# taz.de -- Arbeitskampf im öffentlichen Dienst: Die Wahl bestreiken
       
       > Tausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes wollen noch vor den
       > Wahlen streiken. Im Wahlkampf sagt die Politik Unterstützung zu.
       
 (IMG) Bild: Demonstration von Beschäftigten der Krankenhäuser Charite und Vivantes im September 2022
       
       Berlin taz | Auf dem Redaktionsgebäude des Neuen Deutschlands ist ein Zitat
       von Karl Marx zu lesen: „Die soziale Revolution kann ihre Poesie nicht aus
       der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft“. Nun, um die
       soziale Revolution ging es nicht, als sich am Freitag etwa 300
       Arbeiter:innen verschiedener öffentlicher Betriebe dort versammelten.
       Und doch spricht einiges dafür, dass Berlin – und bundesweit – ein
       kämpferisch geführter Arbeitskampf bevorsteht.
       
       Der Raum war vollgepackt mit Beschäftigten, zum Teil in gelben
       Verdi-Westen, teils in den Kutten der Berliner Stadtreinigung. „Wir sind
       streikbereit!“, verkündeten Banner an den Wänden. Viel wurde gejohlt und
       gepfiffen, als Kolleg:innen die Spitzenpolitiker:innen der großen
       demokratischen Parteien Berlins mit Fragen löcherten. Mit Klaus Lederer
       (Linke), Raed Saleh (SPD), Silke Gebel (Grüne), Sebastian Czaja (FDP) und
       Kai Wegner (CDU) war das Podium hochkarätig besetzt.
       
       [1][Bundesweit wird derzeit der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes
       (TVöD) neu ausgehandelt]. Nachdem eine erste Verhandlungsrunde am 24.
       Januar ergebnislos verlaufen war, hatte Verdi die Team- und
       Streikdelegierten der Betriebe zu einem ersten Warnstreik aufgerufen, um
       über den kommenden Arbeitskampf zu beraten. Das Ergebnis: Noch vor der Wahl
       am 12. Februar wird in Berlin groß gestreikt. [2][Am 9. Februar] werden
       Tausende Arbeiter:innen der öffentlichen Betriebe ihre Arbeit
       niederlegen – in einer Demo wollen sie vom Abgeordnetenhaus nach Kreuzberg
       ziehen.
       
       Bundesweit betrifft die Tarifrunde etwa 2,5 Millionen Beschäftigte; über
       340.000 haben sich bisher in einer Forderungspetition zum Streik bereit
       erklärt. Allein in Berlin haben bisher 13.000 Arbeiter:innen
       unterschrieben – davon über 5.500 bei den kommunalen Kliniken Charité und
       Vivantes, fast 3.500 bei der BSR und über 1.600 bei den Wasserbetrieben.
       Auch am Arbeitskampf beteiligt sind etwa die Beschäftigten des
       Studierendenwerks und des Jüdischen Krankenhauses im Wedding.
       
       ## Gurken werden teurer, die Arbeitskraft auch
       
       Lehrer:innen, Erzieher:innen und die Kommunalverwaltungen sind in
       Berlin dagegen – anders als etwa in Brandenburg –, nicht beteiligt. Ihre
       Gehälter sind im Berliner Landestarifvertrag geregelt, der aktuell nicht
       neu verhandelt wird. Auch Verbeamtete, Richter:innen und Soldat:innen
       dürfen in vielen Fällen nicht streiken – auf ihre Gehälter soll das
       Tarifergebnis aber übertragen werden.
       
       Verdi fordert 10,5 Prozent mehr Lohn, aber mindestens 500 Euro mehr
       Monatsgehalt für alle. Azubis sollen mindestens 200 Euro mehr erhalten.
       Außerdem soll die Tariflaufzeit nur ein Jahr betragen, um schon bald auf
       die womöglich weiter grassierende Inflation reagieren zu können. Die
       nämlich macht den Beschäftigten zu schaffen. „Wir fordern überhaupt nicht
       viel“, sagt ein Arbeiter der BSR, der sich als Carlos vorstellt. „Eine
       Gurke kostet im Supermarkt 15 bis 20 Prozent mehr, da ist doch klar, dass
       auch unsere Arbeit mehr kosten muss!“, ruft er unter tosendem Applaus der
       Menge.
       
       Auszubildende von Charité und Vivantes beschwerten sich, ihnen würde jeder
       Streiktag als Fehltag gezählt – gibt es davon aber zu viele, stehe die
       Prüfungszulassung auf dem Spiel. Dann müsse ein Härtefallantrag gestellt
       werden, der stolze 60 Euro koste. „Aber keine Sorge: Wir streiken für euch
       mit, wenn ihr nicht könnt!“, versicherte Halis, Azubi der Wasserbetriebe,
       ebenfalls unter großem Applaus.
       
       Mit einem Verhandlungsergebnis ist wohl frühstens Ende März zu rechnen.
       Schon jetzt ist der Arbeitskampf aber Wahlkampfthema – schließlich ist der
       öffentliche Dienst ein nicht zu vernachlässigender Wahlfaktor. Entsprechend
       zeigten sich am Freitag alle Politiker:innen bemüht, möglichst
       unterstützend zu wirken. Selbst Sebastian Czaja (FDP) und Kai Wegner (CDU),
       sonst eher keine Freunde der Arbeiter:innenbewegung, sprachen sich für
       höhere Gehälter aus.
       
       ## „Zu kämpfen steht euch zu!“
       
       Ob die aber 10,5 Prozent betragen sollten, ließen beide offen. Der
       Linken-Spitzenkandidat Lederer schleuderte ihnen entgegen: „Es ist ja schön
       und gut, wie hier die marktliberalen Parteien Unterstützung zusagen, aber
       sobald es um Gelder geht, treten sie auf die Bremse!“ Die Forderungen der
       Gewerkschaft seien „absolut angemessen“, fehlende Gelder müssten etwa durch
       Steuern auf Übergewinn, Vermögen und Erbschaften beschafft werden. Auch
       SPD-Fraktionschef Saleh traf den richtigen Ton. „Für 10,5 Prozent zu
       kämpfen steht euch zu“, rief er aus. Da ballte ein Mann neben dem Reporter
       die Faust und murmelte „Jawohl!“
       
       Alle Politiker:innen sagten zu, sich für einen Inflationsausgleich für
       die Beschäftigten der Tochtergesellschaften von Charité und Vivantes
       einsetzen zu wollen. Einen solchen fordert Verdi mit der separat zum
       Arbeitskampf laufenden „Aktion Lohnrettung“. Zwar sind auch in den
       Töchterfirmen – einst mit dem Zweck der Tarifflucht gegründet – die Löhne
       inzwischen an den TVöD gekoppelt, erhöhen sich aber aufgrund einer
       besonderen Vertragsklausel erst mit einem Jahr Verzögerung.
       
       Verdi fordert von der Landespolitik deshalb einen sofortigen
       Inflationsausgleich – und: dass der Landesmindestlohn von 13 Euro in den
       Töchtern eingehalten wird. Bisher würden in den Töchtern häufig aber die
       Zuschläge in das Gehalt mitgerechnet. Saleh ging auch dieses Thema mit
       deutlichen Worten an. „Der Mindestlohn bedeutet Mindestlohn plus Zulagen,
       er ist das Gehalt für eine Stunde Arbeit“, stellte er klar. CDU und FDP
       warf er vor, sich im Parlament wiederholt gegen die Erhöhungen der
       Mindestlöhne gestemmt zu haben.
       
       Zudem will die Gewerkschaft, dass die Tochterunternehmen in die
       Mutterkonzerne zurückgeführt werden – und auch hierfür sagten alle Parteien
       Unterstützung zu. Saleh bezeichnete die Ausgliederung als „verdammt großen
       Fehler“, Lederer brauchte eine Gesellschafterweisung ins Spiel, um gegen
       die mangelnde Umsetzung des neuen Tarifvertrags vorzugehen. Als die
       Politiker:innen auf einem Schild aufschreiben sollten, bis wann die
       Tochterunternehmen zurückgeholt worden sind, gaben die Vertreter:innen
       der Regierungsfraktionen geschlossen die Antwort „2026“. Das darf als
       Wahlversprechen gelten.
       
       29 Jan 2023
       
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