       Ensemble aus Thälmann-Denkmal und den drei 1986 errichteten
       DDR-Plattenbau-Wohntürmen sollen bald bis zu vier ebenso hohe 18-stöckige
       Hochhäuser dazukommen mit Platz für Wohnungen, Büros und Einzelhandel.
       
       Doch einen Bebauungsplan (B-Plan), auf dessen Grundlage Gérôme seine
       ambitionierten Hochhauspläne umsetzen könnte, gibt es bislang nicht. Der
       zuständige Bezirk Pankow wünschte sich auf der Brachfläche vor allem eine
       Oberschule. „In den letzten Jahren wurde der Druck bei der Suche nach
       Oberschulplätzen immer größer“, sagt Bezirksstadträtin Rona Tietje (SPD)
       gegenüber der taz. Man habe unabhängig von den Eigentumsverhältnissen
       verschiedene Flächen analysiert und den ehemaligen Güterbahnhof als
       geeignet befunden.
       
       Entgegen der vorherigen Absprachen mit dem Investor, bei denen der Bau von
       450 Wohnungen im Gespräch war, beschloss der Bezirk 2019, ein
       Bebauungsplanverfahren in die Wege zu leiten. Ermöglicht werden sollten nur
       ein Schulstandort und ausgedehnte Grünflächen. „Der Konsens war, nur eine
       Schule zu planen und keine größere Wohnbebauung“, sagt Tietje.
       
       In dieser Form wäre der Bebauungsplan ein Fiasko für Gérôme, dem kaum etwas
       anderes übrig bliebe, als das Grundstück zu verkaufen. Doch bereits 2017,
       zwei Jahre zuvor, erklagte er sich ein Schlupfloch: Der Paragraf 34 im
       Baugesetzbuch ermöglicht es Investor:innen, auch ohne einen
       Bebauungsplan zu bauen, wenn sich das Bauvorhaben in die Umgebungsbebauung
       einfügt. Der Bezirk müsste also Gérômes Bauanträge genehmigen, allerdings
       nicht in der Höhe, in der er gerne bauen möchte.
       
       Um zu verhindern, dass der Immobilienunternehmer vorzeitig Fakten schafft,
       beschloss die Bezirksverordnetenversammlung im April 2020 eine zweijährige
       Veränderungssperre für das Grundstück, die jegliche Bebauung untersagte.
       Diese hätte im Mai vergangenen Jahres eigentlich verlängert werden müssen,
       doch im Bezirksparlament stimmte eine Koalition aus CDU, FPD und Grüne
       überraschend dagegen. Möglich war das Votum, da die rot-rote
       Zählgemeinschaft im Bezirk keine Mehrheit hatte.
       
       „Wir wollen, dass auf diesem gut erschlossenen innerstädtischen Gebiet auch
       Wohnungen entstehen, die Berlin dringend braucht“, begründete die grüne
       Fraktionsvorsitzende Almuth Tharan die Entscheidung im Mai. Ihren Willen,
       auf dem ehemaligen Güterbahnhof Wohn- und Gewerbeflächen zu ermöglichen,
       bekräftigten CDU, Grüne und FDP kurz vor der Wahl im Dezember mit einem
       weiteren BVV-Beschluss mit dem Titel „Lernen, Wohnen und Arbeiten an der
       Greifswalder Straße“. Darin forderte das Parlament das Bezirksamt auf, die
       Planungen sowohl für Schulbau als auch für Wohnen und Gewerbe
       voranzutreiben.
       
       ## Öffentliches Eigentum verscherbelt
       
       Damit ist der Weg frei für einen Bebauungsplan in Gérômes Sinne. „Als
       Bezirksamt müssen wir dem Willen der BVV nachgehen“, bestätigt Tietje etwas
       zähneknirschend.
       
       Wie viel bezahlbarer Wohnraum durch das Bauprojekt allerdings entsteht, ist
       unklar. Feste Zusagen, ob Miet- oder Eigentumswohnungen oder nicht doch
       Büros entstehen sollen, gibt es keine.
       
       „Der Neubau ist doch nur für Leute mit großem Geldbeutel“, vermutet Markus
       Seng, der sich in einer Anwohnerinitiative schon seit fast 10 Jahren gegen
       die Bebauung am Ernst-Thälmann-Park engagiert. Hochpreisige
       Eigentumswohnungen würden wohl kaum zur Lösung des Wohnungsproblems
       beitragen. „Hier geht es nur um die Profite eines privaten
       Grundstückshändlers“, kritisiert Seng. Wenn überhaupt, würden auf dem
       Gelände maximal 30 Prozent der Wohnfläche gemäß der Berliner kooperativen
       Baulandentwicklung zu bezahlbaren Mieten angeboten werden – und das für 30
       Jahre. Und das auch nur, [2][falls sich der Investor an eine solche
       Vereinbarung hält] und nicht doch lieber ausschließlich Büroflächen
       errichtet. Langfristig entsteht durch solche Vereinbarungen kaum
       bezahlbarer Wohnraum, da jährlich mehr Wohnungen aus der Preisbindung
       fallen als neue entstehen.
       
       Was den Fall ebenfalls exemplarisch für Berlin macht, ist, dass es sich bei
       dem Grundstück lange [3][um öffentliches Eigentum handelte, das deutlich
       unter Wert an private Investor:innen verscherbelt wurde.] Bis 2009 war
       der ehemalige Güterbahnhof noch Eigentum der Deutschen Bahn und als
       Betriebsfläche in keiner Planung vorgesehen. Schon damals erwog der Bezirk,
       auf der Fläche dringend benötigte soziale Infrastruktur und Grünflächen zu
       schaffen. In einem Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vom
       September 2011 wurde das Bezirksamt aufgefordert, die Fläche des
       Güterbahnhofs für „potentielle zukünftige Bedarfe, insbesondere für …
       Schule und Sport bzw. Umwelt und Natur anzumelden“.
       
       ## Fraglicher Flächentausch
       
       Zu diesem Zeitpunkt war der Verkauf des Filetgrundstücks schon im vollen
       Gange. Bereits 2009 verkaufte die Bahn das Grundstück stückweise an Gérôme,
       wie eine parlamentarische Anfrage von 2014 belegt. Das Vorkaufsrecht, mit
       dem der Bezirk die Möglichkeit gehabt hätte, dem Investor zuvorzukommen,
       wurde damals nicht genutzt.
       
       Der Verkaufspreis war verhältnismäßig niedrig, eben weil das Gelände noch
       als Bahnbetriebsfläche vorgesehen war – für den Käufer gab es also keine
       Gewissheit, ob, wann und was auf dem Gelände gebaut werden kann. Schon
       jetzt dürfte sich die Spekulation gelohnt haben: Mit dem Baurecht in
       greifbarer Nähe dürfte das Grundstück ein Vielfaches des Kaufpreises wert
       sein.
       
       Da das Bezirksamt unbedingt an dem Schulstandort festhält, verhandelt es
       seit Monaten über einen Flächentausch mit dem Investor. Demnach bekäme
       Gérôme ein derzeit als Parkplatz genutztes landeseigenes Grundstück an der
       Lily-Henoch-Straße in unmittelbarer Nähe. Der Bezirk bekäme dann Teile des
       Güterbahnhofs, auf denen er Sportstätten für die geplante Oberschule
       errichten will.
       
       Ein schlechter Tausch für den Bezirk, kritisiert der
       Linken-Bezirksverordnete Fred Bordfeld. „Der Flächentausch ist schwierig“,
       vor allem, da der Güterbahnhof als schadstoffbelastet gelte und das
       Tauschgrundstück planungsrechtlich einfacher zu bebauen sei. „Warum geht
       das Land nicht selbstbewusster mit seinen Flächen um?“
       
       ## Muss es immer Neubau sein?
       
       Zuletzt offenbart der Fall ein grundlegendes Problem der Berliner
       Stadtentwicklungspolitik: [4][Neubau wird von keiner im Abgeordnetenhaus
       vertretenen Partei grundlegend infrage gestellt, auch wenn Umweltverbände
       das verstärkt fordern]. Ginge es nach den Wünschen der
       Anwohner:inneninitiative, würde aus der Brachfläche, die aktuell von einem
       Kunstkollektiv zwischengenutzt wird, eine Erweiterung des anliegenden
       Ernst-Thälmann-Parks.
       
       „Hier im Prenzlauer Berg brauchen wir mehr Grünflächen“, erklärt Markus
       Seng, der sich seit Jahren gegen die Bebauungspläne des Investors einsetzt.
       In den letzten Jahren hätte es eine unglaubliche Verdichtung durch
       Neubauten in der Nachbarschaft gegeben, bereits Hunderte zusätzliche
       Wohneinheiten seien hier entstanden. Daher seien Parks nicht nur wichtig
       für die Naherholung, sondern angesichts der Klimakrise auch für das
       Stadtklima: „Wir müssen um jeden Baum und jede Grünfläche kämpfen“, sagt
       Seng. Neubau hingegen müsse aufgrund der hohen CO2-Emissionen, die das
       Bauen verursacht, so weit es geht vermieden werden – und Büroräume und
       Luxuswohnungen brauche niemand in der Stadt, erklärt Seng.
       
       9 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Baupolitik-in-Berlin-und-Hamburg/!5822454
 (DIR) [2] /Modell-Kooperative-Baulandentwicklung/!5873152
 (DIR) [3] /Deutschlands-verkaufte-Hauptstadt/!5624880
 (DIR) [4] /Neues-Buendnis-fuer-gruenes-Bauen/!5913408
       
       ## AUTOREN
       
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