# taz.de -- Koalition streitet über Autobahnbau: Ampel kracht aufeinander
       
       > Der Verkehrsbereich liefert nicht beim Klimaschutz. Die FDP will nun aber
       > schnellere Planungen für Autobahnen durchdrücken. Die Grünen sind
       > dagegen.
       
 (IMG) Bild: Wer Autobahnen baut, wird Klimaschutz ernten, behauptet Verkehrsminister Volker Wissing
       
       Berlin dpa | Die Spitzen der Ampelkoalition wollen am Donnerstag versuchen,
       einen langen Streit zu lösen. Es geht um mehr Tempo bei Planungsverfahren
       im Verkehr und im Kern um die Frage: [1][Sollen auch Autobahnen schneller
       gebaut werden]? Das will Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Die Grünen
       lehnen das ab, für sie ist es eine heikle Frage. Umweltverbände laufen
       Sturm und warnen vor einer Aushöhlung des Umweltschutzes.
       
       Darum geht es: Wissing will, dass künftig der Bau und die Sanierung von
       Autobahnen, für die ein vordringlicher Bedarf festgestellt ist, im
       „überragenden öffentlichen Interesse“ liegt. Das soll Genehmigungsverfahren
       beschleunigen und Gerichtsverfahren erleichtern.
       
       Ein überragendes öffentliches Interesse gilt bereits für den Bau von
       Windrädern und Solaranlagen. Und im politischen Berlin ist in diesen Tagen
       oft von mehr „LNG-Tempo“ die Rede: Neue Terminals für Flüssigerdgas (LNG)
       im Norden waren in weniger als einem Jahr gebaut worden, Grund war auch ein
       Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung.
       
       Wissing will wesentliche Elemente des LNG-Beschleunigungsgesetzes
       aufgreifen, wie es im Entwurf heißt. Eine leistungsfähige
       Verkehrsinfrastruktur sei für die Wirtschaftskraft und damit verbunden für
       Wachstum und Wohlstand von grundsätzlicher Bedeutung. Im Ministerium heißt
       es, der Straßenverkehr werde laut [2][Prognosen] zunehmen, Staus sollen
       verringert werden. Dabei geht es dem Minister vor allem um Nadelöhre im
       Netz.
       
       ## Automobilindustrie macht Druck
       
       „Die Koalition muss den Hebel bei den Infrastrukturvorhaben umlegen“, sagte
       FDP-Fraktionschef Christian Dürr. „Das gilt für erneuerbare Energien, für
       den Ausbau der Schiene, aber eben auch für Autobahnen.“ Fraktionsvize
       Carina Konrad sagte, die bröckelnde Infrastruktur führe zu immer größeren
       Einschränkungen in der Mobilität der Bürger und zu einer Schwächung des
       Wirtschaftsstandorts Deutschland.
       
       Auch die Automobilindustrie macht Druck. „Um ein attraktiver Investitions-,
       Innovations- und Produktionsstandort zu bleiben, ist eine ausgezeichnete
       analoge und digitale Infrastruktur Grundvoraussetzung“, betonte die
       Präsidentin des Branchenverbandes VDA, Hildegard Müller. Sie forderte dafür
       „maximal beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren“.
       
       Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat nichts gegen eine notwendige
       Sanierung vor allem von Brücken. Der Erhalt von Biotopen und Ökosystemen
       aber dürfe nicht zurücktreten gegenüber dem Straßenbau. Lemke aber verweist
       darauf, dass das Kabinett im Juni beschlossen habe, bei
       Beschleunigungsmaßnahmen zentraler Vorhaben müssten Projekte im Fokus
       stehen, die dem Klimaschutz dienen: „Der Neu- und Ausbau von Autobahnen,
       Straßen oder Wasserstraßen gehört nicht in diese Kategorie. Neue Autobahnen
       dienen nicht der Erreichung der Klimaziele, das Gegenteil ist der Fall.“
       
       Grünen-Chefin Ricarda Lang monierte, im Verkehrssektor klaffe bei der
       Erreichung der Klimaziele eine riesige Lücke. „Statt über weitere
       klimaschädliche Maßnahmen, etwa die Beschleunigung von Autobahnneubauten zu
       spekulieren, braucht es jetzt dringend einen Plan, wie der Verkehr seine
       Klimaziele erreicht“, forderte Lang in der Süddeutschen Zeitung
       (Donnerstag) in Richtung Wissing. Der Grünen-Verkehrspolitiker Stefan
       Gelbhaar sagte, für die Elektrifizierung der Schiene oder den Bau von
       Windkraftanlagen sei eine Privilegierung im Umwelt- und Naturschutzrecht im
       Koalitionsvertrag vorgesehen. „Eine solche Privilegierung ist für klima-
       und umweltschädliche Projekte wie Autobahnen weder sinnvoll noch
       vereinbart.“
       
       ## Scholz hält sich zurück
       
       Und der Kanzler? Olaf Scholz (SPD) hielt sich in dem Streit bisher
       öffentlich zurück. Bei einer Befragung im Bundestag am Mittwoch sagte er,
       man wolle generell, etwa auch wenn es Verkehrsleistungen betreffe, zu
       weiteren Beschleunigungen kommen. „Da sind wir hart dran, da zu einem
       gemeinsamen Ergebnis zu kommen.“
       
       Die Industrie mahnt mehr Tempo an. Mit Blick auf die LNG-Terminals sagte
       die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverband der Deutschen Industrie, Tanja
       Gönner, das vom Kanzler propagierte „Deutschland-Tempo“ müsse genauso für
       industrielle Anlagen sowie die Verkehrs- und Digitalinfrastruktur zum
       Einsatz kommen. Unions-Fraktionsvize Ulrich Lange schrieb in einem Brief an
       Lemke, er beobachte die „Blockade“ wichtiger Vorhaben mit großer Besorgnis.
       Es seien auch Straßen mit ausreichender Kapazität und in einem guten
       Zustand nötig.
       
       Umweltverbände dagegen warnen. Der Präsident des Naturschutzbunds Nabu,
       Jörg-Andreas Krüger, sagte: „Es darf keine Carte blanche für einen
       schnelleren Neubau von Autobahnen geben.“ Der Nabu erwarte von den Grünen
       einen Fokus auf Klimaschutz und Biodiversität. „Alles andere wäre eine
       massive Enttäuschung und eine Neujustierung der Grünen-Politik.“
       
       Im Verkehrsbereich gebe es eine desaströse CO2-Bilanz. Wissing habe bisher
       keine wirksamen Maßnahmen vorgelegt. „Wir halten eine Priorisierung des
       Autobahnneubaus für grundfalsch.“ Der Geschäftsführer der Allianz pro
       Schiene, Dirk Flege, sagte: „Mehr Platz für Personen und Güter auf der
       Schiene, das ist im überragenden öffentlichen Interesse – und nicht neue
       Autobahnen.“ BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock sagte: „Mit dem
       absurden Vorschlag, den Neu- und Ausbau von Autobahnen zu beschleunigen und
       ihn zum überragenden öffentlichen Interesse zu erklären, startet die FDP
       einen weiteren Großangriff auf den Klimaschutz.“
       
       Beim Klimaschutz sucht die Ampel seit Monaten vergeblich nach einer Lösung,
       wie ein im Koalitionsvertrag angekündigtes Klimaschutzsofortprogramm auf
       den Weg gebracht werden kann. Hauptknackpunkt ist der Verkehrsbereich. Die
       Grünen wollen unter anderem den Abbau umweltschädlicher Subventionen und
       ein Tempolimit auf Autobahnen – beißen damit aber bei der FDP auf Granit.
       Umstritten sind auch Pläne Lemkes zum Agrosprit: Sie will bis zum Jahr 2030
       einen schrittweisen Verzicht von Agrokraftstoffen, die aus Pflanzen für
       Nahrungsmittel und Tierfutter gewonnen werden.
       
       Im Vorfeld des Koalitionsausschusses war hinter den Kulissen von einem
       Gesamtpaket die Rede. Als eine mögliche Kompromisslinie bei schnelleren
       Planungsverfahren für Autobahnen gilt: Die Koalition könnte sich auf einige
       ausgewählte, dringliche Projekte verständigen. Klar scheint außerdem, dass
       es für die Sanierung des maroden Bahnnetzes deutlich mehr Geld gibt.
       
       26 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
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