# taz.de -- Die Wahrheit: Lug und Trug, Schnee und Fee
       
       > Mit Skeptikern unterwegs auf der „Leugna 24“ in Leuna, der Messe für alle
       > Arten von Leugnern. Ein konspirativer Report.
       
       Schon die Anfahrt ist ungewöhnlich. Gaby, unser erster Kontakt in die
       Szene, war noch nie in dieser Region von Sachsen-Anhalt. Aber sie nutzt
       weder Straßenkarte noch Navi. Stattdessen telefoniert sie an jeder Kreuzung
       mit einem Vertrauten und lässt sich den Weg erklären. An jeder. Stolz
       erläutert sie uns: „Ich bin Kartenleugnerin. In meiner ersten Ehe gab es
       immer Krach mit meinem Mann, wenn ich ihn lotsen sollte. Irgendwann war für
       mich klar: Es ist nicht meine Schuld, sondern es ist der Autoatlas. Die
       Karten lügen. Eine Wahrsagerin hat mir das bestätigt. Seit dieser Recherche
       bin ich dabei.“
       
       Wie durch ein Wunder finden wir am Ende doch die Lagerhalle am Rand eines
       verlassen wirkenden Gewerbegebiets in Leuna. Über dem Eingang hängt ein
       handgemaltes Schild: „LEUGNA 24“. Als wir aussteigen, erwartet uns bereits
       ein ziemlich fit wirkender Mann von Anfang sechzig.
       
       „Ich bin Tom. Ich bin der Lügenpressesprecher unserer Messe. Und ich glaube
       viele Dinge nicht“, stellt er sich freundlich vor. Und fügt hinzu:
       „Eigentlich heiße ich Thomas.“ Dabei schaut er uns ein wenig lauernd an. Er
       will offenbar rauskriegen, ob wir die biblische Anspielung verstehen. Wir
       tun ihm den Gefallen: „Ah, der ungläubige Thomas.“ Er strahlt. „Genau! Der
       ist mein Vorbild!“ Wir haken sofort investigativ nach: „Aber der Thomas aus
       der Bibel wird doch überzeugt von der Auferstehung Jesu. Der ist doch am
       Ende supergläubig.“ Tom ist in keiner Weise verunsichert: „Da bin ich
       flexibel. An der Stelle an werde ich zum Bibelleugner. Ich glaube nicht,
       dass das da so steht“, verkündet er fröhlich.
       
       Bevor wir hineingehen, zeigen wir auf das Schild. „Wieso eigentlich 24? Wir
       haben doch erst 2023.“ Tom lacht kurz auf. „Das glaubt ihr vielleicht. Wir
       Kalenderleugner haben uns vom Konzept der Jahreszahlen verabschiedet. Das
       ist alles Lug und Trug, das wurde ja schon im Jahr 1991 bewiesen. Nein,
       dies ist unsere 24. Messe. Ganz einfach.“
       
       ## Alphabetleugner sind auch da
       
       Aber nur für Leute, die nicht das Dezimalsystem leugnen, denken wir bei
       uns. „Findet die Messe eigentlich immer hier statt, in …?“ Die Angst davor,
       dass der Kalauer wirklich stimmt, hemmt uns. „Ja, genau, in Leuna!“,
       strahlt Tom. „Ist gut, oder? Einige sagen, dass die Stadt mal Leugna hieß,
       vor der Großen Manipulation. Und hier in der Gegend haben wir ja auch viele
       Fans, die bei jedem Leugnen gerne mitmachen. Unsere Alphabetleugner finden
       aber, mit dem Wortspiel gingen wir der Buchstabenpropaganda auf den Leim.“
       
       Dann betreten wir endlich die Halle. Wir erblicken etwa zwanzig nackte
       Tapeziertische, auf denen jeweils ein paar Zettel liegen. Meist schlechte
       Schwarzweißkopien. Fragend schauen wir Tom an. „Das ist die Messe?“ Er
       zuckt mit den Schultern: „Es geht uns nicht um Äußerlichkeiten. Sie lenken
       nur ab von der Wahrheit. Schaut mal, hier vorne sind unsere Neuheiten. Seit
       letzter Woche trendet Bebenleugnen sehr stark.“
       
       Wir treten an den Tisch. Die Frau dahinter sieht wütend aus. „Sie erfinden
       Naturkatastrophen! Dauernd! Nur um abzulenken!“ – „Ähm … ablenken? Wovon?“
       – „Kinderschänder und Tierquäler natürlich!“, zischt sie aggressiv. „Wir
       sollen kein Mitleid mit unseren deutschen Kindern und Wauwaus haben.
       Sondern mit … denen da im Islam!“
       
       Hinter dem nächsten Tisch steht ein Herr mit Brille und weißgrauem
       Kurzhaarschnitt. Er lächelt überlegen. Sein Namensschild lautet: „Dipl.
       ing. Gerhard Weiß, Schneefallleugner.“ Wir schauen ihn ratlos an. „Aber da
       draußen liegt doch Schnee. Der ist doch heute Nacht gefallen.“ Seine
       Antwort klingt betont geduldig: „Teil eins Ihrer Aussage stimmt. Es liegt
       Schnee. Aber der ist nicht gefallen. Dass Schnee von oben herabfällt und
       dann so aussieht, ist physikalisch unmöglich.“
       
       Unsere Gesichter sind nun reine Fragezeichen. „Aber woher kommt der Schnee
       denn dann? Wird der nachts heimlich herangekarrt und verteilt?“ Der Mann
       schüttelt unwillig den Kopf. „Natürlich nicht. Ich bin Ingenieur, kein
       Spinner. Nein, der Schnee quillt aus der Erde. Das haben meine
       Untersuchungen zweifelsfrei ergeben. Ich kann Ihnen das gerne anhand eines
       Schaubilds …“
       
       ## Pharmazieleugner dürfen nicht fehlen
       
       Wir entfernen uns zügig und wenden uns an Thomas: „Wo sind eigentlich die
       Klimaleugner?“ Thomas winkt ab. „Ach, diese alten Knacker. Die sind da ganz
       hinten. Bei den Flatearthern und Pharmazieleugnern. Die
       GeschlechterleugnerInnen und die VVD sind auch da.“ – „Wer?“ – „Ach so: die
       Vereinigung der verfolgten Diskriminierungsleugner. Ganz abgesehen von den
       Kosten wollen wir der Öffentlichkeit ja keine ollen Kamellen präsentieren.
       Deswegen sind die Bielefelder, die die Messe zu sich holen wollen, auch da
       hinten, mit ihrem Ostwestfalen-Globus.“
       
       Wir schauen uns um in der menschenleeren Halle: „Welche Öffentlichkeit?“
       Tom räuspert sich verlegen. „Vorhin war einer hier, den wir nicht alle
       kannten. War dann aber nur der Hausmeister. Musste auf Toilette.“
       
       „Und was meinen Sie mit Kosten? Wofür?“ Tom schaut uns erstaunt an ob
       unserer Naivität: „Na, Lizenzgebühren. Je prominenter wir zum Beispiel
       Klimaleugner präsentieren, desto mehr müssen wir an die US-Ölindustrie
       abdrücken. Genauso ist es mit Wahlleugnern und Kriegsleugnern. Da halten
       Trump und Putin ordentlich die Hand auf. Leugnen ist ein richtiges Business
       geworden.“
       
       Wir schauen noch weitere Tische an. Ein Gezeitenleugner behauptet, bei
       „Flut“ sinke das Land unter dem Gewicht der angespülten Muscheln ab.
       Worüber der direkt daneben stehende Schwerkraftleugner nur den Kopf
       schüttelt. Auch einen Jugendtisch gibt es: Zwei Mädchen leugnen hier die
       Zahnfee, den Osterhasen und den Weihnachtsmann. Thomas lächelt nachsichtig:
       „Unser Nachwuchs versteht noch nicht, dass Leugnen nur Spaß macht, wenn es
       um Dinge geht, die es gibt. Aber das kommt schon noch.“
       
       „Bekommen Sie eigentlich politische Unterstützung für Ihre Messe?“, fragen
       wir investigativ nach, „zum Beispiel von der AfD?“
       
       Toms freundliche Art ist plötzlich wie weggeblasen. „Kommen Sie jetzt auch
       schon damit?! Eine solche Partei gibt es überhaupt gar nicht. Sie ist eine
       Propagandaerfindung linker Mainstream-Medien. Und jetzt verlassen Sie bitte
       die Halle. Gaby, die Herrschaften möchten nach Hause!“
       
       18 Feb 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Oliver Domzalski
       
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